Bensheim. „Im Zeichen der Zauberkugel“ ist ein Buch über geheime Bücher und eine verbotene Tür auf dem Dachboden, über einen verschollenen Großvater und viel Zauberei – Zutaten, die zunächst recht konventionell für ein Kinderbuch erscheinen. Doch ein betulicher Märchenonkel ist der Autor Stefan Gemmel beileibe nicht. Am Dienstagmorgen las er im Rahmen des Lesefestivals im Gertrud-Eysoldt-Foyer des Parktheaters vor den dritten Klassen der Joseph-Heckler-Schule.
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Dabei war vom einfachen Vorlesen weit entfernt, was Stefan Gemmel mit viel Körpereinsatz und ausdrucksstarker Mimik bot. Der mehrfach nicht nur für sein literarisches Werk, sondern auch für sein ehrenamtliches Engagement ausgezeichnete Autor lieferte eine regelrechte Bühnenshow ab, bei der er die Kinder von der ersten bis zur letzten Minute mitnahm. Komplexere Begriffe wie „Hoffnung“ oder „Okkultes“ erklärte er, und auch, wie er überhaupt auf die Idee zu seiner Geschichte gekommen war. Die Illustrationen zum Buch von Katharina Drees projizierte der Autor als anschauliche Unterstützung an die Wand.
Anhaltende Spannung
Etwas Bewegungsanregung zwischendurch und das intelligente Einbeziehen der Kinder in das Bühnengeschehen sorgten außerdem für anhaltende Spannung und immer wieder für Gelegenheit zum Kichern. „Gibt es zwei mutige Kinder im Publikum?“ – dass hier alle Hände nach oben flogen, zeigte die Nähe, die der Autor zu seinen jungen Zuhörern aufbauen konnte. „Gibt es zwei Kinder, die mutig sind und denen nichts peinlich ist?“ Die Frage schränkte die Auswahl nur geringfügig ein. Am Ende standen zwei Kinder vorn, ließen sich vom Autor als eine Art Automat betätigen, mit dem er die Wörter „ja“ und „nein“ generierte, und hatten daran mindestens ebenso viel Spaß wie das Publikum.
Doch nicht nur solche Showelemente hielten die Kinder bei der Stange. Die Geschichte selbst bot nicht nur viel Geheimnisvolles und Exotisches, sondern auch ein gutes Stück der Realität moderner Kinder. Zum Beispiel hat Alex, die Hauptfigur der Geschichte, zwei Stiefschwestern, die seine Mutter samt neuem Ehemann aus New York mitgebracht hat – als Patchworkfamilie ein zunächst eher schlechtes Match. Doch erweisen sich die beiden vermeintlich zickigen „Terror-Zwillinge“ am Ende als mutig und hilfreich.
Denn es gilt eine verzwickte Story zu lösen, nachdem Alex auf dem Dachboden einen Geist aus einer Zauberkugel befreit hat. Es ist der von dem bösen Zauberer Argus verfluchte Junge Sahli, der vor Hunderten von Jahren in der Wüste, nahe einer orientalischen Stadt, wohnte und dorthin zurück möchte. Mit Hilfe von drei Wünschen sollte das gelingen. Doch müssen diese sorgfältig und präzise formuliert sein, damit nichts schiefgeht, legt der Autor seiner Figur Sahli in den Mund – und vermittelt seinen Lesern damit ganz unauffällig, aber wirksam ein Stück Sprachsensibilisierung.
In der Höhle des bösen Zauberers
Dennoch landen Alex und Sahli in der Höhle des bösen Zauberers, wo auch der verschollene Großvater, seines Zeichens „Professor für Zauber, Magie und Okkultes“, gefangen gehalten wird. Zwar schaffen die beiden Jungen es dank des dritten Wunsches zurück in die Gegenwart, doch bleibt die Aufgabe, den Großvater zu befreien. Hier kommen nicht nur die Stiefschwestern ins Spiel, sondern auch die schwarze, sprechende Katze Kadabra. Die Geschichte wird immer verwickelter: „Im Zeichen der Zauberkugel“ ist nur der erste Band einer Reihe, die in viele Sprachen der Welt übersetzt wurde.
Nach der Lese-Show hatten die Kinder noch Gelegenheit für Fragen. Wie viele Bücher er geschrieben habe, wollten sie zum Beispiel wissen – geschrieben seien 69, von denen aber zwölf noch auf die Veröffentlichung warten, war die Antwort. Besonders interessierte die Kinder auch ein auf den Autogrammkarten des Autors gezeigtes Bild mit Tausenden von Zuhörern. Es erinnert an den Weltrekord des Autors, mit dem er ins Guinness-Buch der Rekorde kam: 2012 hatte er mit zwei Lesungen vor jeweils über 5000 Kindern das bis dahin größte Publikum, das je die Lesung eines einzelnen Autors erreicht hatte.
Doch nicht nur er schaffte den Weltrekord, sondern auch alle Mitleser, erzählte Stefan Gemmel, und nutzte die Gelegenheit geschickt für eine lehrreiche Ankedote: Ein einziger Mensch, ein Lehrer, habe die Anerkennung nicht bekommen. Er sei erwischt worden, wie er bei der Lesung kurz auf dem Handy tippte. Also: Smartphones aus beim Kulturgenuss!
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