BENSHEIM. Johannes Brahms als Orgelkomponist: Diese Entdeckung ermöglichte Gregor Knop seinen rund 70 Zuhörern am Maifeiertag in Sankt Georg beim Eröffnungsabend der 17. Bachtage im Kreis Bergstraße. Der 190. Geburtstag des 1897 verstorbenen Hamburger Wahl-Wieners (7. Mai) bot den willkommenen Anlass für das außergewöhnliche Programm.
Brahms’ komplettes Orgelschaffen passt zwar in lediglich eine Konzertstunde, ist aber dennoch von besonderer biografischer Bedeutung und entsprechendem Repertoirewert. Werke für die „Königin der Instrumente“ standen nämlich genau am Anfang und am Ende seiner kompositorischen Laufbahn, verkörpern insofern also durchaus die Wurzeln und die Essenz seines musikalischen Charakters.
Dass er die Orgelstücke nicht unter eigener Opuszahl veröffentlichen wollte, scheint ihre ganz persönliche Relevanz für ihn selbst sogar noch zu unterstreichen.
Ähnlich wie der bewunderte Kollege Mendelssohn huldigte Brahms in seinen Orgelkompositionen mit kongenialem Einfühlungsvermögen dem großen Vorbild Bach, ohne freilich je sklavische Kopien abzuliefern. Schon die frühen Versionen der klassischen Paargattung Präludium und Fuge (a-moll WoO 9 und g-moll WoO 10 von 1856/57) atmen bei aller stilistischen Adaptionskunst einen feurigen romantischen Geist, den Gregor Knop unwiderstehlich virtuos vermittelte.
Als treffliche Ergänzung zu diesen Rahmenstücken des Programms erklangen die expressiv ausgeweitete Choralvertonung „O Traurigkeit, o Herzeleid“ WoO 7 (1858) und das so extravagante wie poetische Fugenjuwel as-moll WoO 8 (1856), von dem sich einst bereits Clara Schumann „tief ergriffen“ zeigte („welche Klänge, welch herrliche Stimmung darin, welch schöner frommer Sinn“).
Dass dieses wunderbar innig und flüssig zugleich dargebotene Ausnahmewerk im Zentrum des Konzertabends stand, war angesichts seiner individuellen Ausdruckskraft allemal angemessen.
Vier Jahrzehnte später kehrte Brahms mit seinen im Mai und Juni 1896 unmittelbar nach Claras Tod entstandenen, aber erst 1902 als opus 122 erschienenen elf letzten Choralvorspielen zur Orgel zurück.
Meisterhafte Konzentration bis hin zu äußerster Schlichtheit herrscht in den deutlich an Bachs „Orgelbüchlein“ orientierten Stücken, die mit höchster polyphoner Verfeinerungskunst und eigentümlich intimer Farbgebung vor allem um das Thema Vergänglichkeit kreisen.
Gregor Knop wählte für diesen zyklischen Schwanengesang des Komponisten einen bezwingend klaren Zugriff in angenehm straffen Tempi, der jeglicher Gefahr wohlfeiler Sentimentalität überzeugend vorbeugte. Besonders schön kamen so eher lyrische Miniaturen wie „Schmücke dich, o liebe Seele“, „O wie selig seid ihr doch, ihr Frommen“ oder „Es ist ein Ros entsprungen“ heraus.
Ähnlich anrührend klangen die je zwei Bearbeitungen von „O Welt, ich muss dich lassen“ und „Herzlich tut mich verlangen“, deren warmherzig tröstender Ton sich bei Knop ebenso unaufdringlich wie facettenreich entfaltete. Derart persönliche, ja private Orgelmusik haben wohl nur wenige andere Komponisten hinterlassen.
Die nach großem Schlussbeifall improvisierte Maienlieder-Zugabe des Bensheimer Regionalkantors sorgte für ein wohltuend heiteres Finale dieser gewichtigen Bachtage-Ouvertüre.
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