Bensheim. Jetzt gibt es nichts mehr dran zu rütteln: Die fünfte Jahreszeit ist da. Oder aber, zählt man das Winzerfest mit, wie Bürgermeisterin Christine Klein es tut, dann ist Fastnacht tatsächlich die sechste Jahreszeit.
Wer am 11.11. die TV-Nachrichten und die dort gezeigte Euphorie in den Narren-Hochburgen verpasst haben sollte und völlig ahnungslos seine Samstag-Einkäufe erledigte, der wurde spätestens in der Bensheimer Fußgängerzone mit dem Phänomen Fastnacht konfrontiert. Die Kampagne 2022/23 wurde dort mit lauten Trommelklängen der BKG-Landsknechte, Eijo-Rufen aus dem Publikum, mit Narhalla-Marsch und Stimmungsliedern vom Duo Jens und Martin und der Freiheitshymne von Marius Müller-Westernhagen (gesungen von Heidi von den BKG-Voices) offiziell eingeläutet.
Feiern trotz vieler Krisen
Unter dem Motto „Die BKG trifft närrische Freunde“ hatte die Bensheimer Karneval-Gesellschaft Abordnungen befreundeter Vereine und natürlich diejenigen Närrinnen und Narren zum Hospitalbrunnen geladen, die es kaum erwarten konnten, bis das vierfarbbunte Spektakel wieder an den Start geht.
Vereinsvorsitzende Renate Schütz nahm allen Zweiflern und Kritikern, die angesichts der schwierigen Weltlage, angesichts von Krieg und Energiekrise mit dem Narren-Regiment hadern, den Wind aus den Segeln. Es sei, so Schütz unter dem Beifall der Zuschauer, auch in schweren Zeiten moralisch vertretbar, zu feiern und miteinander unbeschwerte Stunden zu verbringen. Und zwar live.
Christine Klein jedenfalls zierte sich kein bisschen und rückte bereitwillig den Rathaus-Schlüssel an die Obernarren der BKG raus. Freiwillig, versteht sich – was mit Blick in den leeren Stadtsäckel nicht weiter verwundert. „Macht was draus“, konterte sie den Frotzeleien von Sitzungspräsident Hans Bang, der versprach, den inflationären städtischen Haushalt mittels eines Rechenschiebers wieder ins Lot zu bringen.
Dem launigen Seitenhieb von Andreas Mayer vom Karnevalverein Narhalla Zwingenberg, „wenn Bensem in Schulden versaufe, könnt ihr ja Bensem an Zwingenberg verkaufe“, entgegnete die Rathauschefin mit dem Angebot, ihren Amtskollegen Holger Habich als Praktikanten einzustellen.
Ehe den Närrinnen und Narren ganz offiziell die Schlüsselgewalt übertragen wurde, gab es zunächst eine Menge Rambazamba auf die Ohren. Die Stimmung war ausgelassen – es wurde geschunkelt, gesungen, geklatscht und auch getanzt. Hans Bang freute sich diebisch, dass die Zeit des Masketragens vorbei ist. Im Publikum konnte er jedenfalls niemand mit Stoff vor Mund und Nase entdecken. Ein echter Hingucker allerdings waren die wunderschönen, kreativen und aufwendig geschnitzten Hasenmasken der Mitglieder von Lorschs jüngstem Fastnachtsverein, den Rock’n Rabbits, mit Oberhäsin Sabrina Scheller an der Spitze.
Das Mikrofon war an diesem Tag für die geladenen Politikerinnen und Politiker tabu und stand allein den Abordnungen von Narhalla Zwingenberg, der Bensheimer Frauenfastnacht (Astrid Dochtermann-Hofmann), den Grieseler Rote Funken und dem Komitee der Hepprumer Straßenfastnacht zur Verfügung. „Wir feiern nicht Fastnacht, wir lösen Probleme“, zeigte sich Andreas Mayer schlagfertig und gab sich gleichzeitig kampfeslustig.
In Versform legte er den Finger in so manche Wunde, welche die Närrinnen und Narrhallese derzeit schmerzt. So knirsche es durchaus ab und zu in der Kommunikation mit der Verwaltung, altbekannte Strukturen seien in den vergangenen zwei Jahren weggebrochen und bei 19 Grad Raumtemperatur lasse es sich halt nur schwerlich mehrere Stunden lang bei einer Prunksitzung aushalten.
Zwar gebe es in Zwingenberg keinen Marktplatz- und keinen Bürgerhauskonflikt, aber „dafür haben wir Rodau an der Backe“, frotzelte er augenzwinkernd – und erntete jede Menge Gelächter. Moritz Ambos, Sitzungspräsident der Grieseler Rote Funken, und die Vorsitzende Sybille Weihrich machten Werbung in eigener Sache und versprachen „Amüsement bis zum Anschlag“. So sei es nicht ganz ausgeschlossen, dass das Bürgerhaus am Ende der Kampagne „noch mal renoviert werden muss“.
Die Abordnung der Hepprumer Straßenfastnacht mit Norbert Weiser, Hans-Peter Rauen und der neuen Schirmherrin, Kerstin Fuhrmann, alias „Kerstin aus dem Paragraphendschungel“, rührten die Werbetrommel für den närrischen Gaudiwurm, der sich am 19. Februar durch die Straßen der Kreisstadt schlängelt.
Party mit Erbsensuppe
Nachdem die Närrinen und Narren ab sofort bis Aschermittwoch das Zepter in der Hand halten und uneingeschränkten Zugang zum Rathaus haben, nachdem sich die Fastnachter zum Kampagnenstart warmgelaufen hatten, ging die Party am Hospitalbrunnen mit deftiger Erbsensuppe von der Freiwilligen Feuerwehr und Getränken nach Wunsch noch eine Weile weiter.
Die BKG lädt unter dem Motto „Herz-Beben 2023“ zu zwei Elferratssitzungen am 3. und 11. Februar ins Bürgerhaus ein. Die Grieseler Rote Funken feiern am 28. Januar 2023 Premiere. Narhalla Zwingenberg bereitet gar seinen 100. Geburtstag vor und lädt die Besucher anlässlich des Jubiläums zu einem Maskenball, einer Schul-, einer Prunk- und einer Partysitzung und obendrein zum Kindermaskenball ein.
Nach längerer Durststrecke legen sich auch die Vereine in den Stadtteilen und Nachbarorten mächtig ins Zeug.
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