Am Wegesrand

Fachwerkhaus in der Bensheimer Altstadt mit Besonderheiten

In der Zeller Straße in Bensheim steht ein kleines Fachwerkhaus, das derzeit restauriert wird. Es hat - ungewöhnlicherweise -einen winzigen Vorgarten. Zweite Besonderheit ist ein Schmuckelement in der Fassade.

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Bensheim. Dass man durch eine Innenstadt flaniert, merkt man unter anderem daran, dass man keine privaten Vorgärten sieht. So ist das auch in der Bensheimer Altstadt - im Prinzip. Denn es gibt Ausnahmen. Ein Beispiel ist das Haus Nummer 10 in der Zeller Straße, das derzeit umfassend restauriert wird.

Es gibt hier einen winzigen Garten, dessen dreieckige Form nach Westen hin spitz zuläuft. Was man vor Ort schlecht erkennen kann, offenbart sich deutlicher, wenn man sich ein Satellitenbild der Stadt im Internet anschaut: Von oben sieht man, wie die Hausnummern 6 bis 10 wie auf einem Kreisbogen angeordnet erscheinen, mit einem deutlichen Rücksprung zu der Fortsetzung der Häuserfront nach Osten, die mit dem Neubau beginnt, der nach dem Abriss der ehemaligen Bäckerei Schulz im Jahre 2019 errichtet wurde. Ab hier setzt sich die Zeller Straße dann wie mit dem Lineal gezogen fort.

Mini-Vorgarten erhalten

Den Grund dafür legt Klaus H. Jöckel, Vorsitzender des Bensheimer Museumsvereins, in den vor einigen Wochen erschienenen „Mitteilungen Nr. 86“ des Vereins dar. Jöckel hat sich intensiv mit dem Verlauf der ehemaligen Bensheimer Stadtmauern befasst.

Nach seinen Recherchen entstand der kleine Vorgarten in der Zeller Straße, als im Jahr 1836 hier die gekrümmte südliche Vorstadtmauer abgetragen und außerdem ein Haus abgerissen wurde, das auf dem heute freien Platz an der Einmündung von der Hauptstraße in die Zeller Straße gestanden hatte. Wo früher eine kleine Gasse dem Verlauf der Stadtmauer gefolgt war, konnte nun die Straße in gerader Linie nach Osten geführt werden. Und dabei fiel ein kleiner Zwickel ab, der sich bis heute als Mini-Vorgarten erhalten hat.

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Noch eine weitere Besonderheit hat das wohl im 17. Jahrhundert erbaute, mehrfach veränderte kleine Haus in der Zeller Straße Nr. 10 aufzuweisen, darauf macht ebenfalls Klaus H. Jöckel in den „Mitteilungen“ aufmerksam: In dem Brüstungsgefach unterhalb des mittleren Fensters im oberen Stockwerk sieht man eine dekorative Schnitzerei, die sehr viel besser erhalten ist als das Fachwerk; sie besteht offensichtlich aus hochwertigerem, härterem Holz. Auch sonst wirkt dieses Schmuckelement etwas fremd in der Umgebung.

Jöckel berichtet von einer Aussage des verstorbenen ehemaligen Stadtarchivars Diether Blüm, die Tafel stamme vom 1954 abgerissenen Mespelbrunner Hof in der Hauptstraße (derzeit befindet sich dort ein Telekom-Laden). Dieses Fachwerkhaus war 1575 als eines der prächtigsten Bensheimer Häuser errichtet worden. Frühere Beschreibungen sprechen von schönen Flachschnitzereien mit Kerbschnitt-, Zopf- und Schuppenmustern, einem Sonnenrad und sogar einem Einhorn.

Die Bauherren, zwei Brüder der Familie Eysenlöffel, stammten aus der bürgerlichen Führungsschicht Bensheims. Doch tauschten sie das prestigeträchtige Haus schon wenige Jahre nach der Fertigstellung mit der Adelsfamilie Echter von Mespelbrunn und erhielten dafür deren Hof an der Stadtmühle. Später wechselten sich viele Besitzer ab.

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Als vorletzte Eigentümerin ist die jüdische Bensheimer Bürgerin Betti Haas verzeichnet, die im Zuge der Reichspogromnacht unter Gewaltanwendung und Drohungen gezwungen wurde, den Mespelbrunner Hof an den Kaufhausbesitzer Heinrich Müller zu verkaufen, der die Räume schon seit 1934 als Geschäftsräume gemietet hatte.

Müller wird als einer der Haupttäter der damaligen Ausschreitungen bezeichnet. Er ließ das Haus dann 1954 wegen angeblicher Baufälligkeit abreißen, um neue Räume für sein Kaufhaus zu errichten. Nur Fragmente sind noch gerettet worden: Im Vorraum des Bensheimer Museums gibt es einen beschnitzten Balken.

Darüber hinaus werden im Museumsdepot mehrere Gefache des verlorenen Fachwerkhauses aufbewahrt. Als ältestes und doch am besten erhaltenes Bauteil kann die schöne Schnitzarbeit nun in der Zeller Straße 10 rund um die Uhr und im Vorübergehen von jedermann bewundert werden.

Denn wo einst eine enge Gasse an der Stadtmauer entlangführte, ist nun in unmittelbarer Nähe des Parkhauses Süd ein relativ belebter Ort entstanden.

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