Woche junger Schauspieler

Heinrich von Kleist bis auf die Knochen seziert

Intensives Solo von Jonas Dumke im Parktheater

Von 
Thomas Tritsch
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Mit seinem Solo „ach!“ zeigte Jonas Dumke vom Theater Aachen bei der Woche junger Schauspielerinnen und Schauspieler ein eindrucksvolles Kleist-Porträt. © Thomas Zelinger

Bensheim. Es ist eine Hommage an die Sprache Kleists, überwiegend basierend auf Briefen des Dichters, die einen umtriebigen Menschen auf der Suche nach Bestätigung zeigen. Jonas Dumke hat in seiner literarisch-biografischen Auseinandersetzung aber auch Parallelen zur heutigen Generation Z entdeckt: eine Rastlosigkeit und perspektivische Unsicherheit, die er auch von sich selbst kenne. Dumke ist Jahrgang 1998. Seit der Spielzeit 2023 ist er Teil des Schauspielensembles am Theater Aachen. Mit seinem intensiven Soloabend war er am Donnerstag bei der Woche junger Schauspielerinnen und Schauspieler in Bensheim zu Gast.

Die zweite Inszenierung im Rahmen des Theaterfestivals war ein Monologstück. Ursprünglich hatte Dumke das Projekt an der Hochschule der Künste in Bern produziert, wo er unter anderen mit Roger Vontobel zusammengearbeitet hat, der in Bensheim mit dem Kurt Hübner Regiepreis 2006 ausgezeichnet wurde. In „ach!“ (ein Kleist-Porträt) setzt er das Publikum einer sehr persönlichen Konfrontation mit Heinrich von Kleist aus, die sich voll auf die Identitätssuche und innere Zerrissenheit eines Autors konzentriert, der sowohl zu Lebzeiten wie auch in der Retrospektive als unverstandenes Genius rangiert. Ein künstlerisch radikaler Nomade, stets zweifelnd bis verzweifelnd, dessen rätselhafter Tod im Jahr 1811 bis heute Spekulationen und Interpretationen auslöst. Jonas Dumke inszeniert den doppelten Abgang – er tötete zuvor Henriette Vogel – fast schon ehrwürdig zurückhaltend als zeitlupenhaften Kopfschuss unter nervösen Lichtblitzen.

Kleist wird als verletzte Seele dargestellt

Den Verdacht der chronischen Melancholie ist Kleist niemals losgeworden, und auch der junge Schauspieler zitiert den schriftlichen Nachlass des literarischen Außenseiters als Dokumente des Leidens und der psychischen Zerwürfnisse. Er mäandert durch das Leben eines grandios gescheiterten Genies der deutschen Romantik, das von den Nazis als patriotischer Held instrumentalisiert wurde, in seinen Werken aber nicht den ideologisierten Helden, sondern stets den zerbrechlichen Alltagsmenschen bevorzugt hat. Jonas Dumke macht in der Auswahl der Texte dennoch nicht den Fehler, Kleist als verletzte Seele darzustellen: Er zeigt einen ruhelosen Menschen, der in unruhiger, krisenhafter Zeit ein riskantes Leben wählt und mutig mit seiner Karriere experimentiert. Die Unberechenbarkeit und die Stimmungswechsel seiner literarischen Figuren spiegeln sich auch in seinem eigenen Lebensplan, der seit seinem Abschied vom Militär im Jahr 1799 immer wieder verändert und umgeworfen wird.

Verschlungene Satzketten

Kleists virtuoser Umgang mit der Syntax, seine bildstarke Sprache und die Musikalität der Sätze haben Dumke während seiner Recherche immer mehr fasziniert, wie er beim Nachgespräch im Parktheater erklärt. Auf der Bühne windet er sich gekonnt durch verschlungene Satzketten und rhythmisch getaktete Gedankengänge, und es ist für den Zuschauer bisweilen schwer, den langen Hypotaxen in deren bedeutungsschwangere Tiefe ohne akustische oder inhaltliche Verluste zu folgen. Ohne die fein akzentuierte und trennscharfe Artikulation des Schauspielers wäre dieses fragile wie energetische Solo womöglich in der Tiefe des Raums verloren gegangen.

Dramaturgisch setzt die Inszenierung aber nicht nur auf die Macht des Wortes. Jonas Dumke verleiht der Collage ein hohes Maß an Körperlichkeit und physischer Präsenz. Zu Beginn sitzt er gebeugt auf einem Hocker, den Kopf gesenkt, während er einen Ball auf dem Boden springen lässt. Leise schmeißt er dem Publikum erste Textfragmente und zerfetzte Sätze an den Kopf, beinahe mechanisch und roboterhaft.

Distanz zur historischen Figur verliert sich

Danach explodiert in ihm das Leben, er wendet sich zum Zuschauer und beginnt, Kleists Leben bis auf die Knochen zu sezieren. Er zitiert aus Briefen und Anekdoten, streut biographische Details ein und entwickelt sukzessive einen getriebenen Geist, der immer mehr in einen ungreifbaren Wahn abgleitet. Die Grenzen zwischen Persönlichkeit und Rolle, zwischen Werk und Autor verschwimmen ebenso wie jene zwischen Schriftsteller und Schauspieler.

Auf offener Bühne setzt Dumke seine eigene Identität aufs Spiel und verliert die Distanz zur historischen Figur. Insgesamt sind 235 Briefe von Kleist inhaltlich überliefert. Diese Schreiben bilden einen Zeitraum von mehr als 18 Jahren ab. Der erste Brief vom März 1793 ist an die Tante Auguste Helene von Massow gerichtet, die letzten Schreiben datieren vom 21. November 1811 und vom „Morgen meines Todes“. Zu den Bruchstücken der Inszenierung gehören Briefe an Wilhelmine von Zenge („Ich will ein Feld bebauen, einen Baum pflanzen und ein Kind zeugen“) und an die Schwester Ulrike von Kleist.

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Auf der Bühne schafft es Jonas Dumke, mit Sprache, Licht und Musik eine vielperspektivische Skizze zu zeichnen, die einen lebendigen Eindruck des Dichters vermittelt. Kleists Suche nach Sinnhaftigkeit prägen dieses starke Solo, das von einem straffen Spannungsbogen sowie der Präsenz des Schauspielers und der Dynamik des Spiels getragen wird. Sogar Kleists Freitod wirkt wie die Tragödie einer rastlosen Existenz, wie die Schlusspointe eines seiner lebensprallen Stücke. Langer Applaus im Parktheater für eine überzeugende darstellerische Gesamtleistung.

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