Bensheim. In Bensheim schwimmt eine Photovoltaik-Anlage. Bauherr ist die Unternehmensgruppe Rohr, die an der Erlache seit den 70er Jahren ein Kieswerk betreibt. Die PV-Insel ist rund 1,3 Hektar groß und soll in ihrer Endausbaustufe eine elektrische Leistung von 1,5 Megawatt-Peak erzielen. Aktuell rangiert die maximale Leistungskapazität unter idealen Bedingungen bei knapp einem Megawatt-Peak. Das Unternehmen will ein Drittel der Wasserfläche seines Baggersees mit Solarmodulen bedecken. Damit soll nicht nur der eigene Strombedarf gedeckt werden.
Das Vorbild für Bensheim schwimmt auf einem Baggersee in der Gemeinde Waldsee im Rhein-Pfalz-Kreis, wo die Firma das innovative Modell bereits im Frühjahr 2023 gemeinsam mit den Stadtwerken Speyer realisiert hat. Die Idee stammt von Prokurist Robert Gard. „Wir arbeiten sehr energieintensiv“, betonte er bei einem Besuch der Bensheimer SPD Fraktion im benachbarten Naturschutzzentrum Bergstraße. Der Strombedarf rangiere am Standort bei 1,2 Millionen Kilowattstunden.
Bifaziale Module nutzen direkte und indirekte Sonneneinstrahlung
Durch die Nutzung erneuerbarer Energieformen wolle man ein Zeichen setzen. Erste Gespräche mit der Stadt Bensheim hatten bereits vor über drei Jahren stattgefunden, seit November wurden am Gewässer die ersten Ausbaustufen realisiert.
Die Sonneninsel besteht aus etwa 2000 Schwimmkörpern mit 1768 Glas-Glas-Elementen. Zum Einsatz kommen bifaziale Module, die sowohl die direkte Sonneneinstrahlung auf der Vorderseite als auch das indirekte Licht auf der Rückseite zur Stromerzeugung nutzen können. Der Strom wird überwiegend am Standort für den Kies- und Sandabbau genutzt. Der Rest fließt ins Netz.
Die Anlage nimmt kaum zehn Prozent der ungenutzten Wasseroberfläche ein. Die Installation der Module hatte zirka fünf Wochen gedauert, danach wurde das PV-Floß in seine finale Position gedreht und am Boden verankert. Dafür waren extra Taucher angerückt. Das Wasser des Baggersees nordwestlich des Naturschutzzentrums ist bis zu 20 Meter tief.
300 000 Tonnen Kies pro Jahr
Prokurist Robert Gard skizzierte das Unternehmensprofil der Firma Rohr und betonte den Bedarf an mineralischen Rohstoffen aus dem Untergrund: Aus dem Kies-Sand-Gemisch wird Beton hergestellt. Etwa 95 Prozent werden im Bauwesen verarbeitet. Der Materialmix wird vor allem in der Region verkauft. „Ein Rohstoff, auf den wir nach wie vor nicht verzichten können“, so der Prokurist, der den Abbau als notwendigen Eingriff in die Landschaft bezeichnet, der aber auch von positiven Effekten auf Natur und Umwelt begleitet sei.
Das Kieswerk arbeitet seit der Eröffnung des Naturschutzzentrums eng mit den Nachbarn zusammen. Neben den drei Kieswerken (zwei davon in der Pfalz) betreibt Rohr auch vier Anlagen für Baustoffrecycling, in denen das Material aufbereitet wird.
An der Erlache, auf dem Terrain der alten Neckarschleife, werden bis zu 300.000 Tonnen pro Jahr abgebaut. Und das ist auf der Grundlage der bestehenden Genehmigung voraussichtlich noch 15 bis 25 Jahre lang möglich, so Gard. Die Vorkommen würden noch viel länger reichen.
Das Material wird aus etwa 26 Metern ausgebaggert und nach oben befördert. Das Gewicht des Rohstoffs ist ein maßgeblicher Aspekt für die hohen Energiekosten, die höher rangieren als die Personalkosten. Mit der schwimmenden PV-Anlage an der Erlache will Rohr am Standort erheblich energieautarker werden. tr
Der Kieswerk-Betreiber zahlt pro Jahr einen Betrag an die Stadt als Gegenleistung für die Auskiesung – den sogenannten Grubenzins. Diese Erträge fließen entsprechend eines Stadtverordnetenbeschlusses seit vielen Jahren in die Teilergebnishaushalte Naturschutz und Klimaschutz. Die Firma Wolfgang Rohr GmbH & Co. KG ließ sich das Projekt insgesamt rund 2,5 Millionen Euro kosten. Staatliche Zuschüsse gab es nicht. Weil die schwimmende Energiequelle aber ein Teil der Betriebsfläche darstellt und in die lokalen Arbeitsprozesse integriert ist, habe man sich lange rechtliche Prozesse und Genehmigungen ersparen können. „Dies hat eine für uns tragbare Umsetzung überhaupt erst ermöglicht“, so Robert Gard. Dennoch spricht er von einem hohen Aufwand, um solche PV-Inseln bauen und in Betrieb nehmen zu können.
Das Regierungspräsidium Darmstadt habe dem Konzept grünes Licht erteilt. Weil die Konstruktion aber als Bauwerk definiert ist, war ein Bebauungsplan notwendig. Die PV-Anlage in Bensheim gilt als Exot, bundesweit gibt es kaum zehn solcher Anlagen, die auf Binnengewässern schwimmen. In Frankreich ist man beim Ausbau aufgrund niedriger bürokratischer Hürden erheblich weiter.
Eine vollständige Nutzung der selbst erzeugten Energie sei für die Firma Rohr aber unrealistisch, so Gard, weil dann in den sonnenintensiven Sommermonaten eine höhere betriebliche Auslastung und somit auch mehr Personal und längere Arbeitszeiten nötig wären. Im Winter wiederum müsste man die Prozesse deutlich herunterfahren. Dies sei grundsätzlich denkbar – und beispielsweise auf Bohrinseln durchaus Praxis. Und auch bei Rohr seien flexible Arbeitszeitmodelle umsetzbar. Konkrete Ideen gebe es aber noch nicht, so der Unternehmenssprecher im Gespräch mit Fraktion und Vorstandsmitgliedern der Bensheimer SPD.
Vorteil der schwimmenden PV-Anlagen ist die Kühlung
Als Botschaft an die Lokalpolitik äußerte Gard den Wunsch, dass man Strategien für die Gewinnung erneuerbarer Energien neu denken müsse. Gerade die Photovoltaik sei ideal, um Flächen doppelt zu nutzen. Dies passiert etwa in der Landwirtschaft, wenn Agrarland von PV-Modulen „überdacht“ wird. Auch an der Erlache nutze man die Sonne, ohne dafür Land verbrauchen zu müssen. Auch an der Bergstraße gibt es bereits Solarparks über Äckern.
Schwimmende Photovoltaik weise aufgrund ihrer Modulkühlung durch das Gewässer im Vergleich zu konventionellen Freiflächenanlagen sogar gesteigerte Erträge auf. Die größte Anlage in Europa befindet sich derzeit in den Niederlanden. In Deutschland kommen geflutete Tagebauflächen, Kiesseen und Stauseen in Betracht. In der Regel wird der produzierte Strom – wie an der Erlache – direkt vor Ort genutzt. „Das passt perfekt zu unserer Arbeitsweise“, so Robert Gard.
Auch Gerhard Eppler vom Naturschutzzentrum plädierte für strengere Vorgaben beim Neubau von gewerblichen Gebäuden bezüglich einer Nutzung der großen Dächer. „Man dürfte Logistikhallen ohne PV-Module gar nicht mehr genehmigen“, forderte Eppler eine Änderung der Bauordnung. Intelligente Mehrfachnutzungen seien unabdingbar, um den Energiebedarf der Zukunft ohne gravierenden Flächenverbrauch stemmen zu können.
Im Anschluss informierte Eppler über die aktuellen Entwicklungen am Naturschutzzentrum Bergstraße. Gesellschafter sind der Kreis Bergstraße, die Städte Bensheim und Lorsch sowie die MEGB. Ende 2023 hatte man sich von der pädagogischen Leiterin Kerstin Jacobs nach weniger als einem Jahr getrennt. Als kommissarische Leiterin sprang Veronika Lindmayer ein. Die Naturpädagogin hatte die Modelleinrichtung seit seiner Eröffnung 2004 bis Anfang 2023 in dieser Funktion geführt und geprägt.
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