Nahrungsmittel

Sieht so die Zukunft der Wurst aus? Was ein Experte sagt

Es wird weniger Fleisch gegessen. Ein Experte erklärt, woher Soja und andere Rohstoffe kommen, welche Maschinen Proteinfäden spinnen und was das für die Preise im Supermarkt heißt.

Von 
Hanna Gersmann
Lesedauer: 
Vegetarische Würstchen liegen im Trend. Doch woher kommen die Zutaten? © picture alliance/dpa

Berlin. Er will einem auf keinen Fall vorschreiben, Tofu-Schnitzel zu essen, das nicht. Darauf legt er Wert. Godo Röben, 56, Vater zweier Kinder, Hobbyfußballer, unaufgeregter norddeutscher Typ, berät aber die großen Lebensmittelketten wie Lidl und Rewe zu deren Veggie-Kurs, auch etwa die bayerische Privatmolkerei Bauer. Röben sagt: „Da wächst ein Milliardenmarkt in Deutschland.“ Denn: Vegetarische Wurst und Fleisch lägen im Trend, ähnlich wie Milch, Joghurt, Quark aus Mandeln, Hafer und so fort.

Woher kommen Soja, Lupinen, Erbsen für den Fleischersatz?

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder erklärte vor kurzem erst das Gegenteil: „Jetzt gibt’s wieder Leberkäs statt Tofu-Tümelei.“ Das war als er CSU-Bundesagrarminister Alois Rainer vorstellte. Und Rainer, von Hause aus Metzger, hat in den knapp 100 Tagen, die er nun im Amt ist, vor allem von sich Reden gemacht, weil er mehr Fleisch in Kitas und Schulen will, auch für seine Gäste im Ministerium. Doch betont er auch immer wieder, keinen Kulturkampf ums Essen zu wollen. Und seine offiziellen Berater, die im wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz sitzen, empfehlen ihm in einem 350-seitigen Gutachten, die Alternativen zu Fleisch und Milch „als Beitrag für eine nachhaltige Ernährung“ zu fördern.

Nur: Woher kommen Soja, Lupinen, Erbsen für den Fleischersatz? Was wird aus den Metzgermessern? Und: Wie teuer wird es im Supermarkt? Zum Thema gibt es viele Fragen und Röben ist eine Größe im Veggie-Geschäft. Er entdeckte den Trend, setzte ihn womöglich selbst, als er vor gut zehn Jahren seinen damaligen Arbeitgeber – die Rügenwalder Mühle im niedersächsischen Bad Zwischenahn – überredete, als erster Fleischfabrikant auf Alternativen aus Pflanzen zu setzen. „Die Wurst ist die Zigarette der Zukunft.“ Das war so ein Satz von ihm.

Godo Röben © Privat

Damals leitete er das Marketing. Irgendwann, das Management hatte gewechselt, ging er im Streit – zur Konkurrenz. Fortan beriet er im westfälischen Versmold die InFamily Foods Holding, hervorgegangen aus den traditionellen Wurstherstellern Reinert und Kemper und bekannt für Bärchenwurst. Dort schob Röben die Marke Billie Green mit an. Seit 2022 auf dem Markt, ist sie nun die Nummer 3 bei den Fleisch- und Wurstalternativen. Sie ist noch weit weg vom Pionier Rügenwalder mit seinen gut 43 Prozent Marktanteil, aber mit 5 Prozent dicht dran an Nummer 2, dem Konkurrenten Like mit 8 Prozent.

In den Kühltheken der Supermärkte wächst das Angebot an pflanzenbasierten Alternativen

Röben hat eine Statistik an seiner Seite, Ernährungsweisen ändern sich: Im vergangenen Jahr verspeiste jede Person hierzulande im Schnitt rund 53 Kilo Fleisch, fünf Jahre zuvor waren es noch knapp 59. Laut dem Ernährungsreport 2024 des Bundesagrarministeriums essen satte 40 Prozent der Deutschen flexitarisch, also nur noch gelegentlich Fleisch und Wurst. Es mag mit einem Unbehagen zu tun haben, wie Rind oder Schwein gehalten werden, oder auch mit den Warnungen, dass zu viel Fleisch ungesund ist, zudem das Klima belastet. In den Kühltheken der Supermärkte und Discounter wächst das Angebot an pflanzenbasierten Pendants zur klassischen Wurst oder Bulette. So produzierte Deutschland 2024 rein rechnerisch für jeden hierzulande 1,5 Kilo Fleischersatzprodukte, insgesamt 126.500 Tonnen im Wert von gut 647 Millionen Euro. Damit hat sich die Produktion in den vergangenen fünf Jahren mehr als verdoppelt.

Noch wird mehr Fleisch produziert. Doch das könnte sich ändern

Im Vergleich zur Fleischproduktion fallen die Zahlen zwar noch bescheiden aus: Die im Jahr 2024 in Deutschland produzierten Fleisch- und Fleischerzeugnisse hatten einen Wert von gut 44,3 Milliarden Euro. Das aber könne sich drehen, meint Röben – und im Jahr 2045 der Markt für die Alternativprodukte laut Studien bis zu 65 Milliarden Euro ausmachen. Nicht von einem auf den anderen Tag. Schritt für Schritt. Dann deckten Pflanzen statt Fleisch den großen Teil der Proteinmengen, die jeder Körper braucht.

Mehr zum Thema

Gesundheit

Stiftung Warentest: Kinder brauchen keine Nahrungsergänzungsmittel

Veröffentlicht
Von
Wolfgang Mulke
Mehr erfahren
Nahrung

Insekten in Lebensmitteln: Nische oder Trend?

Veröffentlicht
Von
Sarah Knorr
Mehr erfahren

Röben mischt sich mit dieser Vorstellung der Ernährung in Zukunft auch in Berlin ein, also in die Politik. 2019 hat er den Bundesverband für Alternative Proteinquellen mitgegründet. Mittlerweile sind 120 Unternehmen dabei. Darunter Fleischfabrikanten, Handelskonzerne oder auch Fast-Food-Riesen wie Burger King.

Am Anfang kam Soja vor allem aus Südamerika

Es beginnt mit dem Acker. Bei der Rügenwalder Mühle, erzählt Röben, hätten sie zu seiner Zeit mit Soja aus Südamerika angefangen. Nicht ideal. Transportwege zu weit. Außerdem würden in Südamerika für Sojaplantagen Wälder abgeholzt. Das habe den Kunden nicht geschmeckt. Sie schauten sich schnell nach neuen Lieferanten um.

Heute komme ein kleiner Teil des Sojas aus Nordamerika, das Gros mit gut 50 Prozent aus europäischen Ländern außerhalb Deutschlands, 30 Prozent aus Deutschland selbst, erklärt Laura Gosciejewicz, die für die Rügenwalder Mühle spricht. Ihre Vertragspartner bauten etwa in Bayern Soja an. Auch Weizen aus Deutschland werde gebraucht. Erbsen kämen bislang vor allem aus Frankreich oder Polen, Sonnenblumenkerne unter anderem aus Bulgarien. Ihre Maschinen etwa für Teewurst aus Fleisch und veganen Aufschnitt ähnelten sich, so Gosciejewicz.

Aus gemahlenen Soja-, Erbsen-, Ackerbohnen spinnt eine Maschine dünne Proteinfäden

Andere aber, auch klassische Maschinenhersteller der Fleischindustrie, erfinden längst neue Techniken etwa für Fermenterkäse, Burger aus dem Labor oder Pflanzliches. Start-Ups wie das Project Eaden in Berlin zum Beispiel. Dahinter steckt Jan Wilmking, früher Manager des Modehändlers Zalando, der sich mit dem Textilingenieur David Schmelzeisen zusammengetan und gemeinsam eine besondere Maschine entwickelt hat: Aus gemahlenen Soja-, Erbsen-, Ackerbohnen spinnt sie dünne Proteinfäden, ähnlich tierischen Muskelfasern. Diese werden zusammengelegt zu Schinken und Bratwürsten ohne Tier. Röben beriet, Rewe und andere stiegen ein. Der Handelskonzern verkauft die Produkte seit diesem Mai unter der Marke lekka, die 70-Gramm-Packung veganer Kochschinken für 1,69 Euro.

Oft ist der Fleischersatz noch deutlich teurer als das tierische Original. Reinhild Benning, zuständig für Agrarpolitik bei der Deutschen Umwelthilfe, meint darum: „Bundesagrarminister Rainer muss jetzt gut finanzierte Programme anbieten, damit die Landwirtschaft den Umstieg von tierischen auf pflanzliche Proteine schafft. Die Supermärkte und Discounter müssen die pflanzlichen Alternativen zu bezahlbaren Preisen in den Umlauf bringen.“

Der Fleischalternativen-Experte würde „liebend gern mal mit Markus Söder sprechen“

CDU, CSU und SPD versprechen in ihrem Koalitionsvertrag immerhin: „Wir fördern die Entwicklung und Markteinführung nachhaltiger alternativer Proteine.“ Die größte Gefahr sei, dass der sich entwickelnde Markt für das Fleisch ohne Tier schlecht geredet werde, meint Godo Röben. Er würde „liebend gern mal mit Markus Söder sprechen.“

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke