Bensheim. Das vorletzte Konzert der 18. Bergsträßer Bachtage bescherte den rund 70 Besuchern in der Stadtkirche Sankt Georg eine Wiederbegegnung mit dem namhaften Frankfurter Kammerchor. Geleitet wird dieses Ensemble von Wolfgang Schäfer (Jahrgang 1945), der bis 2008 als Professor für Chordirigieren an der Frankfurter Musikhochschule wirkte. Nach seinem Ausscheiden hat er den Kammerchor zusammen mit ehemaligen Studierenden gegründet, um gemeinsam weiterhin besondere Programme etwa in Sachen A-cappella-Repertoire realisieren zu können.
Ein solches Spezialitätenprogramm gab es jetzt unter dem Titel „Sing Joyfully!“ auch in Sankt Georg: Sorgfältig ausgesuchte und klug kombinierte Kostbarkeiten aus einem Zeitraum von über vier Jahrhunderten, darunter entdeckenswerte Fundstücke aus der Feder unbekannter Meister wie beispielsweise des estnischen Komponisten Cyrillus Kreek (1889-1962).
Das mit je 13 Männer- und Frauenstimmen exemplarisch ausgewogen besetzte Ensemble genügte wie schon bei seinem ersten Bensheimer Auftritt 2022 intonatorisch und interpretatorisch höchsten Ansprüchen. Die besonders klangprächtigen Renaissance-Gesänge „Ne irascaris“ und „Sing Joyfully“ des Engländers William Byrd (1543-1623) schienen als repräsentativer Programmrahmen perfekt gewählt – zwei veritable Paradenummern der Frankfurter Gäste.
Mit den bezwingend expressiven Motetten „Unsere Trübsal“ des Meininger Hofkapellmeisters Johann Ludwig Bach (1677-1731) und „Fürchte dich nicht“ des Eisenacher Hofcembalisten Johann Christoph Bach (1642-1703) erinnerte der Chor daran, dass es auch unter Johann Sebastians familiären Vorfahren exzeptionelle Könner gegeben hat. Bach-Glanz ganz ohne Musik des Leipziger Thomaskantors: Diese Horizonterweiterung passte gerade zu einem Bach-Festival nicht schlecht.
Auf ähnlich spannendes und anregendes Repertoire-Terrain begab sich der Frankfurter Kammerchor in Gestalt zweier weiterer deutscher Komponisten, die ihr vokales Schaffen dezidiert als Fortführung barocker Vorbilder verstanden wissen wollten. Vom einstigen Berliner Domchorleiter Albert Becker (1834-1899) hielten die überaus geschmeidig singenden Gäste mit dem „Kyrie“ opus 59/2 und der Psalmvertonung „Lobet den Herren“ opus 32/1 feinste romantische A-cappella-Sätze in beachtlicher Brahms-Nähe parat.
Den vielfältig sprechenden Ausdruckselan von Hugo Distler (1908-1942) fand man in seinen superb beweglich artikulierten Motetten „In der Welt habt ihr Angst“ opus 12/7 und „Lobe den Herren“ opus 6b/1 eindringlich bestätigt. Die polyphone Klarheit gerade dieser Distler-Darbietungen erschien absolut beispielhaft.
Wunderbar individuelle Farben lieferten nicht zuletzt zwei anrührend schlichte Psalmgesänge des estnischen Volksliedsammlers Cyrillus Kreek von 1923 und der innig strömende Hymnus „O magnum mysterium“ des zu Deutschlands erfolgreichsten Chorkomponisten gehörenden Mittvierzigers Simon Wawer (langjähriges Mitglied der Kölner Kantorei). Exquisite französische Orgel-Intermezzi von Gastgeber Gregor Knop waren der eingängige „Sicilienne“-Mittelsatz aus der 1932 entstandenen Suite opus 5 von Maurice Duruflé (1902-1986) und die virtuose zweite Fantasie (1936) von Jehan Alain (1911-1940).
Für den langen Schlussbeifall dankten Wolfgang Schäfer und seine 26 Choristen mit zwei leuchtkräftigen ukrainischen Volksliedern.
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