Mannheim. Reichen ein lockeres Betriebsklima oder flexible Arbeitszeiten aus, um im Rennen um gute Mitarbeiter die Nase vorn zu haben? Nein, sagt Torsten Biemann, Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Personalmanagement und Führung an der Universität Mannheim. Um als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden, müssen Firmen vielmehr eine ganze Reihe an Faktoren beachten – und auch das Gehalt spielt eine große Rolle.
Herr Biemann, im Wettbewerb um Fachkräfte lassen sich Unternehmen vieles einfallen und locken zum Beispiel mit einer Vier-Tage-Woche. Ist Work-Life-Balance der Schlüssel, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein?
Torsten Biemann: Work-Life-Balance-Angebote sind sicher wichtig. Gerade in der Pandemie haben zum Beispiel viele Beschäftigte gemerkt, dass es schön ist, an einigen Tagen von zu Hause aus zu arbeiten. Wenn Unternehmen jetzt anfangen, die Präsenzpflicht wieder einzuführen, kommt das bei einigen Arbeitnehmern nicht gut an. Sie schauen sich vielleicht nach einer Firma um, die das flexibler handhabt. Trotzdem ist Work-Life-Balance nur ein Faktor von vielen, um als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden.
Was ist noch wichtig?
Biemann: Das ist eine komplexe Mischung aus verschiedenen Punkten: zum Beispiel die Unternehmenskultur, Karrieremöglichkeiten, Benefits...Studien zeigen, dass es da keinen einzelnen Faktor gibt, der besonders heraussticht. Dazu kommt, dass Beschäftigtengruppen unterschiedliche Präferenzen haben: eine Betriebskita ist für Jüngere interessanter als für 60-Jährige.
Wie entscheidend ist das Gehalt?
Biemann: Das Gehalt spielt eine große Rolle. Wenn die Bezahlung nicht stimmt, bringt es auch nichts, wenn man den Chef beim Tischkicker duzen darf – man wird trotzdem nicht als guter Arbeitgeber wahrgenommen. Zudem ist das Gehalt ein Faktor, der für Kandidaten schon im Bewerbungsprozess sehr sichtbar ist. Alles andere – beispielsweise die Unternehmenskultur – ist viel schwerer zu erkennen, solange man bei einer Firma noch nicht arbeitet.
Apropos Unternehmenskultur: Wie hat sich der Anspruch an Führung verändert?
Biemann: Man ist sicher mehr weg von den stark autokratischen Führungsmodellen, bei denen der Chef zwingend männlich ist und sagt, wo es lang geht. Führung ist in vielen Bereichen demokratischer und partizipativer geworden. Das ist teilweise auch bedingt durch die Art der Aufgaben. Zum Beispiel in der IT: Wenn der Chef da die Richtung vorgibt und Mikromanagement macht, sich also auch bei den kleinsten Details einmischt, würde das erstens nicht gut ankommen und zweitens auch nicht gut funktionieren. Um kreativ zu sein, brauchen die Mitarbeiter nämlich Freiräume.
Konzerne wie SAP können ihren Beschäftigten ein riesiges Spektrum an Benefits anbieten: vom kostenlosen Mittagessen bis zum Achtsamkeitskurs. Wie können kleine Firmen da mithalten?
Biemann: Für kleine und mittelständische Unternehmen ist es sicher schwer, da mitzuhalten, auch was das Gehalt betrifft. Aber es gibt sehr smarte Ideen, wie sich mehrere kleine Unternehmen zusammentun können, um Angebote zu organisieren. Start-ups haben außerdem Plattformen entwickelt, über die Firmen ihrer Belegschaft Benefits anbieten können, ohne selbst große Strukturen aufzubauen. Gleichzeitig haben große Unternehmen teilweise so viele Angebote, dass die Beschäftigten gar keinen Überblick darüber haben. Da gibt es dann 200 Maßnahmen, die aber manchmal gar nicht genutzt werden, weil sie kaum einer kennt. Das Problem haben kleine Firmen weniger.
Vor allem Jüngere wünschen sich oft eine sinnstiftende Arbeit. Wie kann man dieses Bedürfnis erfüllen, wenn man als Firma so etwas Schnödes wie Schrauben oder Verpackungen herstellt?
Biemann: Das ist in einigen Branchen natürlich schwerer als in anderen. Trotzdem können sie auch als Schraubenhersteller den Mitarbeitern zeigen, dass sie einen Unterschied machen: durch die Mission ihres Unternehmens, durch die Werte, für die sie stehen. Vielleicht auch durch zusätzliche Aktivitäten im Bereich Corporate Social Responsibility. Im Übrigen ist eine sinnstiftende Arbeit nicht nur jüngeren Beschäftigten wichtig. Der Unterschied zwischen den Generationen wird oft überschätzt.
Experte für Personalmanagement
- Torsten Biemann ist seit 2013 Professor für Personalmanagement und Führung an der Universität Mannheim. Er ist Autor zahlreicher nationaler und internationaler Veröffentlichungen mit Schwerpunkten in den Themenbereichen Personalstrategie, People Analytics und Führung.
- Darüber hinaus ist er Mitglied des redaktionellen Beirats verschiedener personalwirtschaftlicher Zeitschriften und gehört laut Personalmagazin zu den 40 führenden Köpfen des Personalwesens.
Sie haben an Ihrem Lehrstuhl ein Instrument entwickelt, mit dem Unternehmen ihre Mitarbeiter zur Zufriedenheit befragen können. Wie funktioniert das genau?
Biemann: Die Idee fußt darauf, dass kleine und mittelständische Unternehmen bisher kaum sinnvoll erfassen können, wie ihre Unternehmenskultur ist und was ihre Mitarbeiter von den Benefits, der Führung oder den Work-Life-Balance-Angeboten halten. Wir verwenden dafür Fragen, die in der Wissenschaft als geeignet betrachtet werden. Anschließend bekommen die Firmen rückgemeldet, wie es in ihrem Unternehmen aussieht. Die Sichtweise zwischen Führungskräften und Mitarbeitern geht da oft auseinander. Die Manager sagen: Wir zahlen doch ein tolles Gehalt und bieten noch so viel drumherum. Aber die Beschäftigten nehmen es anders wahr. Wichtig ist: Um die Stimmung bei den Mitarbeitern wirklich zu erfassen, muss man die richtigen Fragen stellen.
Wie sehen denn gute Fragen aus?
Biemann: Wenn Befragungen in Unternehmen aufgesetzt werden, ist es häufig so, dass jeder mitreden will. Dann hat man am Ende oft Fragen, die zweideutig sind oder mehrere Aspekte gleichzeitig abfragen. Oder es werden Fragen verwendet, die gar nicht genau das erfassen, was man wissen will. Wenn ich zum Beispiel das Engagement von Beschäftigten in ihrem Job messen möchte, kann ich sie zum Beispiel bestimmte Aussagen bewerten lassen wie: „Bei meiner Arbeit fühle ich mich voller Energie“ oder „Ich gehe völlig in meiner Arbeit auf“.
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