Mannheim. Die Idee kommt aus Paris. Aristide Boucicaut gilt als Pionier des modernen Kaufhauses. Ab 1852 Teilhaber eines Geschäftes mit dem Namen Le Bon Marché im Quartier Latin und ab 1863 alleiniger Besitzer, macht er Bon Marché zeitweilig zum größten Warenhaus der Welt. Und er wird zum literarischen Vorbild für Octave Mouret im Roman „Das Paradies der Damen“ von Émile Zola.
Auch in England verbreiten sich Mitte des 19. Jahrhunderts die Geschäfte neuen Typs, ebenso in Amerika und nach der Reichsgründung 1871 auch in Deutschland. Denn nun wachsen die Städte, die Einwohnerzahlen explodieren – in Mannheim durch die Industrialisierung ebenso wie Eingemeindungen etwa von 49 000 in 1871 auf 163 000 Menschen in 1905.
Und damit wächst genau jene Mittelschicht, für die diese Häuser attraktiv sind: ein großes Sortiment, alles unter einem Dach, feste und attraktive Preise, Barzahlung, ansprechende Präsentation der Waren und die Einladung, sich jederzeit ohne Kaufzwang im Haus aufzuhalten und zu bummeln. Von „Demokratisierung des Konsums“ ist die Rede. Und die Innenstädte werden auch leichter erreichbar, in Mannheim ab 1892 durch asphaltierte oder zumindest gepflasterte Straßen und ab 1900 die elektrische Straßenbahn.
Zu Kuchen und Würstchen gibt es eine „Schreibgelegenheit“
Der Pionier in Mannheim heißt Sigmund Kander. 1873 kommt der aus der Gegend von Neckarbischofsheim stammende jüdische Kaufmann in die Quadrate und eröffnet ein Garn- und Kurzwarengeschäft in S 1, das er bald erweitert und in H 1,1 ansiedelt. Als er 1894 stirbt, führen seine Witwe Lina und der älteste Sohn Alfred den Laden fort. Sie realisieren auch seine Pläne eines Warenhauses, die er bereits entwickelt hatte. Dazu erwerben sie das Eckgrundstück in T 1,1, zuvor Standort der Gaststätte „Zum Silbernen Anker“, das Gründungslokal des Mannheimer Altertumsvereins.
Nach den Plänen von Architekt Albert Speer entsteht hier in nur sechs Monaten Bauzeit (!) ein Haus, das am 6. Oktober 1900 als erstes Mannheimer Warenhaus eröffnet und im Volksmund bald „Glaspalast“ genannt wird – ein Stahlskelettbau mit prächtiger Jugendstil-Verzierung und damals noch völlig unüblicher gläserner Fensterfront. 160 Angestellte arbeiten in den lichtdurchfluteten, üppig dekorierten Räumen mit Lichthof und breiter, mit Teppichen belegter Treppe sowie elektrischem Aufzug. Bald ist das Warenhaus so erfolgreich, dass es Filialen in der Neckarstadt (1904) und Schwetzingerstadt (1914) eröffnet.
In der nationalsozialistischen Diktatur werden die jüdischen Eigentümer indes gezwungen, ihre Häuser aufzugeben. Die „Anker-Kaufstätte“ übernimmt 1935 T 1, die Filialen Mittelstraße und Schwetzinger Straße. Sie geht 1936 in der Westdeutschen Kaufhof AG auf.
Kander ist nicht lange der einzige prachtvolle Mannheimer Konsumtempel. Das zweite Warenhaus wird dann am 10. Dezember 1904 eröffnet – in P 1. Hermann Schmoller hat den Karlsruher Architekten Camillo Frei beauftragt, zunächst drei Eckgrundstücke zum Paradeplatz hin mit einem fünfgeschossigen Kaufhaus zu bebauen. Es wird auf alten Kellergewölben errichtet, erhält einen markanten Eckturm und eine prachtvoll verzierte Fassade sowie im Innern Stützpfeiler mit Stuckornamenten.
Herrlich ist es, alte Werbeanzeigen zu studieren. So wird „Schmoller’s Erfrischungsraum“ in einem Inserat im „Generalanzeiger“ 1912 als „Erholungsstätte für Mannheims Damen“ angepriesen. Bei prachtvoller Aussicht auf den Paradeplatz könne man Waren aus eigener Konditorei genießen. „Unsere Backwaren sind in anerkannt feinstem Geschmack“, heißt es. 15 Pfennig kostet ein Stück Torte, mit Sahne 25 Pfennig, eine Eisschokolade ebenso 25 Pfennig und belegte Brötchen zehn Pfennig. Am Kalten Buffet gibt es „Hummer-Mayonaise“, Würstchen und Salate, dazu kommt ein besonderer Service: „Freie Telefonbenutzung, Schreibgelegenheit, Amtlicher Briefkasten“, heißt es in der Anzeige. Ein Herrenhemd kostet seinerzeit zwischen 85 Pfennigen und zwei Mark, ein paar Schuhe 4,90 Mark.
Aber auch Schmoller, ebenso ein jüdischer Kaufmann, muss in der Zeit der Nationalsozialisten erst Boykottaufrufe erleben und dann wie Kander sein Geschäft verkaufen. Im Sommer 1938 erfolgt die Arisierung, der zwangsweise Verkauf – oft unter Wert – an eine nichtjüdische Firma. Es übernimmt das Unternehmen Ernst Vollmer & Co. Im Zweiten Weltkrieg wird das Gebäude in P 1 heftig zerstört, und in den 1950er Jahren gibt Vollmer den Betrieb auf. Es übernimmt die „Anker-Kaufstätte“, Tochtergesellschaft von Kaufhof, die damit von T 1 nach P 1 ins Zentrum der Stadt vorrückt.
Ihr Neubau erfolgt mit beeindruckender Geschwindigkeit. Nachdem das Trümmergrundstück geräumt und eine 2,50 Meter dicke Stahlbetonplatte als Fundament gelegt ist, wird der Rohbau ab Mai 1953 in 80 Tagen und Nächten hochgezogen. Er besteht aus einem Stahlbetonskelett mit vorgesetzter Stahlglasfassade und Thermoluxfenstern, umfasst sechs Geschosse.
1968 erfolgt in Mannheim die Umbenennung von Anker in Kaufhof
Im Untergeschoss werden Lebensmittel und Haushaltswaren angeboten, dazu ein „Schnellverzehrbüffet für eilige Gäste“, wie man das nennt, als Fast Food noch kein geläufiger Begriff ist. Fünf Treppenhäuser, davon drei für Kunden, und fünf Rolltreppen erschließen die Obergeschosse, wo teils kostbare Materialien – etwa mit Juramarmor verkleidete Säulen – verarbeitet sind. Moderne Leuchtkörper und helle Farben, erstmals eine Sprinkler- und eine Lautsprecheranlage für Durchsagen zeichnen das Haus aus. Bei der Eröffnung am 12. November 1953 wird hervorgehoben, dass das Kaufhaus mühelos 12 000 bis 15 000 Menschen aufnehmen kann.
Und doch ist es bald zu eng. Im Januar 1959 wird die Erweiterung auf das gesamte Quadrat, dessen Grundstücke Richtung Freßgasse vorher erworben werden können, begonnen. Acht Etagen hat das Kaufhaus Anker nun. Dass die Kunden an allen vier Ecken das Gebäude betreten und dort versenkbare Türen mit Warmluftschleier installiert sind, gilt als besonders innovativ. An der Ecke Freßgasse/P 2 wird in einem gläsernen Portal ein Obst- und Gemüsestand eingerichtet, neben der großen, breiten Kundentreppe in der Mitte des Gebäudes dienen 13 Rolltreppen, ein Aufzug und – für Mitarbeiter – ein Paternoster als Verbindung zwischen den Etagen. Das Sortiment ist noch breiter als zuvor, und bei der Eröffnung am 30. September 1959 heißt das Motto „Tausendfach – alles unter einem Dach“.
Aber der Anker als Erkennungszeichen verschwindet nach knapp zehn Jahren. Am 1. Januar 1968 erfolgt – in Mannheim mit Pauken, Trompeten, Böllerschüssen, 10 000 Luftballons und 15 000 Fähnchen – die Umbenennung aller Anker-Kaufstätten in Kaufhof. Der Anker auf dem Dach wird durch eine sich drehende Weltkugel ersetzt. 1982 gibt es eine Modernisierung, die acht Monate dauert. Acht Millionen D-Mark werden seinerzeit investiert, unter anderem in eine – damals schon! – energiesparende Fassade mit Sonnenmarkisen sowie im Innern in eine modernere Warenpräsentation mit neuen Theken, Ständern Regalen und vielem mehr. Immerhin handele es sich um das umsatzstärkste Kaufhaus der Stadt, wie es zur Einweihung am 19. August 1982 heißt. Das Sortiment wird erneut erweitert, ein Friseur sowie ein Straßenverkauf von Backwaren kommen hinzu. 600 Mitarbeiter bieten insgesamt 120 000 Artikel.
Die nächste Renovierung lässt nicht lange auf sich warten. Durch Auflösung von Büros wird 1990/91 die Verkaufsfläche erneut erweitert. Der Konzern bezeichnet das Haus in P 1 nach 16 Monaten Umbauzeit und einer Investition von 20 Millionen D-Mark als „Erlebnishaus“ und erste Filiale des neuen Typs. Es handelt sich gar um die größte Einzelinvestition in einem westdeutschen Kaufhof zu jener Zeit, wie der Konzern hervorhebt und Mannheim als eines der „Top Ten“-Häuser einstuft. Neue Böden und Verkaufsmöbel, ein raffinierteres Lichtkonzept und ein eigenes Informations- und Leitsystem für die Kunden zeichnen dieses „Erlebnishaus“ ebenso aus wie die Lebensmittelabteilung. Sie gilt bald als Treffpunkt für Feinschmecker der Region. Wer hier Fisch oder etwa Krebs kauft, dem wird er lebend aus Bassins geholt.
1997 investiert Kaufhof nochmal fast 17 Millionen D-Mark, um das Haus in P 1 seinem Galeria-Konzept mit elf modernen „Waren-Welten“ anzupassen. Kantine, Verwaltungs- und Lagerräume werden aufgelöst, um weitere Verkaufsfläche zu gewinnen. Dafür wird für die Verwaltung ein weiteres, zurückgesetztes Stockwerk aufgesetzt. Man sei damit „für die Zukunft bestens gerüstet“.
Doch zugleich beginnt der Niedergang der Warenhaus-Welt. Während Kaufhof in P 1 investiert, schließt Ende Januar 1996 gegenüber in E 1 das Kaufhaus Hertie. Es wird, wie Schmoller, auch 1904 als Kaufhaus Wronker im prächtigen Jugendstil erbaut und in der NS-Diktatur 1938 als „Hansa“ arisiert. 1953 übernimmt es der Hertie-Konzern und lässt einen Neubau errichten.
1994 bis 2020 gibt es in Mannheim sogar zwei Kaufhof-Kaufhäuser – in N 7. 1927 bis 1929 wird auf einem Eckgrundstück an der Kunststraße vom Frankfurter Architekten Fritz Nathan ein Gebäude errichtet, das als eines der Hauptwerke der Neuen Sachlichkeit in Mannheim gilt. Der achtgeschossige, rund 40 Meter hohe Turm, an seiner Vorderfront nahezu vollständig verglast, prägt den Neubau. Er enthält das Lichtspieltheater Universum (später Ufa-Palast genannt), das auf Damenhüte spezialisierte Unternehmen „Samt und Seide“ sowie eine Filiale vom „Deutsche Beamtenwarenhaus“ (Debewa), wo nur Mitglieder des Deutschen Beamtenwirtschaftsbundes einkaufen dürfen.
Besucher-Tipps
- Ausstellung zur Stadtgeschichte: Marchivum – Haus der Stadtgeschichte und Erinnerung, Archivplatz 1 (Dammstraße/Ecke Bürgermeister-Fuchs-Straße), 68169 Mannheim
- Öffnungszeiten: Dienstag, Donnerstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Mittwoch 10 bis 20 Uhr, am Montag geschlossen, an jedem Feiertag geöffnet außer 24. und 31. Dezember
- Eintritt: Sieben Euro, ermäßigt 3,50 Euro, Familienticket zehn Euro, Schüler in Klassen zwei Euro.
- Führungen: Öffentliche Führung wöchentlich sonntags, 15 Uhr, Treffpunkt Foyer im Erdgeschoss
- Anfahrt: Der Parkplatz liegt in der Bunsenstraße. Straßenbahn (Linie 2/Haltestelle Bürgermeister-Fuchs-Straße) und direkt vor dem Haus der Bus (Linien 53 und 60).
- Weitere Ausstellung: Informationen zur Gründungszeit der Kaufhäuser und zur damaligen Mode gibt es in der Ausstellung „Belle Époque – Tanz und Taumel einer Epoche“ im Zeughaus der Reiss-Engelhorn-Museen im Quadrat C 5, die aber erst nach dem Sommerferien wieder geöffnet ist. pwr
Der Gründer, der Hamburger Kaufmann Emil Köster, fusioniert es mit seiner anderen Firma zum „Deutschen Familienkaufhaus“ (Defaka). Das bezieht 1936 den Geschäftshaus-Neubau in P 5 an den Planken mit dem berühmten „Café Kossenhaschen“. Dafür zieht in N 7 das 1904 gegründete, erst in der Schwetzingerstadt und dann in M 7 ansässige Kaufhaus Vetter ein und erwirbt im Zuge der Arisierung jüdischen Vermögens zwei Jahre später den Nachbarn, „Samt und Seide“.
Legendärer Auftritt von Elvis Presley
Im Zweiten Weltkrieg erhält das Haus zwar Bombentreffer, bleibt aber stehen, wird von den Amerikanern beschlagnahmt und als Supermarkt, Kino und Snackbar mit Bowlingbahn benutzt. Im August 1945 findet hier das erste Opernkonzert des Nationaltheaters nach dem Krieg statt. Die Warenhaus-Wiedereröffnung erfolgt 1953, die Kino-Eröffnung 1955. Bald laufen hier nicht nur Filme. Hier ist der Schauplatz von einem legendären Auftritt von Elvis Presley, seinerzeit als amerikanischer Soldat in Wiesbaden stationiert, der am 25. Oktober 1958 im Ufa-Palast spontan mit Bill Haley einige Hits spielt. Doch die Kinogeschichte endet 1966 – da wird der Ufa-Palast als erstes Mannheimer Großkino geschlossen. Das Kaufhaus Vetter übernimmt die Flächen.
Vetter verkauft 1967 aus Altersgründen sein Kaufhaus an den Konzern von Helmut Horten, wird einige Jahre später zum großen Mannheimer Mäzen. Das markante Turmhaus wird – es gibt noch keinen Denkmalschutz – zum Abbruch freigegeben. Stattdessen eröffnet hier am 4. September 1968 Helmut Horten das 50. Warenhaus seines Konzerns. Errichtet wird es nach den Plänen des Mannheimer Architekten Gustav Geyer in nur einjähriger Bauzeit und mit einem Kostenaufwand von 20 Millionen D-Mark. Besonders spektakulär: die vorgehängte Fassade aus weißen, wabenförmigen Keramikelementen, entworfen von Egon Eiermann und über Jahrzehnte als „Hortenkacheln“ charakteristisch für dieses Unternehmen.
Als Horten 1994 von Kaufhof übernommen wird, gibt es sofort Änderungen an der Fassade: Sie wird teilweise aufgebrochen, durch große Glasflächen ersetzt. 1999 wird der Name Horten durch Galeria Kaufhof, 2006 die Waben-Fassade durch elfenbeinfarbene Ziegel ersetzt. 2021 startet Diringer & Scheidel Abriss und Umbau. Hier wird es keine ausschließliche Nutzung durch Einzelhandel mehr geben, sondern eine Mischung aus Handel, Büros und Wohnungen.
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