Bensheim. Vor dem Bensheimer Kolpinghaus haben am Mittwochabend rund 160 Demonstrantinnen und Demonstranten mehr als zwei Stunden gegen einen Vortrag von Kayvan Soufi-Siavash, besser bekannt als Ken Jebsen, lautstark, aber friedlich demonstriert.
„Hetze essen Hirn auf“, „Kein Platz für Antisemitismus“ oder „Hass essen Menschlichkeit auf“ war auf Schildern zu lesen. Auch zu einem Boykott des Kolpingstands beim Winzerfest wurde aufgerufen. Innerhalb weniger Stunden, nachdem die Veranstaltung öffentlich bekannt wurde, hatte sich ein buntes stadtgesellschaftliches Bündnis formiert.
Während der Pandemie galt der ehemalige Radiomoderator Jebsen als eine zentrale Figur der Corona-Leugner-Szene. Auch zuvor war er bereits mit zweifelhaften und umstrittenen Thesen und Theorien unter anderem zum Terroranschlag vom 11. September 2001 aufgefallen. Der Radiosender RBB trennte sich 2011 nach Antisemitismusvorwürfen von dem 57-Jährigen.
Kritik an der Kolpingsfamilie
Mittlerweile tourt Ken Jebsen unter seinem bürgerlichen Namen durch die Republik – „Angst essen Freiheit auf“ lautet der Titel seines Vortrags. Dass die Bensheimer Kolpingsfamilie ihre Räume dafür zur Verfügung stellt, hatte heftige Kritik ausgelöst.
Nachdem Vorsitzender Josef Roesch die Entscheidung am Dienstag noch mit dem Verweis auf die Meinungsfreiheit und markigen Worten verteidigte, ruderte die Kolpingsfamilie in einer Stellungnahme am Mittwoch zurück (wir haben berichtet). Absagen wollte man die Veranstaltung wegen des bestehenden Vertrags und möglicher Regressforderungen jedoch nicht. Die Mieteinnahme von 350 Euro plus weitere 150 Euro wolle man aber spenden und künftig genauer hinschauen, wenn Anfragen kommen.
Die Demonstranten hatten trotz der schriftlich verbreiteten Erklärung wenig Verständnis. Aus Fenstern im ersten Stock des Kolpinghauses hing aus dem Fenster der KJG-Räume ein Banner mit dem Kolping-Logo und dem Schriftzug „Kompliz*innen.
Die Queere Jugend Bensheim hatte die Kundgebung angemeldet. Die pädagogische Leiterin des Queeren Jugendtreffs, Paula Hille, verdeutlichte in einer kurzen Ansprache, wie wichtig es aus ihrer Sicht ist, die Stimme zu erheben und deutlich zu machen, „dass Bensheim bunt ist und bleibt“. Kayvan Soufi-Siavash warf sie vor, in die Stadt gekommen zu sein, „um Angst und Hetze zu schüren“.
Seine schon seit mehr als zehn Jahren immer wieder getätigten Äußerungen hätten nichts mit Meinungsfreiheit zu tun. „Das ist menschenunwürdig“. Rassismus und Antisemitismus seien keine Meinung. In Bensheim gebe es keinen Platz für Verschwörungsideologen und Menschenfeindlichkeit. Wer von Zensur spreche, wie der Vorsitzende der Kolpingsfamilie, mache es sich zu leicht. Sie frage sich, ob man aus Angst, Ignoranz oder gar Akzeptanz zu solchen Entscheidungen komme.
Ihre Rede wurde zwar immer wieder durch „Lügen“-Zwischenrufe von Besuchern der Veranstaltung gestört, ihre Botschaft konnte sie dennoch unmissverständlich klarmachen.
Um beide Seiten voneinander getrennt zu halten, hatten Polizei und städtische Ordnungskräfte ein rot-weißes Absperrband auf der gesperrten Neckarstraße angebracht.
Wortgefechte am Absperrband
Entlang dieser Linie kam es im Verlauf des Abends zu Wortgefechten, die teilweise auch heftiger ausfielen. Die Stimmung kochte kurz hoch, als Kayvan Soufi-Siavash mit einem rosa Spielzeug-Einhorn in der Hand die Reihe der Demonstrantinnen und Demonstranten abschritt – was von den Teilnehmern, die aus allen Altersklassen zusammengekommen waren, mit „Hau ab, Hau ab“-Rufen kommentiert wurde.
„Wir setzen hier heute ein starkes Zeichen für Menschenrecht, Demokratie und Zivilcourage“, erklärte Salome Saremi-Strogusch, Vorsitzende des Vereins Fabian Salars Erbe – für Toleranz und Zivilcourage, im Gespräch mit dieser Zeitung.
Komplexe Krisen zu vereinfachen, wie es Ken Jebsen tue, sei nicht die Lösung für die Probleme unserer Zeit. Dessen Vortrag bezeichnete sie als „Märchenstunde“. Es könne nicht angehen, dass sich hier in Bensheim Menschen im Namen der „Meinungsfreiheit“ mit Hass und Hetze zusammenfinden.
Ihre Verwandten im Iran müssten tatsächlich für ihr Recht auf Meinungsfreiheit kämpfen. Das müsse man immer bedenken, wenn der ständige Vorwurf komme, es gebe keine Meinungsfreiheit oder es fände Zensur in Deutschland statt.
Rücktritt aus dem Vorstand
Zensur wollte auch der Vorsitzende der Kolpingsfamilie nach eigenem Bekunden nicht betreiben, weshalb er sich unter anderem gegen eine Absage der Veranstaltung aussprach (wir haben berichtet). Mit Entsetzen reagierte allerdings der Kolpingwerk Diözesanverband Mainz auf die Veranstaltung und die Vermietung. Diözesanvorsitzender Thomas Isser befand sich am Mittwoch ebenso unter den Demonstranten wie Christian Stamm, Pfarrer von Sankt Georg und verantwortlich für den Pastoralraum Bensheim/Zwingenberg. Er hatte sich im Vorfeld ebenfalls deutlich gegen den Vortrag positioniert.
Am Rande der Kundgebung wurde außerdem bekannt, dass mit Ruth Hille eine Beisitzerin im Vorstand der Kolpingsfamilie ihr Amt aufgrund des Vorfalls niedergelegt hat. Sie verwies darauf, dass die Vermietung eine alleinige Entscheidung des Vorsitzenden gewesen sei, sie habe erst aus der Presse davon erfahren.
Bis 18.30 Uhr durfte – so die behördliche Auflage – vor dem Kolpinghaus demonstriert werden. Die Polizei war mit mehreren Streifwangenbesatzungen zugegen, ebenso die Stadtpolizei und zuständige Mitarbeiter aus dem Rathaus. Einschreiten mussten die Einsatzkräfte nicht.
Mit Sprechchören „Wer nicht hüpft, der ist ein Schwurbler“ wurden die zahlenden Gäste von Ken Jebsen in die Räumlichkeiten verabschiedet. Nach dem Auftritt des selbsternannten Friedensforschers Daniele Ganser im Januar geriet Bensheim nun zum zweiten Mal überregional in die Schlagzeilen wegen umstrittener Vortragsveranstaltungen.
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