Bensheim. Am 7. März öffnete sich der Vorhang im Parktheater in Bensheim für eine besondere künstlerische Begegnung: „Ach!“ – Ein Kleist-Portrait. Unter der Regie und mit der beeindruckenden schauspielerischen Präsenz von Jonas Dumke, entfaltete sich auf der Bühne im Rahmen der Woche junger Schauspielerinnen und Schauspieler ein 60-minütiges Theaterstück, basierend auf Briefen von Kleist, in dem Dumke und die Figur Kleist beinahe miteinander verschmolzen. Die herausragende Darstellung Kleists, beeinflusst durch das Hinterfragen des Lebenssinns, wurde durch ein Spiel zwischen Distanz und Identifikation auf die Bühne projiziert.
Zu Beginn verharrte das ganze Publikum in sinnlicher Stille. In dem abgedunkelten Theatersaal ertönten laute Schläge und im Zentrum der Bühne fand sich Dumke wieder. Auf einem Stuhl mit einem Ball in der Hand begann er Textfragmente aufzusagen und steigerte immerzu sein Sprechtempo. Ein gesenkter Blick unterstützte dieses rhythmische Spiel. Darauffolgend begeisterte er das Publikum mit einer großartigen Umsetzung, den Blickkontakt suchend, steigerte er sich vollkommen in einen exzessiven emotionalen Ausbruch hinein. Mimik, Gestik, Stimmwechsel und das Spielen mit der Lautstärke machte er sich zunutze, um widersprüchliche Körperbewegungen zu erzeugen und während der Inszenierung geistige Konflikte darzustellen.
Plötzlich, gegen jegliche Erwartung des Publikums, ergriff Dumke ein von der Decke herunterkommendes Mikrofon und begann das Lied „Just the two of us“ zu singen. Trotz eines mageren Bühnenbildes gelang es ihm, durch musikalische Elemente und wenig weitere Gegenstände das Publikum mitzureißen und immer wieder zu beleben. Zum Bedauern des Publikums wurden nur wenige Licht- und Strobo-Effekte genutzt, doch wenn sie auftraten, bereicherten sie die Inszenierung.
Ob es spektakuläre Lichter zum Verstärken seiner Wutausbrüche und Perspektivwechsel oder wandernde Stimmaufnahmen waren, welche sich zu einem technoartigen musikalischen Stück formierten, mit einem auf der Bühne stattfindenden Kleidungswechsel profitierte Dumkes Performance entscheidend davon. Während Dumke von Kleists Leben, seinen Erfahrungen als Soldat und der Liebesbeziehung zu seiner Verlobten Wilhelmine in seiner Inszenierung erzählt, verfällt er den Figuren und Werken des genialen Dichters. Häufig wechselt er hierfür seinen Stimmton, spricht mal langsamer, mal schneller, so dass es beinahe, trotz gelungener Redepausen, unverständlich und schwierig für den Zuschauer wird ihm zu folgen.
Um eine Verbindung mit dem Publikum aufzubauen, spricht er dieses an, wenn er beispielsweise einen Monolog an Wilhelmine richtete, bezog das Publikum jedoch insgesamt nur einmal in die Inszenierung mit ein. Zum Ende verabschiedete sich Dumke mit einem großen Finale. Dumke, oder auch Kleist, philosophierte über die Sinnlosigkeit des Lebens, völlig dem Wahn verfallen, zückte er eine Waffe.
Eine Unterscheidung zwischen den beiden war kaum noch möglich für das Publikum. Ein Schuss in das „Publikum“, gerichtet an Wilhelme, dann folgte der Selbstmord. „At Last“ von Etta James ertönte und Dumke fiel langsam, einer Slo-Mo- Szene ähnelnd, auf den Boden. Eine kurze Stille übermannte den Saal, bis Dumke sich schließlich aufrichtete und einen Brief mit Fakten zu dem Doppel-Selbstmord vorlas und damit das Finale beendete.
Eine herausragende Inszenierung fand mit diesem großen Finale ihren Abschluss. Zu Beginn erwartete ich ein langweiliges Theaterstück, doch Dumke gelang es in seiner Solo-Performance, mit sehr wenigen Mitteln das Publikum und auch mich zu begeistern. Lang andauernder Beifall und Rufe, unterstützt durch vorheriges gespanntes Zuhören, formten die Reaktionen der Zuschauer. Durchaus gefielen mir bestimmte Szenen oder Darstellungsmittel weniger, wie das Sterben in Zeitlupe, aber seine großartige Bühnenpräsenz überraschten darüber hinaus besonders.
Megi Kolundzic und Isabelle Te besuchen das AKG Bensheim und nehmen am Schulprojekt „Theaterkritik“ teil, von dem das Festival auch in diesem Jahr wieder begleitet wird.
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