Pandemie

Die Bensheimer Tafel ist auch in der Krise aktiv

Von 
Thomas Tritsch
Lesedauer: 
In der Bensheimer Tafel werden auch in Krisenzeiten Lebensmittel ausgegeben. Unser Bild zeigt die Vorsitzende Mariette Rettig (Mitte, roter Schal) mit einem Teil des Teams. © Zelinger

Bensheim. Der Bedarf an Unterstützung ist während der Krise eher noch gestiegen. „Wir wollen niemanden wegschicken, unsere Kunden brauchen uns mehr denn je“, betont Mariette Rettig das Credo der Bensheimer Tafel. Die Lebensmittelausgabe an der Rheinstraße lief und läuft auch während der Pandemie ununterbrochen weiter.

Von den 57 Tafeln in Hessen waren im Frühjahr 2020 bereits 50 geschlossen, die meisten anderen agierten im Notbetrieb auf Sparflamme. Bensheim gehörte zu den wenigen Einrichtungen, die uneingeschränkt geöffnet waren. Durch die Einhaltung von Abstandsregeln und Einlassbestimmungen konnte die Arbeit weitergehen. Zwischenzeitlich kamen daher auch Kunden aus der weiteren Umgebung nach Bensheim, etwa aus Lampertheim oder Mannheim.

Aktuell bedient die Tafel rund 600 Haushalte, etwa 40 Prozent davon aus Bensheim. Der Rest kommt aus Heppenheim, Zwingenberg, Alsbach oder Lautertal. Zweimal die Woche hatte die Ausgabe auf dem ehemaligen Bundeswehrdepotgelände seit Ausbruch der Corona-Krise planmäßig geöffnet.

Mehr zum Thema

Bensheim

Viele Sachspenden für Bensheimer Wohnungslose

Veröffentlicht
Von
red/Bild: Rolf Müggenburg
Mehr erfahren
Evangelischer Kindergarten

Nach langem Warten fließt endlich der erste Kita-Zuschuss nach Einhausen

Veröffentlicht
Von
Jörg Keller
Mehr erfahren
Erste Hilfe I

Erste Hilfe und die Angst davor, etwas falsch zu machen

Veröffentlicht
Mehr erfahren

Man habe immer nur maximal fünf Menschen auf einmal hineingelassen, berichtet die Vorsitzende. Ein zwischenzeitlicher Personalmangel aufgrund der Tatsache, dass viele lokale Helfer zur Risikogruppe gehörten und aufgrund ihrer eigenen Gefährdung die ehrenamtliche Tätigkeit nicht mehr ausüben konnten, geriet zu einer Herausforderung. Mit dem ersten Lockdown blieben 80 Prozent der ehrenamtlichen Mitarbeiter zu Hause.

56 junge Leute meldeten sich

Mit Hilfe der Stadt Bensheim wurden neue Kräfte vermittelt. Innerhalb von 48 Stunden hatten sich 56 junge Leute gemeldet. Gelebte Solidarität. Seit Sommer 2020 war dann das bisherige Team größtenteils wieder mit im Boot. Mit den Lockerungen im Juni kamen auch die „alten“ Mitarbeiter wieder zurück.

Jeder war froh, wieder weitgehend normal in einer der fünf Gruppen arbeiten zu können. Die aktuelle Besetzung ist vollständig doppelt geimpft, was die Zusammenarbeit in der Einrichtung erheblich erleichtert. Auch rund 70 Prozent der Kunden haben mittlerweile den kompletten Schutz, so Rettig.

Durch die neuen Verhaltensregeln drinnen wie draußen ist das gesamte Prozedere flüssiger geworden. Alles verläuft disziplinierter, geordneter, ruhiger. Das funktioniert so gut, dass der Verein die aus der Not geborenen Strukturen weiterhin beibehalten will. „Es gibt kein Gedränge. Auch unsere Kunden bewerten das deutlich angenehmer“, so die Vorsitzende. Ein Segen ist auch der Standort: Seit Ende September 2016 arbeitet der Verein im Neubau auf dem Gelände des ehemaligen Bundeswehrdepots mit großzügig geschnittenen Räumlichkeiten. Das ermöglicht den nötigen Spielraum für neue Konzepte. Es gibt Desinfektionsmittelspender und Luftreiniger. Markierungen am Boden weisen den Weg und sorgen für die nötigen Distanzen.

Die Ware liegt auf dem Ausgabetisch. Jeder nimmt mit, was er benötigt. 56 Geschäfte stellen Lebensmittel zur Verfügung. Darunter neuerdings auch Drogeriemärkte und große Hersteller von Kosmetikprodukten. Rund zehn Tonnen an Ware werden jede Woche bewegt. Zwei Kühlfahrzeuge sind im Einsatz. Viele Großhändler waren froh über die Aktivitäten der Tafel, da auch die Gastronomie weitgehend geschlossen hatte und auf diese Weise wertvolle Lebensmittel sinnvoll genutzt werden konnten. Das Ziel: Den Überfluss an Ware vor der Vernichtung bewahren und an jene verteilen, die aufgrund persönlicher und wirtschaftlicher Notlage dringend Unterstützung benötigen.

Denn die Not vieler Menschen ist nach wie vor groß und wurde durch die Krise oftmals noch verstärkt. Bedürftige Senioren und Familien machen einen Großteil der Kunden aus. Hinzu kommen alleinerziehende Frauen und zunehmend wieder mehr Menschen aus anderen Ländern, die in Deutschland Schutz und Zuflucht suchen. Die Gewalteskalation in Afghanistan hat eine Welle der Auswanderung ausgelöst, die auch in Bensheim spürbar ist. Seit einigen Wochen kommen mehr Menschen aus dieser Region zur Ausgabestelle, um sich mit dem Nötigsten zu versorgen. Neben den Beziehern von Arbeitslosengeld I und II und Grundsicherungsleistungen gehören auch Alleinerziehende mit geringem Einkommen sowie Asylbewerber und Obdachlose zur klassischen Klientel der Tafeln.

Hohe laufende Kosten

Der Betrieb der Tafel ist mit hohen laufenden Kosten verbunden. Ohne Spenden funktioniert es nicht, so Mariette Rettig. Nach erfreulich hohen Zuwendungen im Jahr 2020 zeigt sich die Spendenbereitschaft im laufenden Jahr bislang weniger erfreulich. Mit ein Grund ist womöglich die Flutkatastrophe im Ahrtal, die auch aus der Region Bergstraße viel Aufmerksamkeit und Hilfe erlebt hat. Die Vorsitzende geht davon aus, dass mit Beginn der Vorweihnachtszeit wieder mehr Geld in die Kassen kommen wird. Denn beim Wareneinkauf wird lediglich ein Betrag von einem Euro verlangt. Er hilft zur Abdeckung der allgemeinen Tafelkosten. Das reicht aber nicht.

Allein für die Müllentsorgung muss der Verein weiterhin rund 11 000 Euro im Jahr bezahlen. Zwar wird rund die Hälfte der Kosten anteilig von den Kommunen übernommen, deren Bürger die Tafel nutzen, doch auch der restliche Aufwand macht sich in der Jahreskalkulation massiv bemerkbar.

Zusätzlich sind durch die Pandemie auch die Kosten für Verpackungsmaterial deutlich angestiegen, denn die Lebensmittel werden nicht mehr zur Auswahl in Kisten angeboten, sondern aus Zeit- und Hygienegründen in haushaltsüblichen Portionen abgepackt. Der Verein versucht, möglichst viele Papiertüten und Pappschachteln zu verwenden und so den Anteil an Plastik zu reduzieren.

Die eigenen Aktivitäten des Vereins, die sonst für zusätzliche Einnahmen sorgen, mussten wegen Corona allesamt ausfallen. Mariette Rettig hofft, dass sich dies bald wieder normalisieren wird und die Tafel im 16. Jahr nach ihrer Gründung auch abseits der Ausgabestelle wieder richtig durchstarten kann. Die Stimmung im Team ist zuversichtlich. Mit insgesamt 240 Helferinnen und Helfern ist die Tafel personell momentan sehr gut aufgestellt.

Freier Autor

Copyright © 2025 Bergsträßer Anzeiger

  • Winzerfest Bensheim