Parktheater

Ein Festessen für Musik-Feinschmecker

Standing Ovations für grandiosen Auftritt des Tingvall Trio / Neues Album „Birds“ aus live ein Hörgenuss

Von 
Thomas Tritsch
Lesedauer: 
Das Tingvall Trio mit Martin Tingvall (Piano), Omar Rodriguez Calvo (Kontrabass) und Jürgen Spiegel (Drums und Percussion) begeisterte im Parktheater. © Thomas Neu

Bensheim. Sie möchte nur noch Musik inszenieren, die ihr persönlich sehr gut gefällt: Mit ihrem jahrelangen Faible für das Tingvall Trio war Margit Gehrisch („Die Veranstalterinnen“) am Samstag nicht allein. Das Konzert im Parktheater bot virtuosen Jazz vom Allerfeinsten. Auf dem neuen und neunten Album „Birds“ präsentiert sich eine der langlebigsten deutschen Jazz-Formationen noch ausgefeilter und facettenreicher als in den 20 Jahren zuvor. Das Bensheimer Publikum erlebte drei exzellente Musiker und neue Kompositionen, die neben technischer Klasse und mitreißender Dynamik auch eine gesellschaftskritische Botschaft transportieren: Das verlorene Gehör für die Musik der Natur und die mangelnde Wahrnehmung ökologischer Notrufe in einem globalen Maßstab.

Mit „Birds“ hat der schwedische Pianist Martin Tingvall den Sound des Trios weiter verfeinert und auf eine neue Ebene gehoben. Gemeinsam mit den erstklassigen Kollegen Omar Rodriguez Calvo am Kontrabass und Jürgen Spiegel am Schlagzeug servierte die internationale Band mit Sitz in Hamburg aufregende Arrangements mit einer gewohnt spannungsgeladenen Dramaturgie und dem typisch kathartischen Finale. Melodische Improvisationen, kristallklare Klänge und farbenreiche Stilcollagen, die bei aller komplexen Textur leicht ins Ohr gehen und sich von dort aus im gesamten Resonanzkörper breit machen.

Ein musikalisches Füllhorn, das den reinen Jazz-Begriff bis an seine Grenzen strapaziert, sofern in diesem Genre überhaupt welche existieren. Tingvalls freigeistiges musikalisches Verständnis und die unprätentiöse Art, seiner Klangsprache Ausdruck und Form zu verleihen, haben das Bensheimer Konzert zu einem Festessen für Musik-Feinschmecker gemacht. Leicht bekömmlich statt schwer verdaulich.

Mehr zum Thema

Weltmusik

Hazmat Modine im Parktheater

Veröffentlicht
Von
red
Mehr erfahren
Bergsträßer Jazzfestival

Bergsträßer Jazzfestival zu Gast bei Maiway in Bensheim

Veröffentlicht
Von
Thomas Tritsch
Mehr erfahren
Musikfestival

Maiway bringt die Bensheimer Innenstadt zum Leuchten

Veröffentlicht
Von
ro
Mehr erfahren

Es war das dritte Mal, dass Margit Gehrisch das Trio auf die Bühne geholt hat. Nach den Konzerten im Musiktheater Rex – in Lorsch und zuletzt 2016 in Bensheim – erwies sich das Parktheater als passender Rahmen für den homogenen, kraftvollen und sehr plastischen Sound der Band, der es mühelos gelingt, aus leisen meditativen und lyrischen Momenten und energetisch explosiver Wucht kreative Spannungsmomente zu erzeugen, die eine eindrucksvolle musikalische Schöpferkraft offenbaren, ohne sich in intellektueller Kopflastigkeit sperrig zu verkünsteln. Diese Musik ist kompliziert zu spielen und einfach zu hören. Das macht ihre Art von Jazz auch für junge Hörer interessant. Kein Wunder, dass „Birds“ nach seiner Veröffentlichung im letzten Jahr die Deutschen Jazz-Charts angeführt hat.

Gleich der Opener „Woodpecker“ erweist sich als Ohrwurm mit komplexer organischer Struktur und lautmalerischen Stilmitteln, die Klang in Bilder verwandeln. Das rhythmisch tänzelnde „Africa“ transportiert unbeschwerte Leichtigkeit und episch-narrative Sequenzen, während „SOS“ als dramatischer Hilferuf angesichts drohender Umweltzerstörung und als Appell für Frieden verstanden werden soll.

AC/DC und Bill Evans reichen sich die Hand

An Klangperlen war der Abend überaus reichhaltig. Das impressionistische langsame Stück „The Day After“ wird von dem funkigen „Air Guitar“ abgelöst, mit dem das Trio Carlos Santana die Ehre erweist. Auch hier fließt der Stil der Band zwischen Jazz, Rock, Latin, Klassik und Pop. Dabei erweitert der Kubaner Omar Rodriguez Calvo sein weites und kraftvolles Soundspektrum durch einen gestrichenen Kontrabass, während Jürgen Spiegel immer wieder muskulös-monumentale Drumgewitter entfacht, die majestätische Tiefe mit feingliederiger Sensibilität und pointierter Percussion vereinen. Es verwundert nicht, dass Spiegel auch harten Rock zu schätzen weiß. AC/DC und Bill Evans reichen sich die Hand.

Ansonsten fliegt der Abend quer durch das ornithologische Spektrum: Das zupackende Titelstück „Birds“ flattert in einem betörenden Groove, die „Birds of Paradise“ entfalten swingend ihre Pracht. Zu Beginn des zweiten Sets landet der Kleiber („Nuthatch“) im Parktheater, und auch der winzige Kolibri („Hummingbird“) wird mit eleganter Notenkunst zum Leben erweckt.

Eine motivreiche Musik, die von einem höllisch guten Zusammenspiel lebt, die drei Musiker scheinen sich intuitiv zu verstehen und lassen ihrer beredten instrumentalen Neigung auf der Bühne maximalen Auslauf. Mehrere „Echo Jazz“-Preise als Ensemble und Live-Act des Jahres, insgesamt sechs Jazz-Awards in Gold und unzählige weitere Auszeichnungen säumen die über 20-jährige Band-Biografie, die mit „Birds“ einen weiteren Höhenflug erlebt. Auch live ist das Album ein Genuss.

Aus dem 2020er Werk „Dance“ stammt der Song „Tokyo Dance“, bei dem das Trio sehr rhythmisch und energisch agiert. Eine verführerische Mischung aus federleichten Grooves und einnehmenden Melodien, die eine traumhafte Interaktion dreier Ausnahmemusiker aufweist und den typisch luftigen Sound erkennbar macht.

Jeder Song atmet eine eigene Atmosphäre, doch bei aller verspielten Vielfalt klingt alles logisch, reif und homogen wie aus einem Guss. Positive Stimmungen werden von politischen Kommentaren flankiert, trotz der jazzigen Grundnote zeigt das Trio nach wie vor keinerlei Scheu vor populärer Musik. Dennoch biedert sich der Jazz nicht dem Pop an, er liefert sich nicht aus.

Das Bensheimer Publikum erlebte eine spannende und abwechslungsreiche Musik, mal lyrisch, mal energiegeladen, aber immer ästhetisch und klangschön, differenziert und hoch entwickelt. Mal klein und intim, mal brachial und orchestral. Der spezielle Tingvall-Trio-Sound bleibt vertraut und dennoch in Bewegung.

Am Ende gibt es im Parktheater stehende Ovationen – und mehrere Zugaben.

Freier Autor

Copyright © 2025 Bergsträßer Anzeiger

VG WORT Zählmarke
  • Winzerfest Bensheim