Heidelberg. Fahrig, schlaksig, immer etwas hilflos wirkte er. Bei seinen Bühnenauftritten als Chansonnier genauso wie in manchen seiner Filme. Man erinnert sich vielleicht an „L’Emmerdeur“, also „Die Nervensäge“ (was auf Deutsch noch mal vergröbert wurde zu „Die Filzlaus“), wo Jacques Brel ein Handlungsreisender in Sachen Oberhemden ist, den seine Frau verlassen hat. Er will sich deshalb umbringen, doch sogar damit scheitert er, womit er nebenbei auch einen Profikiller in den Wahnsinn treibt. Lino Ventura spielt den Bösewicht, der Ärmste hätte eigentlich mit einem Attentatsversuch genug zu tun.
Verlierertypen finden sich in den Chansons Jacques Brels zuhauf, auch gleich im ersten eines Abends bei den Heidelberger Schlossfestspielen. Dieses Stück nennt sich „Madeleine“, ein Mann zählt darin auf, wie er die Angebetete erobern will: erst Fritten essen gehen, dann ins Kino weiterziehen und am Schluss der Schönen ein „Je t’aime“ entgegenstammeln. Was die sicherste Methode ist, niemals ans Ziel zu kommen.
Wutgesänge zeigen Widersprüchlichkeit des kleinen Mannes
Das ist tragisch und tieftraurig. Gleichzeitig aber natürlich herrlich komisch. Bei Dominique Horwitz allemal: Der Schauspieler und Sänger kennt sich mit dem Idiom von Jacques Brel so gut wie derzeit niemand sonst aus. Jedenfalls in Deutschland. Das Programm, das Horwitz bei den Schlossfestspielen für drei gut besuchte Abende gewählt hat – ein paar Restkarten für das Konzert am Dienstag sollen noch verfügbar sein -, wurde bereits vor 20 Jahren eingerichtet. Aber alt geworden ist es seither nicht.
Dominique Horwitz ist gebürtiger Pariser, und das heißt, dass sein Französisch virtuos ist. Und auch auf der Überholspur nie ins Schleudern kommt: wenn er sich in entflammte Wutreden hineinsteigert. Beziehungsweise Wutgesänge. Um auf diese Art all die Verzweiflung und die Weltverachtung, aber auch die tiefe Widersprüchlichkeit des sogenannten kleinen Mannes abzubilden. Spießer waren für Jacques Brel fast schon geliebte Hasssubjekte, nicht allein in einem Klassiker wie „Les bourgeois“. (Verlierer-)Charaktere hat er bis ins Mark durchschaut. Das Spießertum lauert nun einmal in uns allen, zählt zu seinen bitteren Erkenntnissen, oder, nach Robert Gernhardt formuliert: Die schärfsten Kritiker der Elche sind nicht selten selber welche.
Philharmonisches Orchester fährt Brel-gemäß üppig auf
Horwitz singt also französisch – die Chansons entfalten ihr Aroma nur auf diese Weise vollständig. Doch seine Ansagen spricht er auf Deutsch, und das sind kleine Kabinettstückchen für sich, bisweilen knapp davor, zum Bühnensketch zu werden. Schlaglichtartig blitzt die Quintessenz der Stücke auf.
Der Mann kann also reden. Aber singen kann er eben auch. Die Brel-Vorlagen leben nicht allein von ihren Texten, sondern sind melodisch-musikalisch immer wieder äußerst attraktiv, die Über-Klassiker „Ne me quitte pas“ und „Amsterdam“ stehen dafür nur stellvertretend. Ersterer kommt beim Konzert im Schlosshof sparsam arrangiert daher, ansonsten fährt das Philharmonische Orchester Heidelberg unter der Leitung Alexander Sinan Binders auch gern üppig auf. Doch das ist völlig Brel-gemäß. Bei diesem Mann kam die Musik aus übervollem, wundem Herzen.
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