Schwetzingen. Die Liebe ist schuld. Deshalb gelangt unter Kurfürst Karl I. Ludwig im 17. Jahrhundert der Spargel in die Kurpfalz, nach Schwetzingen. So schildert es Lars Maurer, der Leiter vom Museum der Stadt Schwetzingen. Er nimmt zwar an, dass „Spargen“, wie man seinerzeit sagt, auch schon vorher irgendwo in der Region gewachsen sind. „Aber Schwetzingen ist das älteste durchgängige Spargelanbaugebiet Deutschlands“, hebt Barbara Gilsdorf, Kulturreferentin und Tourismusleiterin von Schwetzingen, hervor. Daher stellt die Stadt die Geschichte des Gemüses, seine Bedeutung und seinen Anbau in einem Spargellehrpfad dar.
Der Ursprung der Pflanze liegt im Orient. Der zu den Liliengewächsen zählende „Asparagus officinalis“, wie der Gemüsespargel botanisch genannt wird, gedeiht gut bei warmem Klima auf leichten Sand- und mittelschweren Lehmböden. „Daher finden wir hier, in der Oberrheinebene, hervorragende Bedingungen für den Anbau – durch den Sand der Dünen, die es hier noch aus der Eiszeit gibt“, erläutert Lars Maurer.
Für eine Ausstellung 2018 und den Spargellehrpfad hat der aus Mannheim stammende Historiker sich gemeinsam mit Cord Arendes, Lehrstuhlinhaber für Angewandte Geschichtswissenschaft an der Universität Heidelberg, intensiver mit der krautigen Kulturpflanze befasst. Dabei habe man die kultur- und regionalhistorischen Aspekte „erstmals in dieser Dimension erforscht“, betont Lars Maurer.
Die heilende Wirkung kennen schon die Chinesen
Zwar sind Spargel kein rein kurpfälzer Gewächs. Das älteste chinesische Heilpflanzenbuch erwähnt die heilende Wirkung der getrockneten Wurzeln als harntreibende Medizin, die Griechen preisen diesen Effekt ebenso, die Ägypter sollen bereits Spargel gekannt haben, von Römern ist es belegt. So wird dem römischen Kaiser Augustus der Satz „citius quam asparagus coqunatur“ zugeschrieben – sprich sein Befehl solle schneller ausgeführt werden, als der Spargel zum Kochen benötigt. Die Römer sind es auch, die den Spargel nach Mitteleuropa und das damalige Germanien gebracht haben sollen – eine dazu passende Ausgrabung in Trier wird bereits auf das zweite Jahrhundert datiert.
Allerdings scheint das Gemüse dann einige Jahre in Vergessenheit geraten zu sein – lange finden sich nämlich keine Belege und wenn, dann nur als Arznei. Im 15. Jahrhundert ist vom württembergischen Hof, ab dem 16. Jahrhundert vom Oberrhein, der Gegend um Speyer und Straßburg Spargelanbau überliefert. 1597 erwähnt der Heidelberger Hofapotheker Philipp Stephan Sprenger den Spargel im Pflanzenkatalog seines privaten Gartens.
Doch dann kommt der Dreißigjährige Krieg (1618-48) mit seinen schrecklichen Verwüstungen. Nach dem Westfälischen Frieden von 1648 vergehen noch 20 Jahre, bis in der Region der Spargelanbau beginnt – und seither nicht mehr endet. Und es ist der Moment, bei dem die Liebe ins Spiel kommt. Kurfürst Karl I. Ludwig (1617-1680), der älteste überlebende Sohn des Pfälzer Kurfürsten und böhmischen „Winterkönigs“ Friedrichs V. sowie seiner Frau Elisabeth Stuart, baut die Kurpfalz wieder auf, erlässt dazu 1652 die zweiten Stadtprivilegien Mannheims, in denen er Zuwanderer aller Nationen und Religionen einlädt, gemeinsam die Stadt aufbauen.
Er beschließt auch, das Schwetzinger Schloss wieder aufleben und ausbauen zu lassen – als Sommerresidenz und eine Art „Liebesnest“. „Hier will er die Beziehung zu seiner zweiten Frau ausleben“, sagt Maurer. Es ist seine zweite Gemahlin, Raugräfin Louise von Degenfeld, die er – da nicht standesgemäß – 1658 „zur linken Hand“ heiratet und mit der er immerhin 13 Kinder hat. Er liebt sie so sehr, dass er sie nach ihrem Tod 1677 in einer eilig gebauten Gruft in der im Bau befindlichen Concordienkirche in der Friedrichsburg in Mannheim bestattet. Heute ruht sie in einer Gruft der neuen Konkordienkirche in Mannheim.
Ehe er mit ihr nach Schwetzingen zieht, ordnet der Kurfürst an, den Schlossgarten zu erneuern. Hofgärtner Heinrich Kampf erhält den Auftrag, Wege zu pflegen und Unkraut zu jäten. Er solle „die Böden düngen und jegliches nach seiner Art und zu gehöriger Zeit zu sein auf das alle Zeit früh und spät gepflanzet werde“. Besonders verlangt der Kurfürst, der Gärtner solle „allen Fleiß anwenden, fremde Gewächsen als Caulifoll (Blumenkohl), Artischocken, Spargel, Cucumeri (Gurken), Melonen und was der Kellerei nötig in unserem Garten zu setzen“.
Der Auftrag datiert vom 22. Mai 1668, „und er ist der erste Beleg für den Spargelanbau in Schwetzingen“, so Lars Maurer, und auf dieses Datum führt die Stadt ihr Jubiläum „350 Jahre Spargelanbau“ zurück, das Anlass für den Lehrpfad ist. „Immerhin hat der Spargel wirtschaftlich über Jahrhunderte unsere Stadt geprägt“, unterstreicht Barbara Gilsdorf. Dabei räumt Maurer ein, dass das Gemüse „erst im 19. Jahrhundert eine ökonomische Dimension für die Stadt und weite Verbreitung hat“.
Bassermann-Konserven werden per Flug exportiert
Zunächst ist es dem kurfürstlichen Hof vorbehalten – auch unter Kurfürst Carl Theodor (1724-1799), in dessen Ära Schwetzingen als Sommerresidenz eine enorme Blüte erlebt. Auch da werden die weißen Stangen nur am Hof serviert. In badischer Zeit unter der Leitung von Gartenbaudirektor Johann Michael Zeyher finden sich ebenso Belege, dass 1820 im Schlossgarten dieses begehrte Gemüse angebaut wird. „Es beginnt etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts, dass Schwetzinger Bürger auf kleineren Flächen für den Eigengebrauch Spargelkulturen entwickeln“, sagt Lars Maurer, zunächst vor allem zum Eigenbedarf. Schnell seien mehrere Äcker hinzugekommen, bald darauf das Gemüse erst auf dem Schwetzinger, schließlich dem Mannheimer Markt angeboten worden. Ab den 1870er Jahren könne man laut dem Museumschef von einem „planmäßigen Anbau“ und gezieltem Handel sprechen, worauf die Fläche geradezu explodiert. 1920 wächst Spargel auf 400 Hektar in Schwetzingen – etwa drei Viertel der 581 Hektar ausmachenden Anbaufläche in ganz Baden.
Eine Schlüsselrolle kommt dabei Gustav Adolf Unselt (1866-1924) zu. Ab 1899 zunächst Verwalter und dann Hofgärtner im Schlossgarten, leitet er ab 1900 zugleich die neugegründete Garten- und Obstbauschule für Frauen und Mädchen in der Orangerie des Schlosses. Ab 1910 beginnt er, im Schlossgarten Spargel zu züchten, ab 1912 untersucht er 30 verschiedene Spargelpflanzen, führt genau Buch über Witterungsverhältnisse, Wachstum und Ertrag.
„Ihm haben wir den Aufschwung des Spargelanbaus zu verdanken“, so Maurer. Unselt habe sich um die Qualität sowie den Schutz vor Schädlingen wie der Spargelfliege verdient gemacht, verweist der Museumschef auf den 1917 veröffentlichten Text „Die Steigerung der Spargelerträge. Eine wichtige Aufgabe für Spargel-Züchter und -Pflanzer“ in der Zeitschrift des Verbandes deutscher Gemüsezüchter. Nicht nur bessere Ernten seien auf ihn zurückzuführen, auch die Beregnung des Schwetzinger Schlossgartens.
Nach Unselts Tod 1924 übernimmt die damalige Badische Landwirtschaftskammer die von ihm gegründete Badische Saatzuchtanstalt, wertet Schwetzingen 1926 sogar offiziell zur Zweigstelle der Kammer auf und intensiviert unter Leitung von Unselts Nachfolger Franz Böhne die Forschung. Daraus entsteht 1952 die bis heute weltbekannte Sorte „Schwetzinger Meisterschuss“ mit mitteldicken bis dicken Stangen und großer Widerstandsfähigkeit gegen Schädlinge sowie 1975 die Sorte „Lucullus“, die heute aber kaum mehr angebaut wird.
Überregional bekannt, ja berühmt gemacht hat laut Lars Maurer aber das Unternehmen Bassermann den Schwetzinger Spargel. Zunächst bauen Max Bassermann und Heinrich Wittmann ab 1870 in großem Stil das Gemüse an. Doch sie merken, dass sie die großen Erntemengen gar nicht so schnell absetzen können, weil der Spargel im Rohzustand nicht haltbar ist. 1875 gründen sie das Unternehmen Bassermann & Cie zur Konservenherstellung.
„Der Durchbruch, um Schwetzinger Spargel das ganze Jahr überall verkaufen zu können“, erklärt Maurer. Ist die Konservenfabrikation anfangs reine Handarbeit, setzt Bassermann ab 1893 Maschinen ein. Bald werden nicht nur Spargel, sondern auch Erbsen, Bohnen und andere Gemüsesorten in Konserven verkauft, aber das Hauptprodukt bleibt der Spargel. Bassermann avanciert zum Hoflieferanten des Großherzogs, und auch im Ausland sind die Produkte gefragt.
„Sie wurden per Bahn nach Mannheim und dann vom Neuostheimer Flugplatz aus exportiert“, weiß Maurer von Lieferungen nach Berlin, Mailand und London. Die Anbindung an den Zugverkehr ist daher entscheidend für den Neubau des Werks, der ab 1910 erfolgt, 1913 abgeschlossen ist und dabei hilft, „dass Schwetzinger Spargel weltweit ein Begriff geworden ist“, so Maurer.
Allerdings leidet das Unternehmen auch unter der Weltwirtschaftskrise der 1920er Jahre, wird 1931 neu gegründet – mit einer Bürgschaft einer anderen Konservenfabrik mit dem Markennamen „Sonne“ aus Seesen (Niedersachsen). Nach dem Zweiten Weltkrieg gibt es einen erneuten Aufschwung, denn das Wirtschaftswunder sorgt für einen Boom und Fertigprodukte aus der Konserve kommen in Mode. Mit über 800 Angestellten zählt Bassermann in den 1960er Jahren zu den größten Arbeitgebern der Stadt. Aber nach mehreren Verkäufen, Fusionen und Rationalisierungen schließt das inzwischen als Sonnen Bassermann firmierende Unternehmen, zeitweise einer der größten Konservenhersteller Deutschlands, 1986 den Standort Schwetzingen.
Obgleich die Fabrik viele Jahrzehnte wichtiger Abnehmer ist – die Schwetzinger Bauern wollen ihren Spargel immer auch selbst vermarkten. 1894 fordern die Landwirte daher den Schwetzinger Gemeinderat auf, einen eigenen Spargelmarkt zu bewilligen. Er findet seither stets im April, Mai und Juni auf dem Schlossplatz statt. Anfangs stellt die Stadt die Spankörbe und die Verkaufstische, sorgt zudem für Werbung. Bereits im ersten Jahr des Marktes werden 52,5 Tonnen Spargel verkauft. Wegen des großen Andrangs von Verkäufern wie Kunden wird 1895 das Markttreiben mit der „Spargelmarktordnung“ reglementiert.
„Spargelpolizei“ achtet auf Qualität
Dazu ruft die Stadt sogar eine eigene „Spargelpolizei“ ins Leben, welche die Städte vergibt, die Ware kontrolliert, bei Streitigkeiten vermittelt und die Aufsicht führt. Dabei handelt es sich nach Angaben des Museumsleiters um zwei bis drei städtische Beamte, die Geldstrafen bis zu 30 Reichsmark oder ersatzweise acht Tage Haft verhängen dürfen. „Das hat überregional für Aufsehen gesorgt“, so Maurer schmunzelnd. Indem sie die Stadtflagge hissen oder einholen, eröffnen und schließen die Beamten den Markt. Auch die Länge – 22 Zentimeter – der Stangen ist reglementiert und dass 500 Gramm-Bündel zu jeweils zwölf Stangen verkauft werden müssen. So sorgen die Polizisten für Qualität und damit den guten Ruf des Schwetzinger Spargels.
Immerhin steigt der Absatz bis 1929 auf knapp 83 Tonnen. „Das zeigt die enorme wirtschaftliche Bedeutung“, sagt der Museumschef. Dabei darf ausschließlich Spargel angeboten werden – Rhabarber etwa wird untersagt. Anfangs wollen die Schwetzinger Landwirte das Monopol, aber das badische Innenministerium setzt die Zulassung anderer Bauern durch. Doch 1928 sind von 124 Standplätzen nur 32 an Auswärtige vergeben, der Rest sind Schwetzinger Bauern – und die haben auch die besseren Standorte.
Heute erinnert auf dem Schlossplatz eine Bronzeskulptur, 1990 von Franz W. Müller-Steinfurth geschaffen, an die typische Schwetzinger Spargelfrau. Spargel werden hier immer noch verkauft, mittlerweile auch Erdbeeren. Aber angebaut wird das königliche Gemüse, das wegen seiner wertvollen Vitamine und Mineralstoffe sowie der begrenzten Verfügbarkeit von nur zehn Wochen diesen Namen trägt, immer weniger. Das Stechen sei Handarbeit und „ein Knochenjob“, so Maurer, das sich wegen des Mindestlohns für Erntehelfer immer weniger rentiere. Doch für die Stadtidentität und den Tourismus sei das Gemüse weiter „enorm wichtig“, betont Barbara Gilsdorf, weshalb Schwetzingen eine Spargelkönigin krönt, die Tochter eines lokalen Spargelbauern sein muss, einen Spargellauf und viele Feste dazu ausrichtet.
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