Zeitreise

Graimberg - der Retter der Heidelberger Schlossruine

Am 30. Juli jährt sich der Geburtstag von Louis Charles François de Graimberg de Belleau zum 250. Mal. Der talentierte Zeichner, unermüdliche Sammler und Museumsgründer warb für den Erhalt des Heidelberger Schlosses

Von 
Peter W. Ragge
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Hier hat er gelebt und gearbeitet: Das „Graimberg-Zimmer“ auf Schloss Heidelberg. © Staatliche Schlösser und Gärten Baden-württemberg

Heidelberg. Hier hat er also gelebt, gezeichnet, gearbeitet: Ein Öfchen und eine Standuhr, eine Schreibkommode, Tisch und Stühle, an den Wänden ein paar reproduzierte Kupferstiche und Postkarten, darüber ein imposantes Kreuzgewölbe: Das Turmzimmer im Gläsernen Saalbau des Heidelberger Schlosses sieht aus wie von 1811 bis 1823, als Louis Charles François de Graimberg-Belleau hier eingezogen war. „Graimberg-Zimmer“ wird es heute genannt – als Ehrerbietung an den französischen Künstler und Adeligen.

Das Heidelberger Schloss und Graimberg: „Bewahrer, Erforscher und Vermittler“

Mit Sabine Adler und Jonas Hock hat Uta Coburger, Konservatorin für Schloss Heidelberg bei den Staatlichen Schlössern und Gärten, den Raum 2018/2019 in Anlehnung an eine historisch überlieferte Zeichnung des originalen Zimmers eingerichtet. Damit könne „diese bedeutende Persönlichkeit bei unseren Führungen immer dargestellt werden“, und gerade in diesem Jahr spielt das eine besondere Rolle, würde Graimberg doch 250 Jahre alt. Da gilt dem, wie Coburger ihn nennt, „Bewahrer, Erforscher und Vermittler“ ein besonderes Augenmerk.

Schloss Heidelberg: Tipps für Besucher

Schloss Heidelberg: Schlosshof, Altan und Fasskeller täglich 9 bis 18 Uhr, letzter Einlass 17.30 Uhr.

Eintritt: Erwachsene 9 Euro, Ermäßigte 4,50 Euro incl. Hin- und Rückfahrt mit der Bergbahn.

Führungen: Innenräume mit „Graimberg-Zimmer“. Führungszeiten Mo bis Fr 11 bis 16 Uhr stündlich, Sa, So, Feiertag 10 bis 16 Uhr stündlich. Erwachsene 6 Euro, Ermäßigte 3 Euro (jeweils zzgl. Schlossticket)

„Living History“-Inszenierung: Gespräch von Charles de Graimberg – gespielt von Götz Valter, bekannt durch „Spitz und Stumpf“ – mit der Journalistin und Schriftstellerin Helmina de Chézy – gespielt von Angela Pfenninger. Die Vorführungen finden am Dienstag, 30. Juli (dem Geburtstag) in der Brunnenhalle um 11.30, 12.30, 14.30 und 15.30 Uhr statt und dauern jeweils 25 Minuten. Die Vorführungen sind im Eintrittspreis inbegriffen. Weitere Termine am Sonntag, 1. September und am Sonntag, 10. November.

Ausstellung: Sonderpräsentation zu Graimberg im historischen Ausstellungsraum der Stadtgeschichte des Kurpfälzischen Museums, Hauptstraße 97, 69117 Heidelberg bis 31. Oktober 2024. Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr. Eintritt im Museumsticket enthalten. pwr

Graimberg ist einst das, was man heute einen Flüchtling nennen würde. Am 30. Juli 1774 auf Schloss Paars bei Château-Thierry geboren, ist seine einflussreiche und mächtige Adelsfamilie „royalistisch, sehr traditionell und streng katholisch“, so Coburger. Als Kind gilt er als eher zurückhaltend und zeichnet viel. Trotzdem absolviert er die „Ecole Royale militaire“ und nimmt mit seinem Vater, einem Offizier, und seinen Brüdern am Ersten Koalitionskrieg teil.

1810 besucht Graimberg die Heidelberger Schlossruine - das ändert alles

Nach der Französischen Revolution emigriert die königstreue Familie 1791 nach Aachen. Ab 1796 durch sein Regiment wieder auf der Insel Guernsey, widmete sich Graimberg dort intensiv Studien und Zeichnungen mit Bleistift, Kohle oder Pastellkreiden. Nach seiner Entlassung aus dem Regiment 1798 verdient er seinen Lebensunterhalt als Maler und Zeichner und fertigt Porträts, Miniaturen und Landschaften oder arbeitet als Zeichenlehrer.

Ein Porträt des Schlossretters Louis Charles François de Graimberg de Belleau aus der Hand von Guido Philipp Schmitt. Das Gemälde entstand 1902 postum. © Staatliche Schlösser und Gärten Baden-württemberg

„Stilistisch war er damals sehr an der niederländischen Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts orientiert“, so Coburger. 1806 bis 10 kehrt er zusammen mit seinem Vater wieder an den heimischen Familiensitz zurück, zeichnet weiter und erhält ab 1807 Malerei-Unterricht in Paris. 1805/06 besucht er seinen Bruder in Karlsruhe, der sich dort als Porträtmaler niedergelassen hat. 1810 kehrt er dorthin zurück, um bei Hofkupferstecher Christian Haldenwang, ein Nachbar und Freund des Bruders, eine Ausbildung im Kupferstechen zu erhalten. Eigentlich will er 1811 nach dieser Ausbildung nach Paris zurück. Doch am 4. Oktober 1810 besucht er die Heidelberger Schlossruine. Das ändert alles.

Die Ruine des Heidelberger Schlosses: Überwuchert von Pflanzen und weidendes Vieh

Nun muss man sich die damalige, im Dreißigjährigen Krieg (1618-48) und im Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688-97) ohnehin sehr lädierte Ruine eher wild als wildromantisch vorstellen: „Überwuchert von Pflanzen und mit weidendem Vieh im Schlosshof“, schildert sie die Konservatorin. Seit 1720 befindet sich die Residenz in Mannheim, daher steht das Schloss weitgehend leer. Seit einem Blitzeinschlag 1764 sind viele Gebäude ausgebrannt, in elendem Zustand und verfallen. Dächer und Türen fehlen, Mauern sind von Pflanzen überwachsen und werden von den Heidelbergern als Steinbruch genutzt. „In der Heidelberger Altstadt dürften sich viele Steine des Schlosses finden“, nimmt Coburger an. Das Haus Baden, seit dem Ende der Kurpfalz 1803 der neue Eigentümer der – damals für jedermann frei zugänglichen – Anlage, lässt sie jedenfalls verkommen.

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Graimberg indes verliebt sich in sie. Er rühmt die Ruine in einem Brief, dass sie sich „immer reicher und unerschöpflicher vor mir ausbreitete.“ Auch die Erinnerung an die einst mächtige Dynastie der Wittelsbacher will er aufrechterhalten. Als Romantiker begeistert ihn die einzigartige Symbiose aus mächtiger Ruine und zügelloser Natur, „von Kultur, Geschichte und Natur“, erzählt Coburger: „Er war fasziniert von der Ruine und fertigte zahlreiche Zeichnungen an“. Seine geplante Rückkehr nach Frankreich gibt er auf, zieht sogar in die Ruine und mietet sich ein kleines Zimmer im Torturm des Gläsernen Saalbaus – das heutige „Graimberg-Zimmer“.

Von seinem Fenster aus überblickt er den Hof, vertreibt Vandalen und Steindiebe. Die Bewachung durch Invaliden oder einen pensionierten Offizier, die im Soldatenbau leben, gilt als uneffektiv. „Eine Denkmalpflege wie heute existierte damals noch nicht und Graimberg nahm hier eine entscheidende Rolle ein“, betont die Konservatorin. Regelmäßig Anzeigen an das Oberamt Karlsruhe und seine Forderung nach einem Schlosswächter stoßen bei den großherzoglichen Behörden auf taube Ohren. Dabei warnt er, dass „sogar mit Meiseln ganze Gesichter von Engelsfiguren weggestemt“ worden seien. Graimberg übernimmt daher die Bewachung selbst und zahlt Gärtner und Küfer einen Dukaten, wenn er auf Reisen ist und bei Rückkehr keine Schäden entstanden sind. Es sei „mon Chateau“ (mein Schloss), schwärmt er.

Mannheimer Kunsthändler als wichtiger Lieferant

1823 heiratet Graimberg Polyxenia von Perglas, eine Tochter aus vermögendem Hause. 1840 wird er Bürger der Stadt Heidelberg und erlangt die badische Staatsbürgerschaft. Zuerst wohnt das Paar in der Hauptstraße 107, ab 1839 am Kornmarkt 5 im „Palais Graimberg“, wo heute noch eine Tafel an ihn erinnert. Hier ist nicht nur genug Platz für die mittlerweile fünf Kinder des Paares, sondern auch für sein Kupferstichunternehmen und die Sammlung, die er aufbaut. Gerade seine Kupferstiche sind es, die ihn wie die Schlossruine überregional bekannt machen und einen wesentlichen Anteil haben, dass sich die Ruine zum Anziehungspunkt des – mit Schiff und Eisenbahn – gerade entstehenden Rheintourismus entwickelt. Mal stellt er das Schloss als romantische, stimmungsvoll inszenierte Ruine da, mal zeichnet er exakt wiedergegebene Details wie die Reliefs der Portale des Ottheinrichsbaus oder er fertigt Nachstiche von historischen Kupferstichen, die den Bau vor der Zerstörung zeigen. „Dies legte den Grundstein für den heutigen Tourismusmagneten Schloss Heidelberg“, so Coburger.

Ein idealisierter Kupferstich des noch unzerstörten Schlosses Heidelberg aus der Zeit von Graimberg. © Staatliche Schlösser und Gärten Baden-württemberg

Doch es kommt zu finanziellen Problemen. Immer mehr Konkurrenten stechen unautorisiert seine Darstellungen nach. „Daher kommt der Ausdruck abkupfern“, erläutert Coburger. Zudem ist die Produktion teuer. Gerettet habe Graimberg die neue und günstigere Lithographie-Technik ab 1840. Man schätzt, dass er zwischen 1813 und 1840 über 30 000 Kupferstiche verkauft, dazu kleine Reiseführer des Schlosses und andere Reiseandenken. Es sind sogar Tassen mit Schlossmotiven von ihm überliefert – ob er sie verkauft oder für sich selbst nutzt, weiß man aber nicht. Zuerst nutzt er sein Zimmer im Torturm, dann helfen ihm ab 1817 Buchhändler in Heidelberg und 1822 wechselt er auf größere Verkaufsflächen wie Brückenbau und Soldatenbau im Schloss sowie in seinem Wohnhaus in der Altstadt.

Man kann ihn ohne zu übertreiben als Retter der Heidelberger Schlossruine bezeichnen!
Uta Coburger

Da baut Graimberg aber auch noch etwas auf, was man als erstes kulturgeschichtliches Museum bezeichnen kann. Auslöser ist der Fund historischer Münzen im Hof. Ab da beginnt er, gezielt zu sammeln. In enger Zusammenarbeit mit dem Mannheimer Kunsthändler Kunkelmann trägt er alles zusammen, was mit dem Heidelberger Schloss, den Pfälzer Kurfürsten und der Kurpfälzer Kunstproduktion zusammenhängt. Kunkelmann liefert ihm die Exponate teils per Dampfschiff auf dem Neckar, teils per Fuhrunternehmen, wie die erhalten gebliebene rege Korrespondenz beweist.

Gemälde von Carl Theodor oder Liselotte von der Pfalz sind ebenso darunter wie Kupferstiche von Matthäus Merian, Münzen und Medaillen wie die berühmte „Heidelberg deleta“ Medaille Ludwig XIV auf die Zerstörung Heidelbergs, Frankenthaler Porzellan und Mosbacher Fayencen, ferner Waffen, Siegel, Rüstzeug. Auch der berühmte Zwölfbotenaltar von Tilman Riemenschneider zählt dazu.

Diese zum Schluss 9000 Objekte (!) umfassende Sammlung zeigt er 1822 bis 1842 im Brückenhaus und in seinem Haus am Kornmarkt, ab 1849 im Friedrichsbau oberhalb der Schlosskapelle. „Alterthümerhalle“ nennt er sie, vergleicht sie gar mit der Galerie von Versailles, verfasst Beschreibungen und druckt Kataloge. Die historistische Ausgestaltung des Friedrichsbaus samt der neuen Raumfolge und Stahlbetondecken („kurz vor 1900 ganz innovativ“, wie Coburger hervorhebt) erfolgt mit dem Ziel, die Sammlung dauerhaft dort zu präsentieren, weshalb noch heute über dem Eingang der verblasste Schriftzug „Museum“ zu sehen ist. Immer wieder gibt es aber auch Probleme mit großherzoglichen Beamten, die ihm etwa Hinweisschilder auf dem Schlossgelände zu seiner Sammlung untersagen.

Land Baden lehnt die Schenkung ab

„Graimberg wollte sie dem Land Baden schenken, doch der Großherzog lehnte das Geschenk ab“, bedauert die Konservatorin. „Dass die Sammlung nicht im Schloss geblieben ist und das Land sie nicht geschenkt haben wollte, ist schlicht ein Jammer“, seufzt sie. Immerhin stelle die Graimberg-Sammlung im Friedrichsbau ab 1849 „das früheste kulturgeschichtliche Museum im Südwesten“ dar.

Am 10. November 1864 stirbt Graimberg – nach 54 Jahren, die er für die Ruine gelebt hat. Schon ein Jahr zuvor hat er seinen Sohn Philibert sein „Musee de la Ruine“ anvertraut. Dem gelingt es erst 1879, die Sammlung an die Stadt Heidelberg zu veräußern. 1905 kauft die Stadt dann auch das Palais Morass, um dort das Kurpfälzische Museum zu gründen – wobei Graimbergs Schätze den Grundstock dieser Sammlung darstellen.

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„Man kann Charles de Graimbergs Wirken nicht hoch genug schätzen“, hebt Uta Coburger hervor: „Man kann ihn ohne zu übertreiben als Retter der Heidelberger Schlossruine bezeichnen!“ Seine Kupferstiche dürften wesentlich zur Berühmtheit der Heidelberger Schlossruine beigetragen haben. „Es ist schon faszinierend: Erst wurde das Heidelberger Schloss durch Franzosen zerstört und dann durch einen Franzosen gerettet“, merkt sie an. Auch die frühere Heidelberger Oberbürgermeisterin Beate Weber rühmt Graimberg als „frühen Protagonisten der Denkmalpflege“, der das Schloss durch seine Zeichnungen erst populär gemacht habe.

Coburger kann das mit einer Anekdote illustrieren. Regelmäßig erhalte sie Angebote oder Schenkungen zum Heidelberger Schloss, „die mir zeigen, dass diese Schlossruine eine unglaubliche Wirkung weltweit genießt“. So habe ihr die Enkelin einer Amerikanerin einmal einen kleinen Reiseführer Graimbergs geschenkt. Ihre Großmutter habe diesen kleinen Reiseführer und auch das Heidelberger Schloss geliebt und ihrer Familie aufgetragen, dass nach ihrem Tod der kleine Band „zurück zum Schloss“ solle.

Redaktion Chefreporter

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