Berlin. Es sieht aus wie ein Frischkäse, schmeckt auch so, allein die Konsistenz mag etwas fester sein. Nur: Das Lebensmittel namens Frischhain kommt ohne Milch aus. „Tierfrei“ prangt weiß auf gelb auf seinem Deckel. Das Produkt – der 150-Gramm-Becher für 2,49 Euro – basiert auf dem Koji-Pilz. Der ist aus der japanischen Küche bekannt. Das Berliner Biotechnologieunternehmen Formo setzt auf ihn nun als Eiweißquelle für Käse, als erstes Unternehmen weltweit. Ist das die Zukunft: eine Lebensmittelwelt, in der Käse nicht mehr aus Milch ist?
Knapp 24 Kilo Käse hat jeder Deutsche laut der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung allein im Jahr 2023 im Schnitt gegessen. Er ist beliebt – morgens auf dem Frühstücksbrot, mittags auf dem Kartoffelgratin, abends als Snack zum Wein. Es gab Zeiten, da war Käse ohne Kuh verpönt – als Analogkäse. Das allerdings war ein billiges Käseimitat aus Wasser, Pflanzenfett, Milcheiweiß, mit dem Produzenten den klassischen Käse auf Tiefkühlpizzen, Cheeseburger, Käsestangen streckten.
Damit habe die neue Generation von Käse „nichts mehr zu tun“, sagt Armin Valet. Der Lebensmittelexperte der Verbraucherzentrale Hamburg meint: „Den Kunden soll nicht einfach etwas untergejubelt werden, die Hersteller wollen eine echte Alternative zu Käse aus Milch bieten.“ Die Nachfrage nach Produkten, die nicht vom Tier kommen, wachse. Längst experimentieren Unternehmen darum mit Alternativen zu den tierischen Klassikern im Supermarktregal. So kommen Hafer-, Mandel-, Sojadrinks in den Kaffee, ähneln vegane Mortadella oder Veggieschnitzel mit Soja, Erbsen oder Weizen den Fleisch-Originalen im Geschmack schon sehr. Nur bei den Käse-Alternativen ist die Lebensmittelindustrie bisher nicht ganz so weit. Valet sagt: „In unseren Tests waren manche ganz okay, manche sogar ganz gut, andere aber doch noch sehr weit weg vom Käsegeschmack.“
Das Formo-Start-up nutzt den Koji-Pilz für eine Mikro-Fermentation
Im Kühlregal finden sich schon länger vegane Camemberts auf Mandelbasis, Scheibenkäse mit Kokosöl, Parmesanersatz aus Cashews. Davon unterscheiden sich nun die Koji-Pilz-Käsealternativen, erhältlich in den Sorten Natur, Kräuter, Tomate. Das Formo-Start-up, das sich 2019 gegründet und in das unter anderem der Kölner Einzelhandelskonzern Rewe investiert hat, betritt Neuland. Es verrührt nicht den Koji-Pilz, den Aspergillus oryzae, selbst zu Käse. Es nutzt ihn, um eine Mikro-Fermentation auszulösen – und aus dem Pilz Proteine zu gewinnen.
Eigentlich ist die Fermentation ein uraltes Verfahren. Mikroorganismen – Bakterien, Hefen oder Schimmelpilze – helfen, aus einer Biomasse Alkohol, Gase, Säuren entstehen zu lassen: etwa beim Bier brauen, wenn die Hefe Zucker in Alkohol verwandelt. Oder beim Sauerkraut: Milchsäurebakterien fressen die Stärke und den Zucker im Kohl und verstoffwechseln ihn zu Milchsäure, die alles haltbar macht.
Das Berliner Unternehmen hat diese Technik nun so weiter entwickelt, dass sie für die Käseherstellung taugt. Entstanden sei eine Art Bierbrauerei für Koji-Proteine, erklärt Christian Poppe von Formo: „Aber anstelle von Hopfen und Malz gönnen sich hier Koji-Stämme ein fröhliches Bad mit Mikronährstoffen und Zuckern. Sie produzieren auch keinen Alkohol, sondern Proteine für die Käse-Alternative.“
Es ist ein Zwischenschritt. Langfristig will das Formo-Team für die Produktionen Koji-Pilze nutzen, die es gentechnisch so programmiert hat, dass sie wie eine Kuh das in der Milch enthaltene Protein Kasein produzieren. Die Experten sprechen dann nicht mehr von Mikro-, sondern von Präzisionsfermentation: Die Mikroorganismen bekommen einen genauen, neuen Auftrag.
Hersteller Hochland kooperiert mit Those Vegan Cowboys
Der Käse auf Basis von Proteinen aus der Präzisionsfermentation gilt in der EU allerdings als neuartiges Lebensmittel, ein Novel Food, das erst noch genehmigt werden muss. In den USA seien einige dieser neuartigen Milchprodukte hingegen schon auf dem Markt, etwa Eiscreme und Frischkäse, erklärt Ivo Rzegotta von der Denkfabrik Good Food Institute Europe (GFI), die die Entwicklung und Vermarktung von Milch- und Fleischalternativen voranbringen will. Die USA seien neben Israel führend bei der Technik – und gefragt. „In das in Israel ansässige Unternehmen Remilk hat zum Beispiel der deutsche Nahrungsmittelhersteller Hochland aus dem Allgäu investiert“, sagt Rzegotta. Seit kurzem kooperiere der große deutsche Käseproduzent zudem mit dem belgisch-niederländischen Unternehmen Those Vegan Cowboys, das auch tierfreies Kasein entwickeln will.
Bleibt die Frage: Ist der Koji-Käse gesund, der bereits in Supermärkten zu finden ist? „Zumindest ist er nicht so schlecht“, sagt Verbraucherschützer Valet. Anders als sonst bei Käse sei allerdings kein Calcium drin, dafür müsse man dann Linsen oder Bohnen, Nüsse oder Vollkorngetreide essen.
Zugleich enthalte er noch mehr Fett als ein klassischer Frischkäse, darunter aus den Tropen weit heran transportierte Sheabutter, außerdem das umstrittene Verdickungsmittel Carrageen. Es gebe Hinweise, dass dieser aus Rotalgen gewonnene Stoff für den Darm nicht gut, zudem krebsfördernd sein könne, meint Valet: „Da gibt es Besseres.“ Carrageen werde unter anderem von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA als sicher eingestuft werde, hält Formo-Mann Poppe entgegen. Es sorge für eine „cremige Texturstabilität“. Er sagt: „Unser Fokus liegt darauf, eine nachhaltige, ethische und genussvolle Käse-Alternative zu bieten.“
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