Woche junger Schauspieler

Ein Stück ohne Worte bei der Woche junger Schauspieler

„Once I Lived With A Stranger. Ein Phantombild“ von Marie Schleef wurde im Bensheimer Parktheater gezeigt.

Von 
Elena Karas, Emma Grub, Ben N. Leenen
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Bensheim. Ein tiefer Bass dröhnt durch den Saal, gräbt sich immer tiefer in den Geist ein. Eine junge Frau mit grellroten Locken wandelt in Zeitlupe über die Bühne. Im kalten Licht der Scheinwerfer wirkt es fast so, als würde sie von ihren eigenen Schatten verfolgt werden: „Jemand wohnte heimlich bei mir“. Das sind die Gedanken der namenlosen Protagonistin des Werks „Once I Lived With A Stranger. Ein Phantombild“ von Marie Schleef, das am Dienstag im Rahmen der Woche junger Schauspieler im Bensheimer Parktheater gezeigt wurde.

Dieses sehr besondere Theaterstück, am 9. September 2022 in Köln uraufgeführt, war am Dienstag bei der Woche junger Schauspieler im Bensheimer Parktheater zu Gast. Marie Schleef wird für ihre zweite Regiearbeit am Schauspiel Köln am Samstag in Bensheim mit dem Kurt-Hübner-Regiepreis ausgezeichnet. In diesem Stück entspricht nichts den üblichen Sehgewohnheiten.

Ein Stück ganz ohne Worte

Das Publikum wird in eine Welt des Dunkels und der Wortlosigkeit gezwungen, in der das überlaute Tropfen eines Wasserhahns den ganzen Saal zusammenfahren lassen kann. Die Bühne wird dominiert von der beinahe tempelartigen, strahlend weißen Wohnung der Protagonistin, flankiert von einem riesigen Kaktus und schwach beleuchtet von einem ewig abnehmenden Mond (Bühne und Kostüm: Lina Oanh Nguyen).

Nach ihrem Umzug im Frühjahr 1995 glaubt die Protagonistin, auf ihrem Dachboden Schritte zu hören. Türen öffnen und schließen sich ohne ihr Zutun und Vorräte verschwinden wie von Geisterhand. Rationale Erklärungsversuche versagen und sie verstrickt sich in ihre Ängste. Begleitet von einer immer weiter anschwellenden Soundkulisse verfällt sie zunehmend einer Paranoia, die am Ende sogar einen SEK-Einsatz fordert.

"Theaterkritik" am AKG

Elena Karas, Emma Grub und Ben N. Leenen, Autorinnen und Autor dieses Textes, besuchen den Deutsch-Leistungskurses, Q2, am AKG unter der Leitung von Andrea Klein. Sie nehmen am SchülerprojektTheaterkritik“ teil, das die Deutsche Akademie der Darstellen- den Künste in Kooperation mit dem Bergsträßer Anzeiger auch in diesem Jahr fortgesetzt hat. Die Teilnehmer besuchen die Stücke der WJS und verfassen Rezensionen zu den Aufführungen, die auf der BA-Homepage online oder – wie der heutige Text – auch in der Printausgabe zu lesen sind.

Der vermeintliche Eindringling wird nicht gefunden. Wie durch eine Lupe erscheinen auf dem Bühnenmond Projektionen der verzerrten Wahrnehmung der Frau – ein Marienkäfer, der Abfluss, ein Hündchen. Gesprochen wird nie. Alltägliche Begegnungen sind der Horror ihrer kleinen Welt. So empfindet sie den fallengelassenen Eisstiel eines Passanten beinahe als sexuellen Übergriff.

Neben den sechs Schauspielerinnen und Schauspielern, die Passanten und SEK-Einsatzkräfte spielen, ist es besonders Kristin Steffen, Ensemblemitglied am Schauspiel Köln, die das Publikum mit ihrem körperintensiven Spiel durch den Strudel aus Apathie und Hysterie ihrer Figur führt. Sie wälzt sich auf einer ihrer vielen Kakteen und scheint ihren Schmerz so gleichsam zu umarmen.

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Auf vielen Ebenen beschäftigt sich das Stück mit Fremdheit. Auf dem Hausdach erscheint das Sprichwort „My Home Is My Castle“. Das wendet sich für die Protagonistin ins Gegenteil. Die sichere Burg wird zum Gefängnis, in dem sie sich vor der Außenwelt verschließt. Die Wahl der Zimmerpflanzen ist kein Zufall. Einem Kaktus gleich hat die Protagonistin die Stacheln gegen alles Fremde ausgefahren. Ironischerweise ist es der Fremde, der sich über diese Stacheln hinwegsetzt, indem er in ihr Haus eindringt.

Dieser Theaterabend hat polarisiert, weil er nicht leicht zu konsumieren war, sondern alle Sinne herausforderte. Einige wenige Besucher verließen schon früh den Saal, erschlagen von der physischen Übergriffigkeit des bohrenden Basstons. Die Verbleibenden jedoch spendeten am Ende verdient großen Applaus.

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