Zeitreise

Das Massaker im Schlossgarten von Kirchheimbolanden

Die Eroberung von Kirchheimbolanden durch preußische Truppen am 14. Juni 1849 markiert den Anfang von Ende der Pfälzischen Revolution

Von 
Klaus Backes
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Unweit der „trauernden Germania“ liegt die Grabstätte für die 17 Toten des 14. Juni 1849. © Klaus Backes

Kircheimbolanden. Vor fast genau 175 Jahren sterben im Schlossgarten von Kirchheimbolanden 17 Männer eines gewaltsamen Todes. Umgebracht werden die Freischärler von preußischen Soldaten, die der Pfälzischen Revolution ein blutiges Ende bereiten.

Am Beginn der Erhebung steht die „Dritte Französische Revolution“ im Februar 1848, die König Louis Philippe vom Thron fegt. Der Funke springt auf Deutschland über, und die Herrscher befürchten, dass es ihnen ähnlich ergeht wie ihrem französischen Kollegen. Deshalb stimmen sie Wahlen für ein Parlament zu, das eine demokratische Verfassung für ganz Deutschland erarbeiten soll. Es tritt am 18. Mai 1848 in der Frankfurter Paulskirche zusammen.

Zehn Monate danach ist die Verfassung fertig, die unter anderem Grundrechte sowie Gewaltenteilung beinhaltet. Eine konstitutionelle Monarchie soll es sein, mit dem König von Preußen als Kaiser an der Spitze. Doch Friedrich Wilhelm IV. lehnt ab. Er erklärt der Delegation der Nationalversammlung, die ihm die Wahl zum Kaiser bekanntgeben soll, er könne die Krone nur im Einverständnis mit den anderen deutschen Fürsten annehmen. In Wahrheit will er keine Krone aus Bürgerhand, „keinen Reif aus Dreck und Letten“.

Es kommt noch schlimmer: Unter anderem Preußen und Bayern weigern sich, die Verfassung anzunehmen. Das trifft vor allem in der Pfalz, wo es seit Jahrzehnten gärt, auf Empörung. Bereits 1832, beim Hambacher Fest, bricht sich die Unzufriedenheit Bahn, ertönen Forderungen nach Demokratie und nationaler Einheit. Zudem fühlen sich die rund 600 000 Pfälzer vom „Mutterland“ Bayern ausgebeutet. Im Vorfeld der Revolution von 1848 verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage weiter. Missernten bringen Hungersnöte; auch die weit verbreitete Armut schürt die Unzufriedenheit.

Freiheitskämpfer sind schlecht ausgestattet

Als Reaktion auf die Ablehnung der Verfassung gründet sich am 17. Mai 1849 in Kaiserslautern eine Provisorische Regierung, die für eine Loslösung der Pfalz von Bayern eintritt. Ein Volksheer soll die neue demokratische Ordnung verteidigen. Der bayerische König bittet seinen preußischen Kollegen um militärische Hilfe. Die Provisorische Regierung erkennt die Gefahr und versucht verzweifelt, schlagkräftige Truppen aufzustellen, proklamiert eine allgemeine Wehrpflicht. Dies trifft vor allem in katholischen ländlichen Gebieten der Pfalz auf Widerstand, wo ohnehin eine Ablehnung der Revolution dominiert. Die meisten Revolutionäre kommen aus den Städten. Trotzdem besteht das Volksheer im Juni 1849 aus etwa 13 000 Mann, darunter etwa 2500 Deserteure der bayerischen Armee.

Informationen für besucher

  • Anfahrt von Mannheim: Über eine Rheinbrücke nach Ludwigshafen und auf die A650. Am Autobahnkreuz Ludwigshafen auf die A61 in Fahrtrichtung Koblenz/Mainz/Kaiserslautern. Abfahrt 56 in Fahrtrichtung Gundersheim/Westhofen/Kirchheimbolanden nehmen. Bei Gundersheim auf die L386 in Fahrtrichtung Kirchheimbolanden/Gundersheim abbiegen. An Flomborn vorbei und weiter bis Kirchheimbolanden. Parken: Am Schlossplatz oder in dessen Umgebung. Fahrstrecke von Mannheim: etwa 60 Kilometer Fahrzeit: etwa 45 Minuten.
  • Per Bahn: Fahrzeit etwa zwei Stunden, ein- bis dreimal umsteigen (je nach Verbindung)
  • Museum: Im Museum (Amtsstraße 14) gibt es eine eigene Abteilung „Deutsche Revolution“ mit etwa 250 Exponaten. Geöffnet: dienstags bis sonntags 14 bis 17 Uhr, Eintritt frei.
  • Freischärler-Rundweg: Am Schlossplatz hängt eine Übersichtskarte, begleitet von weiteren Informationen. Standorte 46 bis 60 der Kirchheimbolandener Stadttour(en). Wichtigste der 15 Stationen Stationen sind der Schlossgarten (direkt neben Schlossplatz), wo sich am 14. Juni der Kampf abgespielt hat sowie der Friedhof mit dem Grab der Freischärler und der „trauernden Germania“. Beim Rundweg unbedingt auch die Reste des Mittelalters sowie die Gebäude der Kleinen Residenz und des 19. Jahrhunderts beachten.
  • Führungen: Buchbar im Büro der Stadthalle, Dr.-Edeltraud-Sießl-Allee 4, Tel.: 06352/750-4777, E-Mail: touristik@kirchheimbolanden.de
  • Internetseite: www.visit-kirchheimbolanden.de
  • Literatur: Klaus Kremb/Sören Dall: Ausgebremste Zeitenwende 1848/49. Begleitbuch zur Freischaren-Stadt-Tour Kirchheimbolanden. Erich Schneider/Jürgen Keddigkeit: Die Pfälzische Revolution von 1848/49, Kaiserslautern 1999. kba

 

Viele von ihnen kommen aus der Festung Landau, deren Besatzung zwischen dem 10. und dem 20. Mai 2005 Soldaten verliert, so dass nur noch 1629 verbleiben. Doch die reichen aus, um einen dilettantisch vorgetragenen Angriff der Revolutionäre locker abzuwehren.

Die Hilferufe der neuen pfälzischen Regierung verhallen nicht ungehört: Am 10. Mai 1849 kommen 700 Mann aus Worms, am 12. Mai ein 1000 Kämpfer zählendes rheinhessisches Freikorps. Es bezieht in Kirchheimbolanden Quartier. Disziplin und Ausbildungsstand des Volksheers werden als miserabel geschildert. Zudem fehlt es an Waffen und vor allem an Kanonen. Etwa zehn Prozent der Mannschaften des Volksheers tragen geradegebogene Sensen, nur etwa ein Drittel besitzt Gewehre, eine große Anzahl gar keine Waffe. In Kirchheimbolanden werden Barrikaden errichtet, die wichtigste an einer Ecke des Schlossgartens. An deren Bau soll Mathilde Hitzfeld beteiligt gewesen sein, eine weibliche Ikone der Revolution. Der Anklage wegen Aufforderung zum Kampf gegen preußische Truppen entgeht sie durch Flucht in die Vereinigten Staaten, wo sie 1905 stirbt.

Die „trauernde Germania“ wurde 1872 auf dem Friedhof errichtet. © Klaus Backes

Auch Friedrich Engels, der gemeinsam mit Karl Marx die fatale kommunistische Theorie entwickelt, kommt nach Kirchheimbolanden und macht sich über die Freiheitskämpfer lustig: „Es sind Leute, die vom Militär höchstens die Wachparade gesehen haben, die sich überhaupt nie um die materiellen Mittel zur Erreichung irgendeines Zwecks bekümmern und die daher meistens (...) im ersten Gefecht eine so niederschmetternde Enttäuschung erlebten, daß sie sich eiligst auf und davon machten.“ Als er sich in einem Gasthof ähnlich despektierlich äußert, wird er „wegen Herabwürdigung der Erhebung des Pfälzischen Volkes“ verhaftet, kommt aber ohne Sanktionen davon. Auch nach Niederschlagung der Revolution spottet er: So bestand die Provisorische Regierung seiner Auffassung nach „fast nur aus gemütlichen Schoppenstechern“.

Ohnehin kommt ihm die Revolution in der Region wie eine Farce vor: „Die ganze Pfalz verwandelte sich in eine große Schänke, und die Massen geistigen Trankes, die ,Im Namen des pfälzischen Volkes’ während dieser sechs Wochen verzehrt wurden, überstiegen alle Berechnung.“ Der Revolutionär und spätere US-Innenminister Karl Schutz besucht ebenfalls die Freischaren in Kirchheimbolanden und zeigt sich recht angetan. Mit einer Ausnahme: „Nur hatte die Artillerie, die aus drei oder vier Böllern bestand, wie man sie zum Knallen bei Festlichkeiten gebraucht, etwas Spielzeughaftes.“

Um 1880 erschienene Darstellung des Kampfes von Paul Stumpf. © Stadt

Die Preußen rücken heran, und die Revolutionsbegeisterung in Kirchheimbolanden schwindet rapide. In seinen Erinnerungen beschreibt der Freischarenführer Friedrich Bamberger Forderungen der Honoratioren, auf eine Verteidigung der Stadt zu verzichten. Sollten es die Revolutionäre trotzdem versuchen, „so würden wir die Bürger selbst im Rücken zu Feinden haben“. Aber soweit kommt es nicht, denn angesichts der erdrückenden Übermacht befehlen Bamberger und sein Kollege Franz Zitz den Abmarsch.

15 000 bayerischen Soldaten müssen nicht mehr kämpfen

Doch ein kleiner Trupp Freischärler bleibt zurück. Martin Fuchs ist einer von ihnen. Er beschreibt den Rückzug in den Schlossgarten: „Ein Teil besetzte die Frontmauer, ein anderer baute eine Barrikade am Bischheimer Tor, die übrigen waren innerhalb des Gartens.“ Die Preußen drängten die 45 Mann in der Mitte des Parks zusammen. Fuchs: „Alle waren verwundet, ungefähr 16 Mann wurden gefangen und 15 lagen tot auf dem Platz, davon war einer erschossen worden, nachdem er sich schon ergeben hatte. Die übrigen flohen, darunter auch ich selbst.“ Dass Gefangene liquidiert werden, bestätigt ein preußischer Soldat in einem Brief an seine Eltern: „Die meisten Toten von den Freischaren lagen in dem Schloßgarten und die noch so gefangen wurden, mußten sich an die Wand stellen und wurden erschossen. Von unseren Leuten ist kein Mann geblieben, auch nicht einmal einer verwundet.“

Wie konnte es zu dem Desaster kommen? Friedrich Bamberger muss sich gegen Vorwürfe verteidigen, er habe den Trupp im Stich gelassen. Seine Erklärung für das Drama: „Sei es, dass sie das mehrmals wiederholte Hornsignal nicht vernahmen, sei es dass sie es mißverstanden, oder daß sie überhaupt nicht weichen wollten.“

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Dieses Gefecht bedeutet den Anfang von Ende des Aufstands in der Pfalz. Rasch ziehen sich die Freischärler zurück. Es kommt lediglich noch zu einem größeren Kampf am 17. Juni bei Rinnthal unweit von Annweiler. Rund 1500 Revolutionäre stehen den Preußen gegenüber. Bald fliehen die Verteidiger. Sie beklagen etwa 20 Tote sowie 60 Verletzte, die Preußen zwei Tote und sechs Verwundete. Bereits am 18. Juni setzen die Freischärler nach Baden über; die Preußen haben den pfälzischen Aufstand binnen vier Tagen fast völlig niedergeschlagen.

Die 15 000 bayerischen Soldaten müssen nicht mehr in die Kämpfe eingreifen. Am 22. Juni verhängt der bayerische Kommandierende Fürst von Thurn und Taxis den Kriegszustand über die Pfalz. Die Revolution wird abgewickelt, alle Beschlüsse der Provisorischen Regierung aufgehoben. 333 Männer sollen vor Gericht gestellt werden, doch lediglich 17 von ihnen sitzen in Haft; die anderen haben sich ins Ausland abgesetzt. Es fallen viele Todesurteile „in Abwesenheit“. Hingerichtet wird lediglich ein Leutnant wegen Fahnenflucht. Die oppositionelle Stimmung der Pfälzer verfliegt rasch; die Menschen interessieren sich nun mehr für Ernährungsfragen und die Entwicklung der Eisenbahn als für Politik.

Schlichtes Denkmal hält die Erinnerung wach

Die toten Freischärler gelten der Obrigkeit als Aufrührer und erhalten deshalb keine würdige Grabstätte. Erst 1866, im Vorfeld der Reichsgründung, wird den Gefallenen zugute gehalten, immerhin ein geeintes Deutschland gewollt zu haben. Spenden ermöglichen es dann, einen Obelisken auf das Grab der 17 im Friedhof von Kirchheimbolanden zu stellen.

Wenige Meter entfernt davon wird 1872 zu ihren Ehren das Freischarendenkmal errichtet. Im Gegensatz zu vielen ähnlichen Plastiken der Zeit handelt es sich um eine trauernde Germania; die den Siegerkranz gesenkt hält. „Den Kämpfern für die deutsche Reichsverfassung. Gefallen am 14. Juni 1849“ lautet die schlichte Inschrift. Auf der Rückseite des Denkmals stehen die Namen der 17 Gefallenen. Zur Enthüllung am 16. Juni 1872 versammelt sich die Opposition gegen das Bismarck-Reich und Kaiser Wilhelm I., der als Kronprinz und Oberbefehlshaber der preußischen Truppen für den Tod der 17 Freischärler Verantwortung trägt. Der Journalist Otto Hörth schreibt in der „Frankfurter Zeitung“: „Da war kein Jubel über das neue deutsche Reich, (…) kein Telegramm auf den Fürsten Bismarck, kein Hoch auf den Kaiser.“ Kirchheimbolanden hält die Erinnerung an die Pfälzer Revolution wach. Sie bildet einen Schwerpunkt im Museum. Im Auftrag der Stadt entstand ein Freischaren-Rundweg. Wer ihn begeht, erfährt viel über ein hoffnungsvolles Kapitel der Geschichte und dessen tragisches Ende.

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