Lieblingsplatz

Der Stammsitz der Fraa vun Bensem

Doris Walter fühlt sich im Innenhof des Walderdorffer Hofes in Bensheim wohl. „Es ist ein wunderbarer Ort“, betont sie im Gespräch mit dieser Zeitung.

Von 
Dirk Rosenberger
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Die Fraa vun Bensem alias Doris Walter im Innenhof des Walderdorffer Hofs – einer ihrer Bensheimer Lieblingsplätze. © Thomas Neu

Bensheim. Die Stadtmauer im Rücken, den altehrwürdigen Walderdorffer Hof im Blick. Der Innenhof des ältesten Fachwerkhauses in Südhessen bietet sich für eine kurze Auszeit vom hektischen Alltagstreiben geradezu an. Zumal die Geräusche und der Lärm einer Stadt von den historischen Mauern auf ein kaum wahrnehmbares Niveau gedimmt werden.

„Es ist ein wunderbarer Ort, hier trifft Alt auf Neu, abends begegnet man netten Menschen, man kann in Gesellschaft oder in kleiner Runde entspannt hier sitzen“, erklärt die Fraa vun Bensem Doris Walter ihren Lieblingsplatz. Zu ihm hat sie noch eine weitere, sehr enge Bindung. Das Fachwerkhaus ist der Sitz ihres Vereins, der Heimatvereinigung Oald Bensem, „zu dem ich schon seit mehr als 50 Jahren pilgere“. Und für den sie die Rolle der Symbolfigur schon seit genau 40 Jahren verkörpert. 1983 im zarten Alter von 21 Jahren schlüpft sie zum ersten Mal ins Gewand, greift sich Laterne und den symbolischen Stadtschlüssel.

© Kai Segelken

Die Jubilarin prägt die Rolle der Sagengestalt wie keine zweite. Doris Walter ist die Fraa vun Bensem, die Fraa vun Bensem ist Doris Walter. In der öffentlichen Wahrnehmung sind die Grenzen fließend. Sie ist Sympathieträgerin und Moralinstanz, haut auf den Putz, wenn es die Umstände erfordern – oder greift moderierend ein, wenn ein Ausgleich erforderlich wird. Wenn sie in Versform und Dialekt spricht, lauscht das Volk. Seit 1954 gibt es die Traditionsfigur, Doris Walter ist nach Anna Mohr erst die zweite Fraa vun Bensem. Mit dem vorzeitigen Ruhestand beschäftigt sich das Bensheimer Original nicht. „Ich mache so lange weiter, bis ich nicht mehr kann. Dann höre ich auf.“

"Eine riesige Investition"

Zum Walderdorffer Hof hat sie natürlich eine besondere Beziehung, da die jüngere Geschichte der Heimatvereinigung eng mit dem Fachwerkhaus verknüpft ist. Um 2000 kaufte der Verein das Gebäude von der Stadt und baute die Räume im Obergeschoss aus. „Das war eine riesige Investition und hat zu Diskussionen im Verein geführt“, erinnerte sich Doris Walter, deren Mann Heinz Walter seit Jahren als Vorsitzender fungiert. Es sei ein Drahtseilakt gewesen, der sich gelohnt habe. Und auf das ehrenamtliche Engagement bei Oald Bensem kann man sich ohnehin immer verlassen. Damals wie heute beim Ausbau der angrenzenden Scheune packen die Männer und Frauen an und bringen sich aktiv ein.

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Das alte Fachwerkgebäude in direkter Nachbarschaft zum Vereinssitz drohte einzustürzen. Um den Verkauf an einen Investor zu verhindern, folgte der Verein seinem Wahlspruch „Altes erhalten, Neues gestalten“. Auch wenn die Neugestaltung eine erneute Herausforderung darstellte und darstellt.

„Hier kann man schön verweilen“

Im Innenhof des Walderdorffer Hofs hat man einen schönen Blick auf die Neuanschaffung und den Fortschritt der Sanierungsarbeiten. Schöne Plätze, findet Doris Walter, sind wichtig für eine Stadt, „sie machen das Atmen der Stadt aus“. Sicherlich hat Bensheim diesbezüglich an einigen Stellen noch Luft nach oben. Aber andererseits gibt es viele versteckte und offensichtliche Ecken, wo die hohe Lebensqualität in der größten Stadt des Kreises spürbar wird. Für die Fraa vun Bensem gehört der Außenbereich des Walderdorffer Hofs einfach dazu. „Hier kann man schön verweilen, auch wenn es manchmal etwas lauter und trubeliger ist. Aber das macht eine Stadt ja aus.“

Das genaue Alter des Adelshofes ist übrigens erst seit dem Jahr 2000 bekannt: Durch die Initiative des damaligen Stadtarchivars Manfred Berg rückte man dem Walderdorffer Hof mit einer dendrochronologischen Untersuchung auf die Pelle. 13 Eichen- und Nadelholzproben wurden aus dem Gebälk entnommen. Insgesamt acht Eichenholzproben konnten so auf das Jahr genau datiert werden.

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Die Bäume, die für den Bau des Hofs verwendet wurden, müssen im Winter 1394/95 gefällt und direkt auch verarbeitet worden sein. Damit ist klar: Der Walderdorffer Hof feiert bald seinen 630. Geburtstag.

In den 1970er Jahren saniert

Ob das Gebäude als Bürgerhaus erbaut wurde und erst später in den Besitz der Herren von Walderdorff kam oder ob sie den Hof selbst errichtet haben, lässt sich heute nicht mehr genau sagen.

Der Adelshof wurde unmittelbar an der damaligen Stadtbefestigung an Stelle von zwei Vorgängerbauten errichtet. Als gesichert gilt, dass das Gebäude um das Jahr 1630 an die Familie von Gemmingen überging, die den Hof Mitte des 19. Jahrhunderts wiederum an die Freiherren von Überbruck und Rodenstein verkauften.

Später kam der Adelshof in bürgerlichen Besitz, bevor in den 1970er Jahren die Stadt Bensheim der neue Eigentümer wurde. Damals stand die Zukunft des Hauses auf der Kippe. Letztlich votierten die Entscheidungsträger – glücklicherweise – für den Erhalt. Das Gebäude wurde fachgerecht restauriert und erstrahlte pünktlich zum Hessentag 1976 in neuem Glanz.

Und 2000 übernahm der aktuelle Besitzer den Walderdorffer Hof: die Heimatvereinigung Oald Bensem, die schon seit vielen Jahren ihre Vereinsräume in dem geschichtsträchtigen Gebäude hatte.

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