Heidelberg. Mit dem Titel lag der Komponist natürlich falsch, das wissen wir schon längst: „Lady Macbeth“ hätte er über dieses „Melodramma“ in vier Akten schreiben sollen. Denn die „Iron Lady“ aus dem alten Schottland dominiert fast das gesamte Stück, während ihr Gatte häufig bloß ein Zauderer und Weichling ist, den sie als „eitles Kind“ beschimpft.
Wie soll man auch mit einem solchen Waschlappen ans Ziel gelangen: „Über Leichen führt der Weg zur Macht“, hat sie gelernt. Das war schon immer so. Und Macht bedeutet für die Lady Lust. Was in der neuen Heidelberger Produktion von Verdis Oper, mit der auch die aktuelle Spielzeit im Bereich Musiktheater startet, mehr als deutlich wird.
Die Inszenierung stammt von Ingo Kerkhof, der für eine seiner Arbeiten gerade auf der Nominierungsliste für den angesehenen Theaterpreis „Der Faust“ gelandet ist. Dabei will der Regisseur in engem Schulterschluss mit dem Kostüm- und Bühnenbild (verantwortet von Britta Leonhardt und Anne Neuser) Mummenschanz und Hexenspuk natürlich weiträumig umgehen. Innere und durchaus zeitgenössische Dämonen sind am Werk, lautet der ziemlich naheliegende Befund - der ja nicht falsch ist.
Den Durchbruch brachte erst Maria Callas
- Keine Lovestory und keine Anspielungen auf die aktuelle Politik (von damals): Mit „Macbeth“ enttäuschte Verdi, durch „Nabucco“ bereits zur Berühmtheit aufgestiegen, viele seiner Anhänger - weil er sie künstlerisch durchaus ein bisschen überforderte.
- Shakespeares Vorlage vereinfachte der Komponist zwar stark, doch musikalisch ging er neue Wege. Nicht bloß, weil ein Bariton die Titelrolle sang: Auch der Gesang als solcher war ein anderer, markierte die Wende hin zu einem neuen realistischen Musiktheater.
- Lange blieb die Resonanz gedämpft, die Oper wurde erst nach 1950 häufiger gespielt - woran Maria Callas ihren Anteil hatte, die Lady Macbeth zu einer ihren größten Rollen machte.
- Aufführungen: 24. und 26. Oktober, 8., 10., 16., 18. und 26. November, 8., 14. und 29. Dezember. Tickets gibt es ab 19 Euro.
In den Geistern aller Art begegnet sich Macbeth am Ende selbst, das scheinen auch die Masken dieser schemenhaften Wesen anzudeuten. Äußerst karg und kahl, weitgehend leergeräumt stellt sich die Bühne dar, sie ist zunächst eine fast requisitenfreie Zone. Eine Projektionsfläche geheimster Wünsche und Befürchtungen. Ein Irgendwo und Nirgendwo. Nur an der Seite hängt ein Waschbecken, doch es ist winzig klein. Das viele Blut, das sich im Lauf des Abends ansammelt, kann damit niemals weggewaschen werden.
Diese Szenerie strahlt Kälte aus. Und eine Statik, die auch Kerkhofs Inszenierung lange innewohnt, erst zum Finale hin gibt es auch ein paar sauber arrangierte Massenszenen. Dass der Chor der Hexen nicht nur, wie von Verdi ausdrücklich gewollt, zur dritten Hauptfigur der Oper wird, sondern im ersten Akt auch drastisch und vulgär auftreten soll, wird vom Regieteam kaum beachtet. Aber dafür wird er in Gestalt des Heidelberger Opernchors und in der Einstudierung Virginie Déjos‘ erfreulich schlank und elegant geführt. Rein musikalisch ist das also sogar ein Gewinn.
Heiberg schreckt nicht vor schrillen Tönen zurück
Auch wenn die Pluspunkte, die Signe Heiberg als Lady Macbeth einsingt, noch deutlich größer sind. Gelegentlich und ohne falsche Gleichsetzung darf man gar an Maria Callas denken, die vor langer, langer Zeit gezeigt hat, welche (destruktive) Energie in dieser Rolle steckt. Was damals revolutionär war. Heiberg ist zwar neu in Heidelberg, doch anderswo hat sie die Lady schon gesungen. Die Vertrautheit mit dieser Partie ist dementsprechend groß und manchmal nicht mehr weit entfernt mit der Identifikation mit ihr. Das heißt im Stimmlichen: Das Wahre ist nicht unbedingt das Schöne. Heiberg schreckt vor schrillen Tönen, scharfen Höhen nicht zurück, feuert gezackte Blitze ab. Die Dänin dominiert die Szenerie. Und wenn sie dann im Schlussakt ihre Wahnsinnsszene neuen Typs hat - mit der Verdi sozusagen Donizetti überwand -macht Heiberg endgültig den Abschied vom Belcanto hörbar.
Wilfried Staber hat den schon seit längerem vollzogen. Was bei ihm aber ein Mangel ist: Er singt das Opfer Banquo mit belegtem, stumpfem, grauem Timbre. Da hält sich James Homann in der Titelrolle deutlich besser. Anfangs wirkt er zwar in seinem Vortrag, in gewisser Weise rollenadäquat, geduckt und wehleidig. Aber in den Ensembleszenen schärft er sein dramatisches Profil erheblich.
Die mit Abstand schönste Arie kommt im vierten Akt: „Ah, la paterna mano“ von Macduff, in Heidelberg von Jaesung Kim gesungen. Und mit allem tenoralen Schmelz. Auch pralle Theatralik gibt es. Hauptsächlich aus dem Orchestergraben, wo Mino Marani sein Debüt als Dirigent einer Premiere in seiner Funktion als neuer Generalmusikdirektor gibt. Er tritt als Überzeugungs-Italiener auf, das hört sich schmissig, drängend, zündend, manchmal sogar explosiv an. An den Schlüsselstellen auch bretthart. Der Heidelberger Graben läuft fast über, und das Philharmonische Orchester spielt mit maximalem Engagement. Marani könnte zum entscheidenden Impulsgeber im Heidelberger Opernwesen werden. Und das sollte er als neuer Generalmusikdirektor auch.
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