Bensheim. Als Eigenbetrieb vereint die Abteilung „Stadtkultur Bensheim“ seit gut elf Jahren die Teams Parktheater, Musikschule, Stadtbibliothek, Galerien und Museum. Ziel ist es, das kulturelle Angebot der Stadt auf hohem Niveau zu sichern und effizientere Strukturen zu schaffen. Den Vorsitz der Betriebskommission hat Bürgermeisterin Christine Klein. Leiter ist Thomas Herborn, der für die Fachbereiche Wirtschaft, Tourismus, Bildung und Kultur zuständig ist.
In der lokalen Kulturszene wird die Abteilung teilweise kritisch gesehen. Nicht aufgrund ihrer Arbeit, aber wegen der assoziativen Qualität der Namensgebung: Weil man dahinter eine Interessenvertretung aller örtlichen Kulturschaffenden mit dem kompletten Spektrum an Konzerten, Ausstellungen und anderen Veranstaltungen vermuten könne, führe die Internetseite des Eigenbetriebs ein ortsfremdes Publikum eventuell auf einen falschen Kurs mit eingeschränkter Sichtweise.
Corona: Die Terminplanung wackelt
Der Weihnachtsmarkt ist bereits abgesagt. Für den Neujahrsempfang ist ein digitales Format vorgesehen. Ob die geplanten Termine für 2022 wie vorgesehen stattfinden können, steht in den Sternen.
Beim Blick auf die städtischen Veranstaltungen argumentiert Eigenbetriebsleiter Thomas Herborn überwiegend im Konjunktiv. Beispielhaft nannte er den Weintreff, der nun wieder zurück ins Bürgerhaus kehren könnte, und das Bürgerfest im Juni. Auch bezüglich des zweimal ausgefallenen Winzerfestes betont Herborn schon jetzt: „In der klassischen Form wird das auch 2022 sicherlich nicht stattfinden können.“
Die Verleihung des Gertrud-Eysoldt-Rings und des Kurt-Hübner-Regiepreises soll am 11. Dezember im Bürgerhaus nachgeholt werden. In Abstimmung mit der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste wird nun überlegt, ob und in welcher Form der nächste reguläre Termin im März über die Bühne gehen kann. Thomas Herborn spricht von „vielen Fragezeichen“.
Laut Marco Gremm (Stadtkultur) könnte das OpernAir im nächsten Jahr statt im Auerbacher Fürstenlager in räumlich entzerrter Variante auf dem Festplatz am Badesee erklingen. Auch am Bergsträßer Jazzfestival in der City hält die Stadt bis auf weiteres fest. tr
Die Vielfalt der Bensheimer Kultur abseits städtischer Aktivitäten werde auf diesem Portal nicht abgebildet, bemängelt der Maler und Grafiker Hans Borchert. Auch Gabriele Mundt (Gruppe „Kunst im Fürstenlager“) und Heike Grammbitter vom Varieté Pegasus vermissen eine gemeinsame und einfach erreichbare Plattform, auf der die komplette Dynamik der Szene abgebildet ist.
Das Thema beherrschte den ersten organisierten Austausch Bensheimer Kulturschaffender seit Antritt der neuen Bürgermeisterin. Im frisch renovierten Bürgerhaus trafen sich am Donnerstagabend 20 Künstler und Vereinsvertreter, Konzertveranstalter und Kulturmanager zur großen Runde. Potenzielle Fördermaßnahmen während der Pandemie oder eine potenziell intensivere Koordination und Zusammenarbeit der hiesigen Kulturarbeiter wurden im Bürgerhaus nur am Rande diskutiert. Direkte, projektbezogene Vernetzungen passierten eher nebenbei und im Kleinen – wurden aber mit Beifall kommentiert.
Geprägt war das Treffen zunächst von farbenfrohen Präsentationen aus dem Rathaus. Björn Brandhorst erläuterte die neue Webseite der Stadtkultur Bensheim, die nach einer optischen und inhaltlichen Umgestaltung in den nächsten Tagen online gehen soll.
Nur städtische Termine
Hinter der Schaltfläche „Events“ sind ebenfalls nicht sämtliche, sondern ausschließlich städtische Termine vereint. Etwa die Verleihung des Gertrud-Eysoldt-Rings, der Neujahrsempfang oder musikalische Reihen wie das Bergsträßer Jazzfestival oder das klassisch geprägte OpernAir. Thomas Herborn verwies auf die Seite „bensheimerleben.de“, die vom Verein Stadtmarketing verwaltet wird. Hier stehe ein eigenes Portal für private und professionelle Veranstalter oder Vereine zur Verfügung, das bereits rege genutzt werde, so Zita Schaider von der städtischen Stabsstelle, die im April letzten Jahres neu formiert worden war. Über diese Plattform habe jeder die Möglichkeit, eigene Termine online eintragen zu lassen.
Anhaltend schwierige Situation
Schaider plädierte dafür, diese Option noch mehr zu nutzen, um den „Event-Kalender“ aktuell und lebendig gestalten zu können. Laut Christine Klein sei dies ein guter Kanal, um die lokale Vielfalt einem kulturinteressierten Publikum darzustellen. Eine App soll das Angebot demnächst auch auf mobilen Endgeräten schnell zugänglich machen.
Die Trennung der Bereiche Stadtkultur als städtischen Organisationsradius auf der einen und allen anderen Veranstaltungen auf der anderen Seite halten Klein und Herborn für eine sinnvolle und übersichtliche Lösung. Der Eigenbetriebsleiter kündigt an, dass ab Januar auch wieder klassische Flyer mit dem lokalen Kulturangebot gedruckt und ausgelegt werden. So würde auch ein Publikum erreicht, dass sich eher abseits digitaler Medien bewege.
Die existenzielle Situation der Szene wurde im zweiten Teil des Abends deutlich, als die Teilnehmer ihre Projekte der kommenden Monate vorstellten. Margit Gehrisch und Martina Wagner vom Musiktheater Rex sprechen von einer anhaltend schwierigen Situation. „Wir fahren auf Sicht und passen uns den Vorgaben an“, so Gehrisch, die aufgrund der wieder steigenden Covid-19-Zahlen derzeit einige Absagen von Bands aus den USA auf dem Tisch hat. Das 2G-Modell, das die Veranstalterinnen Anfang des Monats eingeführt hatten, habe sich in diesem Kontext bewährt. Das Publikum sei gegenüber genauen Kontrollen am Einlass überwiegend verständnisvoll und geduldig, doch die Grundstimmung nage spürbar an den Nerven.
Das Vornerum-Theater musste seine für 2020 geplante Produktion von Molières „Der Geizige“ wenige Wochen vor der geplanten Premiere ausfallen lassen, berichtet Daniel Ulbricht. Auch 2021 war das Amateurtheater von der Pandemie lahmgelegt. Seit wenigen Wochen laufen die Proben für ein neues Stück.
Die Kunstfreunde Bergstraße warten derzeit noch ab, ob die Künstlerweihnacht im Fürstenlager unter den gegebenen Umständen stattfinden kann, so Vorsitzende Sabine Müller. Diese Veranstaltung wackelt momentan so heftig wie viele andere auch. Im PiPaPo-Theater hofft man, dass die neue Eigenproduktion „Normans Eroberungen“ in den kommenden Wochen vor einem auf maximal 40 Zuschauern reduzierten Publikum weiterhin aufgeführt werden kann. Regisseur Jürgen Rehm meldete eine zurückhaltende Nachfrage bereits bei der Vorpremiere (wir haben berichtet).
„Galerie auf Zeit“
Im Pegasus plant Heike Grammbitter ein neues Winterprogramm, das vor 62 statt maximal 169 Zuschauern über die Bühne gehen soll. Das Collegium Musicum hat vier Konzerte in Vorbereitung, die Kunstfreunde Bensheim sind bislang recht gut durch die Pandemie gekommen, wie Anne Dingler erklärt. Die Kammermusik-Konzerte werden seit Herbst nach der 2G-Regel organisiert. „Die richtige Lösung“, so die Vorsitzende, wenngleich diese Entscheidung anfangs vereinzelt auf teils heftige Kritik gestoßen war.
In der Hauptstraße ist eine ehemalige Modeboutique zur „Galerie auf Zeit“ geworden. Vier bekannte Künstler aus der Region stellen hier eine Auswahl ihrer Werke aus. Ulrike Hensel, Birgit Metzler, Harald Böhm und Hans Borchert beleben den Raum unter dem Titel „IV Positionen“ künstlerisch. Borchert spricht von einem spannenden und betont kommunikativen Konzept abseits des klassischen Galeriebetriebs. Mindestens bis Ende des Jahres soll das temporäre Projekt weitergehen.
Ein Jahr länger darf Daniela Recktenwald ihr Modell „Krämer reloaded“ weiter spielen. Dann wird die geplante Sanierung des Gebäudes der „Galerie für Kunst, Handwerk und Regionales“ ein Ende bereiten. Bis Ende 2022 steht eine rund 65 Quadratmeter große Ausstellungsfläche im ersten Obergeschoss für weiterhin für Ausstellungen und Präsentationen bereit, so die aktive Bensheimerin, die seit März 2019 einen prominenten innerstädtischen Leerstand überaus kreativ wie erfolgreich belebt hat.
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