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Vor 50 Jahren: Richard Nixon tritt als US-Präsident zurück

Im August 1974 muss US-Präsident Richard Nixon zurücktreten. Der Republikaner wollte vertuschen, dass seine Konkurrenten mit verfassungswidrigen Mitteln bekämpft wurden- der Watergate-Skandal ging in die Geschichte ein

Von 
Konstantin Groß
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9. August 1974: Der zurückgetretene Präsident Richard Nixon verlässt im Helikopter das Weiße Haus. Von Reue keine Spur – kommt einem irgendwie bekannt vor. © dpa

Washington. Das Watergate-Hotel in Washington. Das Gebäude ist gigantisch, damit aber auch einschüchternd. Ebenso die Lobby, die Rezeption. Doch die Herren dahinter sind, typisch Amerikaner, höflich, ja freundlich. „Ich würde gerne das Watergate-Zimmer sehen“, frage ich. „Gerne“, antwortet einer der Herren: „Warten Sie bitte, es wird Sie jemand hinbegleiten.“

Nach 15 Minuten erscheint ein Page. Bald danach stehe ich vor dem legendären Zimmer 205. „Scandal Room“ steht auf dem Messingschild an der Tür. Zu Recht: Dies ist das Zimmer, in dem in der Nacht zum 17. Juni 1972 der Einbruch in das gegenüberliegende Hauptquartier der Demokratischen Partei geleitet wird – Auftakt für den größten Skandal der US-Politik, der am 9. August 1974 sogar zum Rücktritt des Präsidenten des Landes, Richard Nixon, führt.

50 Jahre ist das her und doch irgendwie aktuell. Viele erinnert Nixon an Donald Trump: gewaltiges Ego, die Medien und die politischen Gegner (für beide wohl das Gleiche) als Feinde betrachtend, von diesen anfangs unterschätzt. Nur der Lebensweg ist unterschiedlich. Nixon wächst in bescheidenen Verhältnissen auf, kämpft sich hoch, entwickelt dabei Hass auf das von der Ostküste stammende Establishment.

1960 verliert er die Präsidentschaftswahlen gegen den smarten John F. Kennedy, 1962 die Wahl zum Gouverneur von Kalifornien. 1968 endlich schafft er es, Präsident zu werden. Doch auch dies nur knapp mit 43,4 gegen 42,7 Prozent.

Richard Nixon: Ein erfolgreicher Präsident demontiert sich selbst

Im Amt jedoch ist Nixon erfolgreich. Die Beendigung des Kalten Krieges durch Abrüstungsverträge mit Moskau und die Aussöhnung mit dem kommunistischen China bleiben seine historischen Leistungen. Doch noch tobt der Vietnam-Krieg, der zunehmend unpopulär wird. In seinen biografischen Erfahrungen begründet, ist Nixon daher besessen von der Angst um seine Wiederwahl.

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  • Was wurde aus den Akteuren? Anders als Nixon kamen sie vor Gericht: Die Präsidenten-Berater Ehrlichman und Haldeman wurden wegen Verschwörung, Behinderung der Justiz und Meineids zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, von denen sie 18 Mona-te absaßen. Präsidenten-Berater Dean saß vier Monate in Haft.
  • Einbrecher-Chef Liddy erhielt 20 Jahre Haft, wurde aber von Präsident Jimmy Carter begnadigt und nach viereinhalb Jahren entlassen. Einbrecher McCord kam gegen eine Geldstrafe von 100 000 Dollar frei.
  • Zwei Justizminister Nixons, John Mitchell und Richard Kleindienst, saßen 19 bzw. einen Monat in Haft.
  • Literatur: Am besten natürlich Bernsteins und Woodwards gemeinsames Buch „Die Watergate-Affäre“ von 1974. Eine ganz andere Sicht der Dinge, aber ebenso spannend: Richard Nixon: Memoiren, 1978.
  • Legendär: 1977 führte BBC-Reporter David Frost mit Nixon zwölf Tage lang ein 28 Stunden dauerndes Interview. Komprimiert auf DVD erhältlich.
  • Film: „Die Unbestechlichen“ (Originaltitel „All the Presidents Men“) von 1976 mit Dustin Hoffman und Robert Redford als Bernstein & Woodward.
  • Schauplatz: Der vier Hektar große Watergate-Komplex besteht aus einem Hotel (336 Zimmer), zwei Bürogebäuden, drei Appartement-Häusern und einem Einkaufszentrum. Das Hotel wurde 1967 eröffnet, die anderen Teile folgten bis 1972.
  • Erinnerung: 2005 wurde der Komplex in die „Nationale Liste historischer Orte“ aufgenommen. Zimmer 205, in dem Liddy den Einbruch dirigierte, kann besichtigt werden. -tin

Diese Paranoia überträgt sich auf sein Team, dabei vor allem seinen Stabschef Bob Haldeman und seinen innenpolitischen Berater John Ehrlichman, wegen ihrer Abschottung und ihres deutsch klingenden Nachnamens „Berliner Mauer“ genannt. Wie kann man den gegnerischen Demokratischen schaden? – so lautet ihre zentrale Frage. Man beschließt, deren Hauptquartier zu verwanzen. Dazu ist ein Einbruch nötig, ausgeführt von der bewährten „Klempner“-Truppe von Gordon Liddy, Finanzberater im Komitee zur Wiederwahl des Präsidenten.

In der Nacht zum 17. Juni 1972 ist es soweit: Fünf „Klempner“ dringen im Seitenflügel des Watergate-Komplexes in das Hauptquartier der Demokraten ein. Liddy steuert das Ganze per Walkie Talkie aus seinem Zimmer 205 des Watergate-Hotels.

Hier logierte 1972 Einbrecher-Chef Liddy. © Konstantin Groß

Es ist der Wachmann Frank Wills, der beim nächtlichen Rundgang an einer Tür ein Klebeband entdeckt. Er alarmiert die Polizei, die um 1.52 Uhr vor Ort eintrifft. Hilflos muss Liddy mit seinem Fernglas zusehen, wie die Beamten mit gezogener Waffe seine fünf Komplizen verhaften.

Um 15 Uhr werden sie dem Richter James A. Belson vorgeführt: Als er die fünf nach ihrem Beruf fragt, antworten diese: „Antikommunisten“. Der Richter reagiert sauer, will richtige Berufsangaben hören. Der Dialog mit dem Angeschuldigten James McCord, Sicherheitschef im Komitee zur Wiederwahl des Präsidenten, schreibt Geschichte. „Sicherheitsberater“, antwortet der. „Und wo sind Sie tätig?“ „Ich bin erst kürzlich aus dem Staatsdienst ausgeschieden“. „Wo im Staatsdienst?“ „CIA!“, flüstert McCord. Da wird der junge Lokalreporter Bob Woodward von der „Washington Post“, nur routinemäßig vor Ort, hellhörig. Mit seinem erfahreneren Kollegen Carl Bernstein beginnt er Recherchen. Die werden zwei Jahre dauern und mit dem Rücktritt des Präsidenten enden.

Für Generationen von Journalisten weltweit Vorbilder: die Reporter der „Washington Post“, Carl Bernstein (geb. 1944) und Bob Woodward (geb. 1943). © Archiv

Dabei erhalten sie Tipps von einem Informanten aus dem inneren Apparat, den sie „Deep Throat“ nenen. Der selbst sagt nichts, bestätigt nur oder verneint, wenn Woodward ihm etwas sagt. Einer seiner wenigen Hinweise wird legendär: „Geht dem Geld nach!“ Beide treffen sich stets nachts in einer Tiefgarage. Woodward verspricht ihm, seine Identität niemals preiszugeben. Erst 2005, drei Jahre vor seinem Tod mit 95 Jahren, wird „Deep Throat“ von dessen Tochter geoutet: Mark Felt, zur Zeit von Watergate Vize-Chef des FBI.

Im November 1972 wird Nixon wiedergewählt, da mit dem Einbruch noch nicht in Verbindung. Das ändert sich bald: Am 8. Januar 1973 stehen die fünf Einbrecher sowie zwei Komplizen, unter ihnen Liddy, vor Gericht. Den Prozess führt Bundesrichter John Sirica, wegen seiner harten Urteile „Maximum John“ genannt. Die meisten Angeklagten bekennen sich schuldig, halten aber dicht, nachdem ihnen das Weiße Haus die Begnadigung durch den Präsidenten zusichert. Nicht so McCord. Am 23. März schreibt er dem Richter einen Brief: In ihm wird erstmals eine direkte Verwicklung des Weißen Hauses bezeugt. Das schlägt ein wie eine Bombe.

Zimmer 205 des Watergate-Hotels heute: Hier logierte 1972 Einbrecher-Chef Liddy. Gerahmte Titelseiten von Zeitungen erinnern an die Ereignisse. © Konstantin Groß

Die Politik wird aktiv. Der bereits am 7. Februar 1973 mit 77 gegen 0 Stimmen eingesetzte Senats-Untersuchungsausschuss lädt enge Mitarbeiter Nixons vor. Der Präsident verweigert ihnen aber die Aussagegenehmigung. Am Tag darauf kündigt der Ausschuss an, die Zeugen mit Polizeigewalt vorführen zu lassen.

Einer von ihnen ist John Dean, Rechtsberater des Präsidenten und nun Kronzeuge gegen Nixon: Am 6. Mai beschuldigt er ihn der Mitwisserschaft und Vertuschung. Seine Aussagen, die den Sommer 1973 über im Fernsehen übertragen werden, erschüttern das ganze Land.

Am 16. Juni sagt Oberst Alexander Butterfield vom Secret Service aus. Im Weißen Haus bestehe seit 1971 ein Abhörsystem, das alles aufzeichnet, was im Oval Office gesprochen wird. Sonderermittler Archibald Cox fordert die Herausgabe der Bänder.

„Saturday Night Massacre“ um die Abhör-Tonbänder

Nixon lehnt ab. Vielmehr weist er seinen Justizminister Richardson an, den Sonderermittler zu entlassen. Dieser lehnt ab und tritt zurück. Nun befiehlt Nixon dies dessen Vize Ruckelshaus, doch auch der weigert sich und geht. Erst der höchste Beamte im Justizministerium, General Bork, gehorcht. Die Ereignisse dieses Tages gehen als „Saturday Night Massacre“ in die US-Geschichte ein.

Am 13. Oktober entscheidet ein Gericht in Washington, dass Nixon die Tonbänder herausgeben muss. Am 30. Oktober werden sie von Anwälten des Weißen Hauses an Bundesrichter Sirica übergeben. Ein Ablenkungsmanöver: Mindestens zwei Bänder fehlen, auf dem wichtigsten sind 18 Minuten gelöscht.

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Am 25. Juli 1974 verurteilt der Oberste Gerichtshof den Präsidenten zur Herausgabe aller Tonbänder. Eines davon liefert den entscheidenden Beweis („Smoking Gun“): Am 23. Juni 1972, also nur wenige Tage nach dem Einbruch, kamen Nixon und Stabschef Haldeman überein, die FBI-Ermittlungen zu sabotieren.

Am 30. Juli 1974 beschließt der Justizausschuss des Repräsentantenhauses die Anklage zur Amtsenthebung des Präsidenten. Am 7. August teilen seine Republikaner Nixon mit, ihn nicht mehr zu unterstützen. Zwei Tage später tritt er zurück. Medien, Justiz, Parlament – das demokratische System funktioniert.

Am Morgen des 9. August besteigt Nixon auf dem Rasen des Weißen Hauses einen Helikopter, in dessen Eingang er trotzig die Arme hochreckt. Er bleibt uneinsichtig bis zu seinem Tode 1994 und übrigens auch von der Justiz unbehelligt.

Gemäß Verfassung automatisch Nachfolger wird Vizepräsident Gerald Ford, der noch am Nachmittag vereidigt wird. Er gewährt Nixon „volle uneingeschränkte und absolute Begnadigung für alle Vergehen gegen die Vereinigten Staaten.“ Das wäre heute wohl nicht mehr nötig: Im Verfahren Donald Trump billigt der Supreme Court am 1. Juli 2024 einem Ex-Präsidenten Immunität zu.

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