Auerbach. „Und Sie sind dann David Bowie und Sie sind Elvis? – Ja. – Sehr gut. Wenn man die Stars ungeschminkt sieht, sehen sie auch immer scheiße aus“, kommentiert die Cruise-Managerin lakonisch. Schon blöd, wenn man sich mit heißer Ware unter Deck verstecken will und dann ausgerechnet als musikalischer Imitator auf die Schiffsbühne muss.
Schauspieler Bernhard Schütz im hautengen Dress als Ziggy-Stardust-Double mit aufgemaltem Blitz im Gesicht ist allerdings eine veritable Wucht. Im Kinodebut „Das schwarze Quadrat“ vom Bensheimer Regisseur Peter Meister spielt er den Kunstdieb Vincent Kowalski, der mit seinem Kumpan Nils Forsberg (Jacob Matschenz) kurz vor dem Ziel in dramatische Ereignisse auf hoher See verwickelt wird.
Das dritte Europa-Film-Fest im Auerbacher Kronepark wurde am Freitag mit einem Heimspiel eröffnet. Das Publikum erlebte eine deutsche Filmkomödie, die Hoffnung macht, dass dieses Genre doch noch nicht vollends abgesoffen ist. Der Film wurde als Eröffnungsstück bei den Hofer Filmtagen 2021 aus dem Stand heraus mit dem Kritikerpreis (Beste Produktion) und mit dem Förderpreis Neues Deutsches Kino als bester Film ausgezeichnet.
Für das Drehbuch erhielt Meister den Tankred-Dorst-Preis 2018. Ein ebenso intelligenter wie komischer Film, der perfekt als Ouvertüre des Freilicht-Festivals gepasst hat. Leichte Unterhaltung an einem lauen Sommerabend, der nach Angaben der Veranstalter ausverkauft war. Bis 27. August ist der Kronepark ein Open-Air-Kino. Die Gastgeber servieren Filmkunst aus acht europäischen Ländern – wie in den vergangenen Jahren präsentiert von den Bensheimer Partnerschaftsvereinen und Freundeskreisen.
Ein aromatisches Konzept
Ein aromatisches Konzept, das seinesgleichen sucht. Weil die Vereine an der Auswahl der Stücke beteiligt sind, öffnet sich ein facettenreiches und internationales Programm abseits des Kino-Mainstreams, das sowohl für Film-Conaisseure wie für ein großes Publikum einiges zu bieten hat.
Die Spannweite reicht vom Arthouse-Kino bis zum Kultfilm. Alfred Speiser, Programmkinochef der „Brennessel“ in Hemsbach, betonte im Rahmen der Eröffnung die Vielfalt der Genres als reizvollsten Fundus seiner Branche, die nach der Pandemie noch in einer Phase der Rekonvaleszenz steckt. Umso erfreuter war Speiser, dass Festival bereits zum dritten Mal im Schulterschluss mit dem Bensheimer Luxor-Filmpalast präsentieren zu können. Zwar ohne erneute Fördermittel vom Land Hessen, dafür aber mit Unterstützung der Stadt Bensheim und etlichen lokalen Sponsoren.
Kurzfilm der Video-AG des Goethe-Gymnasium wird am Sonntag erneut gezeigt
Auch die Auerbacher Geschäftswelt ist beim Europa-Filmfest eingebunden. Der Gewerbekreis organisiert täglich eine Tombola mit Preisen von Mitgliedsfirmen, wie der stellvertretende Vorsitzende Wolfgang von Holtum mitteilte.
Mit dem Erlös soll ein neuer Elektromotor für die „Auerbahn“ angeschafft werden, die für gewöhnlich bei örtlichen Festivitäten wie Kerb und Weihnachtsmarkt im Einsatz ist.
Als Bonbon präsentierten die Veranstalter den Kurzfilm „Die Deckokratietatur“ von der Video-AG des Goethe-Gymnasiums. Die aufwändig gestaltete Produktion wurde unter anderem beim „Bundes.Festival.Film“ mit einem Preis ausgezeichnet. Für die Video-AG war Leni Matthes im Kronepark dabei.
Nach dem Publikumsapplaus für die Video-AG haben sich die Veranstalter spontan entschlossen, den Beitrag auch am Abschlusstag des Europa-Film-Fests am 27. August in Anwesenheit von Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Schauspielerin Sunnyi Melles zu zeigen.
Für Bensheimer Schüler soll es freien Eintritt – inklusive Popcorn – geben. Für das nächste Jahr wollen die Organisatoren außerdem einen Schulkurzfilm-Preis ausloben.
Das Festivalplakat wurde von Jürgen Klaban (Behindertenhilfe Bergstraße) gestaltet. Es ziert auch den Flyer mit dem Programm der Bensheimer Partnerschaftsvereine und Freundeskreise.
Die internationale Spanweite umfasst England, Frankreich, Italien, Polen, Ungarn und Tschechien mit den Partnerstädten Amersham, Beaune, Hostinné, Klodzko, Manlay, Mohács, Riva del Garda und Pfaffenheim.
Höhepunkt des Open-Air-Kinos dürfte die Verleihung des Festivalpreises „Bensemer Europa“ an die Schauspielerin Sunnyi Melles werden. Sie erhält den von Doris Bambach gestalteten Preis als Nachfolgerin von Regisseur Leander Haußmann für ihre beeindruckende Mitwirkung in „Triangle of Sadness“. Sie wird am Sonntag um 20 Uhr in Auerbach erwartet.
Das Catering zum Europa-Filmfest haben der Auerbacher Weinhandel Frihmess und das Bensheimer Restaurant La Rina übernommen, die zu den Herkunftsländern der Filme passende Wein- und Pinsa-Spezialitäten anbieten. tr
Bürgermeisterin Christine Klein sprach von einem kulturellen Höhepunkt und von einem Zeichen der europäischen Solidarität in politisch schwierigen Zeiten. In Bensheim würden das internationale Miteinander und die europäische Idee durch die Freundeskreise und Partnerschaftsvereine aktiv gelebt.
Klein verwies aber auch auf den lokalen Bezug des Eröffnungsfilms, in dem auch die Preisträgerin des Gertrud-Eysoldt-Rings 2019, Sandra Hüller („Toni Erdmann“) zu sehen ist. Als kunstsinnige Ex-Galeristin Martha, die nach einem Seitenwechsel jetzt für russische Oligarchen arbeitet, ist sie ein echter Glücksgriff Meisters, der seine Protagonisten – wie er das gerne macht – in eine in sich geschlossene Szenerie sperrt und sie aufeinander losgehen lässt. Der Bauch des Kreuzfahrtschiffes ist eine schwimmende Bühne, ein Mikrokosmos für sich, in dem sich die innere Spannung der Handlung wunderbar entladen kann. Es entwickelt sich ein amüsantes Katz- und Maus-Spiel, das bei aller Komik niemals ins Lächerliche oder Platte abdriftet.
Ein irrwitziger Kampf
Der irrwitzige Kampf um die 60 Millionen Dollar teure Ikone „Das schwarze Quadrat“ des Malers Kasimir Malewitsch, die Verwirrung um die Kopie des Gemäldes und die strategischen Ausrutscher von zwei liebenswerten Kleinkriminellen machen diese Komödie zu einem skurrilen Kammerspiel, in dem der Regisseur viel von der Psychologie seiner Figuren offenbart: fein gezeichnete Charaktere, die im Kopf des Zuschauers hängenbleiben.
Peter Meister ist 1987 in Bonn geboren und in Bensheim aufgewachsen. Er hat die Schlossbergschule und das AKG (Abitur 2006) besucht, danach folgte ein Studium der Filmwissenschaft, Literatur und Philosophie in Mainz. Bereits während dieser Zeit begann er, praktische Erfahrungen zu sammeln, etwa durch Assistenzen und Praktika im Filmbereich, unter anderem durch eine Hospitanz in der ZDF-Redaktion „Das kleine Fernsehspiel“ und als Regieassistent am Theater.
Ab 2008 produziert er die ersten Kurzfilme. Mit „Es war feucht, dunkel und roch nach Holz“ hatte er 2015 die finalen 14 Minuten im Inneren des Trojanischen Pferdes inszeniert, bevor die griechischen Helden sich aufmachen, die Stadt zu erobern. Ein Kurzfilm über eine der berühmtesten Spezialeinheiten der mythologischen Geschichte.
Der Kinostart von „Das schwarze Quadrat“ fiel mitten in die Hochphase der Pandemie. Für die Filmbranche damals eine Durststrecke mit ungewissem Ausgang. Der Regisseur und Drehbuchautor hatte Glück und konnte als Stipendiat der Drehbuchwerkstatt München sein Langfilmdebüt realisieren. Die Dreharbeiten fanden im Frühjahr und – nach einer corona-bedingten Unterbrechung – im Sommer 2020 statt. Gedreht wurde unter anderem in einem Bad Wildunger Hotel und in einem Hamburger Theater.
Bensheimer Drehorte
Für seinen 2017 produzierten Kurzfilm „Menschenjagd“ hatte sich Peter Meister Sets im Wald oberhalb des Fürstenlagers, am Schönberger Sportplatz sowie beim alten Bensheimer Hospitalgebäude ausgesucht. Er kennt die Stadt seit seinem dritten Lebensjahr. Und er schätzt sie auch als Filmkulisse.
Hier hat er damals auch seine Produktionsfirma Kabakon Film & Medien etabliert. Und auch in seinem Kinodebut gibt es etliche Bensheim-Bezüge, wie das Auerbacher Publikum erkennbar angetan zur Kenntnis nahm. Ein Teil der Mitwirkenden war im Kronepark dabei. „meine ganze Familie ist daran beteiligt“, so Peter Meister im Gespräch mit Frank Krause, dem künstlerischen Leiter des Kino-Festivals. In Auerbach verriet Meister, dass es sich bei seinem nächsten Projekt um eine Vampir-Komödie handeln wird.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim_artikel,-bensheim-ein-heimspiel-zum-auftakt-des-bensheimer-europa-film-fests-_arid,2117109.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim.html