Bensheim. Martina Evertz, neu gewählte Vorsitzende des Vereins Frauenhaus Bergstraße, Stellvertreterin Konstanze Hiemenz und der gesamte Vereinsvorstand strahlten am Montag nicht nur mit Landrat Christian Engelhardt sondern auch mit der so lange herbeigesehnten Frühlingssonne um die Wette.
Es war ein guter Tag für das Frauenhaus, in dem seit Inbetriebnahme vor 34 Jahren schon mehr als 3000 Frauen und Kinder bis zu 17 Jahren Schutz vor Gewalt und Misshandlung gesucht sowie eine vorübergehende Unterkunft und ein sicheres Umfeld gefunden haben.
Für einen neuen Sandkasten
Es war ein guter Tag, auch wenn das von der ehemaligen Vorsitzenden Christine Klein immer wieder formulierte Langzeitziel, das Frauenhaus möge irgendwann seine Existenzberechtigung verlieren und häusliche Gewalt gegen Frauen für immer der Vergangenheit angehören, wohl für immer Wunschdenken bleiben wird. Freude und Genugtuung waren den fünf Mitarbeiterinnen, den Vorstandsmitgliedern und Vertretern des Eigenbetriebs Gebäudewirtschaft des Kreises Johannes Kühn und Stefan Lienert sowie Miriam Triefenbach vom gleichnamigen Ingenieurbüro, an diesem Tag dennoch anzusehen.
Denn der erste von insgesamt drei Bauabschnitten „eines umfangreiches Bauvorhaben“, so Landrat Engelhardt beim ersten Spatenstich im Sommer 2021, die Generalsanierung und der Ausbau der kompletten, in die Jahre gekommenen, denkmalgeschützten Wohnanlage, ist jetzt abgeschlossen.
Baukosten 620 000 Euro
Für rund 620 000 Euro wurde im hinteren Garten des Frauenhauses ein eingeschossiger Verwaltungstrakt in Holzbauweise mit Büros und zeitgemäßen Arbeitsplätzen fertiggestellt. Dort stehen den Mitarbeiterinnen, die ihre Arbeit viele Jahre lang in äußerst beengten Verhältnissen verrichten mussten, nunmehr separate Räume mit moderner Ausstattung zur Verfügung, in denen Beratungsgespräche in geschützter Atmosphäre stattfinden können. Außerdem gibt es in dem Pavillon einen Gemeinschafts- und Sozialraum.
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Bis zum geplanten Ende der Baumaßnahme investiert der Kreis Bergstraße als Träger des Frauenhauses voraussichtlich rund 3,5 Millionen Euro. Die Steigerung der Gesamtsumme um cirka 700 000 Euro (ursprünglich veranschlagt waren 2,8 Millionen Euro) begründen die Mitarbeiter der Kreisverwaltung mit den Preissteigerungen in der Bauwirtschaft.
Bis 2023 soll die Sanierung des Gesamtensembles, die in Zusammenarbeit mit der Denkmalschutzbehörde stattfindet, abgeschlossen sein.
Vorübergehende Ausweichquartiere gesucht
Als zweiter Bauabschnitt folgt in den nächsten Monaten nach und nach der Um- und Ausbau des Kinderhauses, der drei Wohnhäuser mit Sanitärbereich und den elf Familienzimmern sowie der Heizungstechnik, die ebenfalls auf den neusten Stand gebracht wird und des Außenbereichs. Leitungen und Sanitäranlagen befinden sich obendrein in einem nicht mehr zeitgemäßen Zustand.
Auch die hohe Fluktuation ist an dem denkmalgeschützten Gebäude nicht spurlos vorüber gegangen. Für die Zeit der Sanierung der Familienplätze sucht der Verein noch vorübergehende Ausweichquartiere für die Frauen und Kinder.
Landrat Engelhardt betonte bei der Einweihung des Verwaltungstraktes die besondere Herausforderung, die „ein Bauen im Bestand während des laufenden Betriebes“ mit sich bringt. Man habe alles unternommen, um die Privatsphäre der Frauen während der Bauphase zu gewährleisten. Dazu zähle auch eine Verschwiegenheitsverpflichtung mit den ausführenden Unternehmen. Ein Bauzaun schütze die Bewohnerinnen zudem vor neugierigen Blicken.
Ein seit Jahren bestehendes, noch immer ungelöstes Problem, ist die mittlerweile lange Aufenthaltsdauer der Frauen in dem Haus - teilweise bis zu mehreren Jahren. Grund: der eklatante Mangel an preisgünstigem Wohnraum im Kreis Bergstraße. Oft übernehme das Jobcenter die Miete. Trotzdem, so bedauerte Engelhardt, gebe es bei Vermietern Bedenken und Vorbehalte gegenüber alleinerziehenden oder alleinstehenden Frauen. Wichtig sei zudem für traumatisierte Kinder, dass sie im optimalen Fall nicht aus ihrem gewohnten Umfeld wie Schule und Kindergarten gerissen würden.
Bundesweit fehlen über 14 000 Frauenhausplätze
Am Rande der kleinen Einweihungsfeier verwies der Landrat auch auf die Istanbuler Konvention des Europarats, in der sich die Unterzeichnerstaaten dazu verpflichten, offensiv gegen alle Formen der Gewalt, vor allem der häuslichen Gewalt gegen Frauen und Mädchen, vorzugehen und Schutzunterkünfte bereitzustellen.
Fakt ist, dass in Deutschland jeden dritten Tag eine Frau durch ihren (Ex-) Partner getötet wird und die Polizei täglich Tötungsversuche registriert. Trotzdem fehlen bundesweit über 14 000 Frauenhausplätze. Im Kreis Bergstraße gibt es ein einziges Haus, in dem Mädchen, Frauen und Kinder Zuflucht vor Gewalt finden.
Hier sieht der Landrat vor allem das Land in der Pflicht, den ersten Schritt im Hinblick auf eine gesicherte Finanzierung und Bereitstellung von Fördermitteln für eine weitere Immobilie bereitzustellen.
Seit vielen Jahren ist das Frauenhaus Bergstraße meist bis zu hundert Prozent belegt. Mehr als 2500 Schutz suchende Frauen und über 3000 Kinder mussten im Lauf der Jahre abgewiesen werden
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