Bensheim. Was tun, wenn der Partner, die Ehefrau, die Mutter oder der Vater plötzlich und unerwartet nach einem schweren Unfall, einer langen Krankheit oder aufgrund des hohen Alters nicht mehr selbst bestimmen können, wie es weitergehen soll mit dem Leben – oder wer im Notfall die Bankgeschäfte, die private Korrespondenz oder digitale Kommunikation übernimmt und bei Behörden und Gerichten vorstellig wird?
Die Angehörigen sind überfordert, hilflos, unsicher und haben keine Entscheidungsbefugnis. Niemand weiß tatsächlich über den Willen des Kranken oder Verletzten Bescheid und welche Vertrauensperson er mit weitgehenden Rechten ausstatten würde.
Damit es erst gar nicht soweit kommt, sollte jeder – ob jung oder alt – so früh wie möglich vorsorgen. „Der Notfall kann jederzeit eintreffen“, warnt Roswitha von Hagke von der Christoffel-Blindenmission (CBM) und räumt etwa mit dem Vorurteil auf, dass der Ehepartner es schon richten wird, wenn die Frau oder der Mann dazu nicht mehr in der Lage ist. „Es gibt laut Gesetz keinen Automatismus. Das Selbstbestimmungsrecht hat einen höheren Stellenwert“, fordert die Juristin zum Handeln auf. Allerdings plane die Regierung zum 1. Januar 2023 eine Reform des Betreuungs- und Vormundschaftsrechts, wonach eine zeitlich befristete Notbetreuung des Ehegatten möglich ist: „Es ist die Ausnahme.“
Große Resonanz
Mit ihrer Vortragsreihe über „Themen, die alle angehen“, über die man aber nicht so gerne spricht, hatte das Mehrgenerationenhaus in Kooperation mit der Christoffel-Blindenmission den Nagel auf den Kopf getroffen – wie die große Resonanz der Zuhörer zeigte. Nach zwei vorausgegangenen Infoabenden über das „Kluge Testament“ und zum Thema „Digitaler Nachlass“ sprach Roswitha von Hagke zum Abschluss der Trilogie über das Vorsorgerecht, beziehungsweise über das selbstbestimmte Leben „zu jeder Zeit und in jedem Alter.“ Auch, und gerade bei Entscheidungsunfähigkeit.
So sehe die gesetzliche Regelung unter anderem vor, dass Ärzte, medizinisches Pflegepersonal und sogar Gerichte bei Fragen von lebensverlängernden Maßnahmen, künstlicher Beatmung und Ernährung sowie Wiederbelebung an den schriftlich verfassten Willen des Patienten gebunden sind.
Die drei wichtigsten Vorsorgeverfügungen – die Vorsorgevollmacht, die Patienten- und Betreuungsverfügung – stellte die Juristin den Besuchern der Veranstaltung vor, gab Tipps, was es zu beachten gilt, wann ein Arzt oder ein Experte hinzugezogen werden sollte und wovor sie abraten würde („Eine Generalvollmacht kann Gefahren bergen“). Bei allen Vorsorgereglungen sei es erstes Gebot, einen vertrauenswürdigen Menschen zu benennen, der in allen Bereichen des Lebens nach dem Willen des Kranken handelt und der möglichst ortsnah wohnen sollte.
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Der erste Schritt – so die CBM-Juristin – ist eine schriftliche, von beiden Seiten unterschriebene Vorsorgevollmacht, die zu Lebzeiten des Verfassers Gültigkeit besitzt, die aber mit dem Zusatz „über den Tod hinaus“ (transmortale Vollmacht) versehen werden kann – bis zur Legitimation der gesetzlichen Erben. Eine notarielle Beurkundung sei nicht zwingend erforderlich, es sei denn, es gehe um Grundstücksangelegenheiten oder Firmenanteile. „Die Vollmacht ist nicht in Stein gemeißelt und kann jederzeit widerrufen, abgeändert oder ergänzt werden“, erklärte von Hagke. Sie umfasst sowohl die Gesundheitssorge und Aufenthaltsregelungen wie die Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen und Gerichten und finanzielle Angelegenheiten.
Die Betreuungsverfügung, die ebenfalls gesetzlich geregelt ist und Teil der Vorsorgevollmacht und der Patientenverfügung sein kann, legt fest, welche Vertrauensperson als Betreuer gewünscht wird oder auch nicht. Auch hier kann der Ehemann oder die Ehefrau nicht zwangsläufig das Recht für sich in Anspruch nehmen. Das Gericht muss die Verfügung und den darin festgehaltenen Willen bei Bestellung eines Betreuers berücksichtigen.
Eindeutige Formulierung wichtig
Die dritte Säule des Vorsorgerechts für ein selbstbestimmtes Leben ist die Patientenverfügung, welche die medizinische Behandlung, den Umfang der Maßnahmen oder die Nichtbehandlung regelt und die ebenfalls dann zum Einsatz kommt, wenn der Betroffene sich dazu selbst nicht mehr äußern kann. Hier empfahl Roswitha von Hagke eindringlich eine eindeutige Formulierung, beispielsweise ob oder welche lebensverlängernden Maßnahmen durchgeführt werden sollen: „Je ausführlicher desto besser.“ Empfehlenswert sei es, einen Arzt oder Experten beim Aufsetzen der Verfügung hinzuzuziehen.
Ein weiterer Tipp der Referentin: Die Dokumente sollen so aufbewahrt werden, dass man sie bei Bedarf leicht findet. Sinnvoll sei es, dem oder der Bevollmächtigten eine Kopie zu überlassen. Eine Möglichkeit sei auch die Hinterlegung der Verfügungen bei Gericht, Notar, Anwalt oder dem Zentralen Versorgungsregister der Bundesnotarkammer in Berlin (gegen eine geringe Gebühr).
Cornelia Tigges-Schwering, Koordinatorin des Mehrgenerationenhauses, sprach abschließend von einer gelungenen Kooperation mit der Christoffel-Blindenmission, die man gern weiter führen werde.
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