Da es ja in dieser merkwürdigen Welt fast jeden Tag Skandale gibt - wie lächerlich die auch oft sein mögen -, müssen wir den noch einmal ins Gedächtnis rufen: 1991 war es, als Agnieszka Hollands Film über den „Hitlerjungen Salomon”, ein Anliegen auch des Berliner Produzenten Artur Brauner, skandalöserweise nicht zu Deutschlands offiziellem Beitrag für das „Auslands-Oscar”-Rennen wurde. Gute Chancen bei der Preisverleihung hätte er vielleicht gehabt, schon wegen seines Themas.
Brauner und die Regisseurin argwöhnten, das Auswahlkomitee zeige sich einer „jüdischen” Thematik gegenüber arrogant und ignorant. Auch die Kritik war hierzulande häufig reserviert und ablehnend, es hieß, die Inszenierung und die Leistungen der Schauspieler würden dem Thema nicht gerecht. Eine bekannte Münchner Zeitung meinte gar, Agitation und Comic gingen eine Mésalliance ein, es entstehe daraus kruder „Agitpop”. Im Ausland erntete der „Hitlerjunge Salomon” dagegen große Zustimmung und wurde mit dem „Golden Globe” bedacht, zudem mit einer „Oscar”-Nominierung für das beste adaptierte Drehbuch - was als eine Art Zurechtweisung des deutschen Auswahlkomitees gedeutet wurde.
Beschäftigung mit den Verbrechen der Vergangenheit
All das ist schon lange her. Beim Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg lässt sich nun feststellen, wie gut der „Hitlerjunge Salomon” gealtert ist. Die Regisseurin selbst wird einen Tag lang ebenfalls vor Ort sein. Die „Hommage” des Festivals feiert Agnieszka Holland als bedeutende Persönlichkeit der Kinokunst Europas, 34 Jahre nach dem „Hitlerjungen” kann sie auf ein umfangreiches Lebenswerk zurückblicken. Sie hat sich dabei immer wieder mit den großen Katastrophen und Verbrechen der Vergangenheit beschäftigt, etwa mit dem Stalinismus, einschließlich der Hungersnot, die er einst in der Ukraine maßgeblich verursacht hat. Aber noch häufiger, natürlich, mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust. Der „Hitlerjunge” ist da nur ein Beispiel.
Agnieszka Holland
- Agnieszka Holland, geboren 1948, stammt aus Warschau.
- Ihre Mutter war zuvor im antideutschen Widerstand, ihr Vater kam aus einer jüdischen Familie.
- Polen musste sie verlassen, als das Kriegsrecht ausgerufen wurde (1981), seither lebt sie hauptsächlich in Frankreich.
- Auch mit US-Stars hat sie gearbeitet, ein Leonardo DiCaprio etwa gab für sie den Lyriker Arthur Rimbaud - „Total Eclipse” hieß der Film von 1995.
- Drehbücher schrieb Holland auch für die polnische Regie-Legende Andrzej Wajda.
- Programm beim Festival: „Hitlerjunge Salomon” (17.11.), „Green Border” (14.11.) und „Olivier” (13.11.) im Cinema Quadrat (www.iffmh.de).
Kaum ein Regisseur, kaum eine Regisseurin gibt sich derart explizit politisch, Hollands Kamera schaut immer dorthin, wo es richtig wehtut. Und man kann der Polin auch nicht vorwerfen, dass sie nur die Vergangenheit der anderen bewältige. Sie blickt auch immer wieder kritisch auf ihr Heimatland, und nicht bloß auf die Traumata von früher.
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist ihr noch fast neuer Film „Green Border” (gleichfalls auf dem Mannheim-Heidelberger Festival zu sehen) über jenes Thema, das Europa förmlich auseinanderreißt: die große Flüchtlingskrise. Holland nimmt klar Stellung, wendet sich gegen die „Illegalen ,Pushbacks’” von Geflüchteten, wie sie auch Polen häufig praktiziert. Es gehe um „die Wahl, die wir als Menschen haben”. Holland sagt: „Wir müssen uns entscheiden zwischen der Bequemlichkeit und der Verteidigung zentraler Werte.” Das Konstrukt „Europa” sei zerbrechlich. Aber Hollands radikaler, unteilbarer Humanismus wackelt nicht.
Sie hat sich damit viele Feinde eingehandelt, habe „keine so brutale und persönliche Kampagne” wie im Polen Jaroslaw Kaczynskis über sich ergehen lassen müssen. Nicht mal, als ihr Heimatland noch kommunistisch war, in Kriegsrecht-Zeiten. Sogar „Nazi-Propaganda” wurde Holland vorgeworfen. Hat sich jetzt das Blatt gedreht, wird der Regierungswechsel alles ändern? Es sei „wie in einer dieser Arzt-Serien: Sie glauben, einer unheilbaren Krankheit ausgesetzt zu sein - doch plötzlich sind sie vollständig gesund.” Es ist also zu schön, um wahr zu sein. Im Übrigen fährt auch die neue Tusk-Regierung eine restriktive Flüchtlingspolitik. In Mannheim wird man, direkt nach der Aufführung des Films „Green Border”, vielleicht hören können, was die Regisseurin dazu sagt: Sie wird dann eine öffentliche „Masterclass” bestreiten.
In „Green Border” strebe sie „die Anmutung eines Dokumentarfilms” an. Dazu gehört, dass sie die Flüchtlinge aus Syrien auch von „echten” Syrern spielen lässt. Auf den „Versuch, ehrlich zu sein” legt sie viel Wert. Und das Gewicht des Themas, der Geschichte(n) ist für sie im Zweifelsfall stets wichtiger als die formale Meisterschaft und Originalität.
Doch die Ästhetik kommt deswegen keinesfalls zu kurz. Nicht bei den in Schwarzweiß gefilmten messerscharfen Bildern aus den weitläufigen Wäldern zwischen Belarus und Polen in „Green Border”. Und auch nicht in „Olivier”, dem dritten auf dem Festival gezeigten Holland-Werk (entstanden 1992). Es ist eine Mischung zwischen Märchenfilm und dunklem Psychodrama, Inzest inklusive. Starker Tobak. Doch den ist man von Agnieszka Holland ja gewohnt.
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