Bensheim. Eine Kirche ohne Bänke? Das wirft Fragen auf, „das kann als Zumutung, aber ebenso als Chance wahrgenommen werden“, erklärt Gemeindereferentin Sabine Eberle. Für sie und ihre Mitstreiterinnen sowie Pfarrer Christian Stamm überwiegen eindeutig die Chancen, die ein solches Experiment bietet.
Mit einer positiven Anspannung blicken die Organisatorinnen daher auf die Zeit nach dem 12. Februar, wenn in der Weststadtpfarrei Sankt Laurentius das Gotteshaus als besonderer Freiraum - unter diesem Schlagwort steht das gesamte Projekt - gestaltet werden soll. An jenem Sonntag werden die Kirchenbänke entfernt und denkmalschutzgerecht eingelagert, betont Pfarrer Stamm.
Ansätze für die Kirche von morgen
Dass sie eines Tages wieder in der Kirche aufgestellt werden, gilt nicht als ausgeschlossen. In den kommenden eineinhalb Jahren bis zum Sommer 2024 kann man sich in Sankt Laurentius aber auf neue Wege, frische Ideen und zukunftsorientierte Ansätze für die Kirche von morgen einlassen.
Zuletzt konkretisiert wurde das Vorhaben in einer Projektgruppe, die sich im Zuge des Pastoralen Wegs gegründet hatte. Darüber nachgedacht wurde in der Pfarrei aber schon länger, bereits vor der Corona-Pandemie gab es Überlegungen, das weitläufige Halbrund anders zu nutzen und aufzuteilen, um Begegnungen auf Augenhöhe, um eine zeitgemäßere Art der Zusammenkunft zu ermöglichen.
Das Problem mit Veränderungen
„Die Menschen wollen Veränderungen, zugleich fürchteten sie sich aber auch davor“, weiß Sabine Eberle um die Komplexität der Aufgabe. Im Pastoralraum Bensheim/Zwingenberg gibt es acht Kirche, eine davon werde nun anders gestaltet. Das bedeutet allerdings nicht, sich von bisherigen Werten und Traditionen vollends zu verabschieden.
Gottesdienste werden weiterhin in Sankt Laurentius gefeiert. Jedoch nicht mehr in einer „Frontalkonstellation“ (Pfarrer Stamm), diese passe nicht mehr in die Zeit. Vielmehr soll aus der Mitte heraus Glauben gelebt, sollen Impulse gegeben werden.
"Zumutung und Chance für den Kirchenraum"
Praktisch bedeutet das: Die Gläubigen gruppieren sich in der Mitte des Raums um einen mobilen Altar, Sitzgelegenheiten unterschiedlicher Art werden nach wie vor vorhanden sein. Selbst eine Kniebank will man aufstellen, um allen Bedürfnissen gerecht zu werden.
Mit einer Impulsreihe in der Fastenzeit wird der Freiraum-Prozess in der Anfangsphase begleitet. Immer mittwochs um 20 Uhr gibt es in der Kirche Vorträge zu verschiedenen Themenstellungen. Zum Auftakt geht es am 1. März um das Projekt selbst. Unter der Überschrift „Freiraum - Zumutung und Chance für den Kirchenraum“ soll ein Austausch zwischen den Teilnehmern entstehen.
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Unabhängig davon und den Gottesdiensten möchten die Initiatorinnen das Gotteshaus auch durch andere Veranstaltungen mit Leben füllen. „Bisher wird die Kirche in normalen Wochen für zwei bis drei Stunden insgesamt genutzt“, so Eberle. Das könnte sich mit der Neuausrichtung ändern. „Wir wollen Raum bieten für andere Begegnungen“, bemerkte Britta Schäffer, die sich zusammen mit Ulrike Meyer und Daniela Rist ehrenamtlich in der Gemeinde sowie der Projektgruppe engagiert.
Die Erfahrungen aus der Familienkirche, die bisher in der Kapelle gefeiert wurde, bestärkten sie, ein Angebot anzustreben, in dem sich alle Beteiligten auf Augenhöhe begegnen können. Perspektivisch spielt für die Gemeindemitglieder außerdem eine Rolle, den Kirchenraum von Sankt Laurentius erhalten zu können, ergänzte Ulrike Meyer.
Ein Projekt mit Modellcharakter
Hintergrund sind die Auswirkungen und die Sparzwänge des Pastoralen Wegs. Im Vorgriff der Pfarrei-Neugründung zum 1. Januar 2025 muss der Pastoralraum Bensheim/Zwingenberg bis Mitte 2024 eine Übersicht seiner Immobilien ans Bistum liefern, inklusive einer Bewertung, welche Kirche und Gebäude im Bestand bleiben sollen - und in welche abgesehen von der Verkehrssicherung nicht mehr investiert wird.
Das Projekt in der Weststadt hat daher Modellcharakter, das Gotteshaus bietet sich laut Pfarrer Stamm aufgrund seiner Konstruktion durchaus an. Den neu gewonnenen Freiraum will man nicht nur für kirchliche Aktivitäten zur Verfügung stellen. Man sei ebenso offen für ökumenische Initiativen oder beispielsweise Vereine, die in einem besonderen Ambiente Proben wollen. Denkbar ist vieles, was nicht dem Geist und der Würde des Orts entgegensteht.
„Wir freuen uns über jeden, der sich ausprobieren möchte. Es ist ein Experiment, von dem am Ende vielleicht die ganze Stadt profitieren kann“, meinte Daniela Rist. Das Organisationsteam will einen Schwerpunkt auf Kinder und Familien legen, auch die Gremien habe man eingebunden.
Wie sich der Kirchenraum ohne Bänke „anfühlt“ und aussieht, kann man am Samstag, 18. Februar um 18 Uhr in der Eucharistiefeier erleben. Für Sabine Eberle und Pfarrer Christian Stamm bedeutet die Konfrontation mit der Neugestaltung auch, gewohnte Rituale und die eigene Glaubenspraxis zu hinterfragen. „Wir machen vieles schnell an gewohnten materiellen Dingen fest. Es geht aber hier um etwas Immaterielles. Das können wir so nicht sichtbar machen, aber erleben, wenn wir zusammenkommen“, konstatiert der Leiter des Pastoralraums.
Spiritueller Raum für Begegnung
Die Organisatorinnen blicken jedenfalls gespannt auf die nächste Zeit und die Entwicklung, die ihr Projekt, das bereits im Vorfeld intensiv diskutiert wurde, nehmen wird. Für die Katholische Kirche vor Ort beinhalten solche Experimente letztlich mehr Chancen als Risiken - denn dass es zu Veränderungen kommen wird und muss, dürfte kaum auszublenden sein.
Mit der Öffnung des Gotteshauses als spirituellen Raum für Begegnungen und ein fröhliches Miteinander auch abseits von Gottesdiensten oder Andachten ermöglichen die Initiatorinnen auch den Kontakt zu und zwischen Menschen, die zunächst mit der Institution Kirche nicht viel am Hut haben.
Ein notwendiger Schritt
Doch bevor die Praxistauglichkeit des Vorhabens überprüft werden kann, steht zunächst der „Auszug“ der Kirchenbänke an - was letztlich kein leichter und alltäglicher, aber im Gesamtzusammenhang ein notwendiger Schritt ist um Freiraum in der Kirche und in den Köpfen zu schaffen.
Kontakt zum Freiraum-Team: freiraum@katholisch-bensheim-zwingenberg.de
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