Schlosskonzert

Der Messi des Bandoneons: Marcelo Nisinman in Heidelberg

Dirigent Mino Marani und Solist Marcelo Nisinman feiern beim dritten Heidelberger Schlosskonzert Astor Piazzollas „Tango Nuevo“.

Von 
Hans-Günter Fischer
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Der argentinische Bandoneonist Marcelo Nisinman. © Mariya Nesterovska

Heidelberg. Wenn im fußballsüchtigen Land Argentinien ein besonders schönes Tor geschossen wird – ein Traumtor Marke Maradona oder Messi –, ist das mehr als nur ein „Gol“: Es nennt sich dann „Golazo“. Analog dazu bedeutet es etwas, wenn Astor Piazzolla nicht von Tango, sondern von „Tangazo“ spricht. Und wirklich kommt das gleichnamige Stück im weit geschnittenen sinfonischen Gewand daher, mit mächtigen, sonoren Streichern zu Beginn. Aus den Kaschemmen und Bordellen drängt es Piazzollas „Tango Nuevo“ in die Freudenhäuser klassischer Musik: in die Konzertsäle. Das macht das Stück schon einmal schlagend deutlich. Es eröffnet das mit einer regentechnischen Verspätung absolvierte dritte Heidelberger Schlosskonzert.

Mino Marani ist dabei ein Dirigent, der seinen ganzen Körper einsetzt, nie nur seine Arme oder Hände. Und der Heidelberger Generalmusikdirektor moderiert den Abend auch und schildert Piazzollas Werdegang. Er ist ein Mann mit exquisiter Ausbildung, die Jahre in Paris bei der gestrengen Pädagogin Nadia Boulanger vergisst Marani selbstverständlich nicht. Sein Handwerk hat der Argentinier bis zur Perfektion geführt, was nicht zuletzt sein für Bandoneon und Orchester komponiertes „Aconcagua“-Konzert von 1979 unterstreicht. Er macht es fast zu ordentlich, zu „europäisch“ regel-, ja fast musterschülerhaft. Mit den drei Sätzen, die Konzerte in der klassischen Musik normalerweise haben, und auch sonst mit allem Zubehör.

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Dass dieses Stück den Aconcagua beschwört, einen beinahe 7.000 Meter hohen Anden-Berg, lässt sich vielleicht im zweiten Satz erahnen, in dem neben sanglich klagenden Passagen eine frostige Stakkato-Strecke lauert. Jedenfalls im Spiel Marcelo Nisinmans, der Musiker aus Buenos Aires (der in Basel lebt) bedient im Heidelberger Schlosshof das Bandoneon. Jenes Knopfakkordeon, das vor langer Zeit vom Deutschen Heinrich Band erfunden wurde, aber irgendwann nach Argentinien ausgewandert ist.

Kontrastprogramm mit einer selbstverfassten Nummer Nisinmans

Das Instrument gibt den Crossover-Klängen Piazzollas ihre unverwechselbare Würze, dient als musikalischer Geschmacksverstärker. Durch den suggestiven Ton der Wehmut, der ihm eigen ist – die Piazzolla freilich immer wieder mit genauso unverwechselbaren zackigen, synkopenreichen Rhythmen aufmischt.

Die melodische Erfindungskraft des Komponisten wirkt indessen auch auf einer Geige. Gidon Kremer hat das hinlänglich bewiesen. Beim Konzert in Heidelberg schlägt sich Annika Fuchs-Rath vom Philharmonischen Orchester gleichfalls gut, wie in „La Mufa“: mit Gefühl (und viel Vibrato). Das Kontrastprogramm fährt dann Marcelo Nisinman mit einer selbstverfassten Nummer: „Hombre Tango“ nennt sie sich, ist maskulin und dissonanzenreich. Ein Werk aus seinen jungen, wilden Jahren. „Heute würde ich das nicht mehr komponieren“, sagt der Argentinier noch.

Dann kommt der Regen auf das Heidelberger Schloss zurück, und das Orchester kann nicht weiterspielen. Aber eine kreative Notlösung ist möglich: Nisinman und Dirigent Marani, der ans E-Piano wechselt, spielen unter einem großen Schirm zwei veritable Piazzolla-Hits, darunter „Oblivion“. Mit einem wunderschönen Seufzer, der sich über einen ganzen Takt erstreckt.

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