Bensheim. Von Gerlinde Scharf
Bensheim. Es ist fünf nach zwölf! Die Zukunft des Varietés Pegasus steht nach Angaben von Geschäftsführerin Heike Grammbitter auf der Kippe - und die Zeit dränge. Wenn durch Sponsoren, Bürgen, Gönner, durch „große Spender“, Fördermittel oder andere Kapitalspritzen nicht bis zum 1. April mindestens 30 000 Euro (realistisch seien 50 000 bis 60 000 Euro) auf dem Konto der Greenpoint Entertainment GmbH als Betreiberin des Kulturhauses eingingen, droht der Absturz des geflügelten Pferds.
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Es spricht einiges dafür, dass im schlimmsten Fall die Lichter in dem einzigen Varieté-Theater zwischen Frankfurt und Stuttgart ausgehen und der Vorhang geschlossen bleibt.
Die Corona-bedingten Beschränkungen und zeitweise Schließungen - die letzte Live-Show fand 2020 statt -, die unvollständig oder verzögert geflossenen Corona-Hilfe und nicht zuletzt die Ende 2022 vom Finanzamt verfügte Sperrung aller Konten wegen strittiger Steuerschulden aus den Jahren 2014 und 2015 (das Gerichtsverfahren ist noch anhängig) haben ein tiefes Loch in die finanziellen Rücklagen gerissen.
Vorläufiges Insolvenzverfahren
Wie Heike Grammbitter im Gespräch mit dieser Zeitung mitteilte, hat das Finanzamt das vorläufige Insolvenzverfahren gegen die Greenpoint GmbH und sie als Geschäftsführerin beantragt. Bei den offenen Forderungen der Steuerbehörde soll es sich um Gehaltsabrechnungen von Angestellten handeln, die seinerzeit von der inzwischen insolventen GbR Grammbitter & Dewald im Restaurant Herrenhaus und parallel im Varietétheater beschäftigt waren. Der plötzliche Tod ihres Geschäftspartners Thorsten Dewald im Oktober 2019 hat Heike Grammbitter zutiefst getroffen.
In einer Pressekonferenz am Montag in dem denkmalgeschützten Gebäude informierten die Geschäftsführerin und der Vorsitzende des gemeinnützigen Kultur- und Fördervereins „Kultur gemeinsam erleben im Denkmal“, Karl Gerd „Charly“ Zimmermann, über den Ist-Zustand, über mögliche Wege aus der Krise, über umfangreiche Konzepte der Geschäftsführung für den Neustart sowie über Investitionen während der Pandemie aus unterschiedlichen Fördermitteln in hochwertige Technik als vollwertiges TV-Studio, als Event-Location für hybride Veranstaltungen von Firmen oder der Verwaltung: „Das Haus wird sich anpassen und wandeln müssen. Das Geld für kostenintensive Varieté-Shows muss anderweitig verdient werden.“
„Kultur ist ein Produkt mit hohen Herstellungskosten für Heizung, Licht, Technik, für Unterkunft und Verpflegung der Künstler, Thekenpersonal, Reinigung, Marketing.“ Gleichsam sei es Balsam für die Seele, Kultur ist systemrelevant und „das Varieté Pegasus ist viel mehr als nur ein Theater. Es ist ein Haus der Begegnung. Aber die Luft ist deutlich dünner geworden“, redete Zimmermann Klartext: „Es gibt viele Möglichkeiten, aber wir brauchen Geld, vor allem für die Zwischenfinanzierung.“
Etliche Unternehmen und Firmen in der Region („die großen Corona-Verdiener“) habe man angeschrieben, Angebote gemacht, um Unterstützung gebeten - und keine Antwort erhalten: „Der Werbeeffekt ist zu gering.“ Trotz tief-schwarzer Wolken am Varieté-Himmel wollte der Vorsitzende eine Überlebenschance des Pegasus nicht ganz abschreiben. „Die Zeit ist knapp, aber Rettung ist möglich, wenn alle an einem Strang ziehen, auch die Politik.“ Gerade von Seiten der Bensheimer Politik habe man bislang allerdings ein klares Bekenntnis zu dem Haus vermisst: „Ein offener Dialog wäre schön.“
Enttäuscht über die doch recht überschaubare Teilnehmerzahl an der öffentlichen Info-Veranstaltung - von politischer Seite war lediglich der Stadtverordnete Peter Leisemann (FWG) der Einladung gefolgt - äußerte sich die Geschäftsführerin. Umso größer war ihre Freude und die des Publikums über den Auftritt von Bauchredner und Entertainer Kay Scheffel, der nicht nur ein emotionales Bekenntnis für das Varieté Pegasus und die Kleinkunst insgesamt ablegte, sondern die doch recht angespannte und ernste Stimmung mit einem kleinen Showact aufhellte.
Minimale Miete, hohe Kosten
Fakt ist: Die Zeiten, in denen sich das Pegasus ausschließlich über Eintrittsgelder finanziert hat (pro Spielsaison je nach Länge zwischen 40 000 und 80 000 Euro nach Betreiberangaben), sind vorbei. Um das kommerziell geführte Haus, das sich in städtischem Besitz befindet (minimale Miete, hohe Betriebskosten, eigene Haustechnik) breiter aufzustellen, wurden in den vergangenen zwei Jahren Late-Night-Shows, Politik-Talks, Podcasts, Konzerte und ein digitaler Gottesdienst gestreamt. Das Mitarbeiter-Team hat sich weiter gebildet.
An Ideen und Bausteine zur Gegenfinanzierung von Kulturveranstaltung und großen Live-Shows fehlt es der Geschäftsführung nicht. Beispielsweise Messen, Seminare, Kommunikationstraining, Podcasts, Tagungen, TV-Projekte, Coachings, Hybrid- und Netzwerkveranstaltungen, Werbepartnerschaften, Politik-Talksrunden und zuletzt Wissenschaftsseminare und Forscherkurse für Kinder in Zusammenarbeit mit dem MINT-Zentrum, für die Fördergelder aus unterschiedlichen Ministerien fließen könnten.
„Und auch Heiraten im Pegasus kann eine Möglichkeit sein“, blickte Grammbitter in eine ungewisse Zukunft: „Ich bin bereit, Gas zu geben, aber es braucht Unterstützung und den Willen, dass man das Haus möchte. Ich ganz allein schaffe das nicht.“
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