Bensheim. Kleiner und bescheidener, zugleich aber auch agiler und kämpferischer, sich aktiv an gesellschaftlichen Diskussionen beteiligend – so wird sich die katholische Kirche im Jahr 2030 präsentieren, lautet die persönliche Einschätzung von Manfred Speck. Außerdem werde es mehr Offenheit und Transparenzgeben und eine stärkere Kooperation von Laien und Klerikern – aber hoffentlich keine neuen Skandale.
Der Diplom-Ökonom im Ruhestand ist Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (Zdk) und engagiert sich in der Pfarrgemeinde Heilig Kreuz in Auerbach. Im Pfarrzentrum Sankt Georg sprach Speck am Dienstagnachmittag vor den Senioren der Stadtkirchengemeinde Sankt Georg zum Thema: „Die katholische Kirche in Deutschland im Jahr 2030“.
Die Stimme der Laien
Das ZdK wurde im 19. Jahrhundert gegründet und repräsentiert die Stimme der Laien gegenüber den Klerikern – sein Gegenstück ist die Deutsche Bischofskonferenz. Die rund 230 Mitglieder des ZdK setzen sich aus Einzelpersonen – darunter die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer oder der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther – sowie aus Vertretern der Diözesen und Delegierten verschiedener katholischer Organisationen zusammen – als solcher wurde Manfred Speck für die Katholische Akademikerarbeit Deutschlands gewählt.
In mehreren Sachbereichen setzen sich die Mitglieder des ZdK mit gesellschaftlichen Fragen wie Digitalisierung, Kultur oder Geschlechtergerechtigkeit auseinander, daneben gibt es Gesprächskreise zu den Themen „Juden und Christen“ sowie „Christen und Muslime“. Wichtiges Instrument der Öffentlichkeitsarbeit sind die Katholikentage, bei denen die erarbeiteten Inhalte vorgestellt und diskutiert werden.
Newsletter "Guten Morgen Bergstraße"
Der Referent gab einen Überblick über die aktuelle Lage der katholischen Kirche: Weltweit wachse die Zahl der Katholiken, doch auch international gebe es eine Glaubwürdigkeitskrise wegen der Missbrauchsfälle innerhalb der Kirche. Aber auch die zunehmende Verfolgung von Christen in der Welt sei ein Problem. In Deutschland liege der Anteil katholischer (21,6 Millionen) und evangelischer (19,7 Millionen) Christen an der Bevölkerung bei unter 50 Prozent.
Bemerkenswert dabei auch, dass rund zehn Prozent der Katholiken in Deutschland keine deutschen Staatsbürger sind – in Berlin liegt dieser Anteil sogar bei rund 25 Prozent. Nur vier Prozent der Katholiken besuchten mindestens einmal im Monat den Gottesdienst. Als Gründe für den Rückgang – trotz weiterhin relevanter Sinnfrage des Lebens – nannte der Referent unter anderem den gegen die Gemeinschaft eingestellten Zeitgeist und den Verlust von Traditionen. Wichtige Elemente der Volksfrömmigkeit wie die Fronleichnamsprozession gingen immer mehr verloren.
Kirchensteuer: Rund 6,5 Milliarden Euro im Jahr
Derzeit finanziert sich die katholische Kirche in Deutschland vor allem durch die Kirchensteuer mit rund 6,5 Milliarden Euro Einnahmen pro Jahr. Dazu kommen die auf die Säkularisation am Anfang des 19. Jahrhunderts zurückgehenden Ausgleichszahlungen des Staates mit rund 240 Millionen Euro im Jahr – ein vergleichsweise verschmerzbarer Betrag, sollte diese Staatsleistung entfallen. Ohne Kirchensteuer jedoch, so Manfred Speck, wäre die Kirche nicht mehr handlungsfähig.
Ausgegeben wird das Geld vor allem in drei Bereichen: etwa 29 Prozentfallen für die Seelsorge vor Ort an (Kosten für die Pfarreien samt Personal), 26 Prozent für Schulen und Hochschulen und 17 Prozent für Caritas und Kitas. Etwa drei Prozent, so Speck auf Nachfrage, gehen an die Weltkirche, also unter anderem an Rom.
Zur Darlegung der Situation der Kirchen zitierte der Referent auch die inzwischen schon zum vierten Mal durchgeführte Befragung der Bertelsmann-Stiftung „Religionsmonitor 2023“. Jedes vierte Kirchenmitglied in Deutschland hat demnach im vergangenen Jahr über einen Austritt aus der Kirche nachgedacht. Jedes fünfte Kirchenmitglied hatte eine feste Austrittsabsicht. Als Gründe dafür wurden – neben dem durch die aufgedeckten Missbrauchsfälle verloren gegangenen Vertrauen – genannt: Man könne auch ohne Kirche Christ sein, die Kirche habe zu viel Macht und genieße ungerechte Privilegien.
Auf zwei Wegen versucht die katholische Kirche in Deutschland dieser Situation entgegenzuwirken. Der „Synodale Weg“, als Reaktion auf das Bekanntwerden von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche, behandelt das Problem nicht als Fehlverhalten von Einzelnen, sondern als strukturelles Problem der Kirche. Er entstand auf gemeinsamen Beschluss der Deutschen Bischofskonferenz und des ZdK.
Der Synodalversammlung gehören Vertreter des ZdK und alle Bischöfe an, aber auch junge Menschen und Einzelpersonen. Sie ist zunächst zeitlich begrenzt, soll jedoch zur Dauereinrichtung werden, was von Rom sehr kritisch gesehen werde, sagte Speck. In drei der vier bearbeiteten Themenkreise – „Macht und Gewaltenteilung“, „Priesterliche Lebensform“ und „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“ – herrsche großes Einverständnis. Der Themenkreis „Sexualmoral“ jedoch, bei dem der Sexualkatechismus der Kirche hinterfragt werde, habe bei den Bischöfen nicht die notwendige Zweidrittelmehrheit erlangen können.
Der „Pastorale Weg“ im Bistum Mainz dagegen stehe unter dem Motto „Eine Kirche, die teilt“. Ergebnisse sind unter anderem die Einrichtung von Pastoralräumen und die Reduzierung der Priesterstellen. So gibt es im Pastoralraum Bensheim-Zwingenberg seit Mitte 2022 nur noch drei Priester für derzeit noch etwa 13 600 Katholiken. Außerdem sucht man nachneuen Formen für den Gottesdienst, insgesamt wächst der Projekt- und Eventcharakter des kirchlichen Lebens.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim_artikel,-bensheim-die-kirche-will-offener-werden-und-keine-skandale-mehr-produzieren-_arid,2039030.html