Der Ausstieg Deutschlands aus der Atomkraft jährt sich an diesem Montag zum ersten Mal. Am 15. April 2023 gingen die drei letzten Atomkraftwerke vom Netz. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagt im Interview mit dieser Redaktion, wie sich jetzt der Strompreis entwickelt - und ob er die Kernfusion für eine Technologie der Zukunft hält.
Herr Habeck, was sagen Sie den Menschen, die über diese Entscheidung zum Atomausstieg immer noch den Kopf schütteln?
Robert Habeck: Dass alle an die Wand gemalten Schreckensszenarien nicht eingetreten ist. Wir sehen heute, dass die Stromversorgung weiter sicher ist, die Strompreise auch nach dem Atomausstieg gefallen sind und die CO2-Emissionen ebenfalls runtergehen.
Soll heißen, die Warnungen vor Engpässen und steigenden Preisen sind aus der Luft gegriffen?
Habeck: Natürlich war die Lage nach Ausbruch des russischen Angriffskrieges angespannt. Wir mussten sehr viele Maßnahmen in kürzester Zeit umsetzen, um die Energieversorgung zu stabilisieren und die enormen einseitigen Abhängigkeiten, die Deutschland hatte, zu reduzieren. Das ist gelungen: Wir sind sicher durch zwei Winter gekommen. Wir haben die Gasversorgung nach dem Wegfall von russischem Gas gesichert und eine neue, resiliente Gasversorgungstruktur aufgebaut. Im Strombereich sehen wir auch, dass die Reformen greifen. Der Ausbau der erneuerbaren Energien nimmt richtig Fahrt auf, wir vereinfachen und beschleunigen Genehmigungsverfahren, die Preise an den Strombörsen sind stark gefallen. Seit dem Atomausstieg vor einem Jahr um 40 Prozent. Gleichzeitig laufen Kohlekraftwerke so wenig wie seit Jahrzehnten nicht mehr.
Einspruch! Sie haben Kohlekraftwerke wieder in Betrieb genommen.
Habeck: Sie können sich denken, dass ich nicht leichten Herzens Kohlekraftwerke länger in der Reserve gehalten habe - aber wir brauchten es als eine Absicherung. Fakt ist, dass wir 2023 so wenig Kohle verstromt haben wie seit den 1960er Jahren nicht mehr. Der Anteil erneuerbarer Energien hingegen lag bei über der Hälfte. Mit der Energiewende hat sich Deutschland ein großes Ziel gesetzt und wir sehen - wir sind auf Kurs.
Ist der Atomausstieg unumkehrbar?
Habeck: Wir haben am 15. April 2023 das vollzogen, was die schwarz-gelbe Koalition 2011 beschlossen hat, und daher die letzten deutschen Kernkraftwerke endgültig abgeschaltet. Und inzwischen wird deutlich, dass gerade die Regionen in Deutschland mit viel erneuerbaren Energien echte Standortvorteile genießen. Wenn manche dennoch auf die Rückkehr zu Atomenergie setzen, sollte man registrieren, dass international Atomenergie nicht wettbewerbsfähig ist und Kosten aktueller Projekte explodieren. Die Endlagerfrage in Deutschland ist weiter ungelöst. Es wäre daher besser, nicht permanent zu hinterfragen, worauf sich das Land einmal geeinigt hat, sondern sich auf das Lösen aktueller Probleme zu fokussieren. Wir brauchen Verlässlichkeit - auch für Investitionssicherheit. Daher heißt es jetzt: Kurs halten.
Staaten wie Polen steigen dagegen in die Kernkraft ein. Verurteilen Sie das?
Habeck: Jedes Land trifft seine eigenen Entscheidungen über seinen Energiemix, da mische ich mich nicht ein.
In welcher Größenordnung importieren wir Atomstrom aus dem Ausland?
Habeck: Wir haben ausreichend eigene Kapazitäten, unseren Strombedarf im Inland zu decken. Gleichwohl nehmen wir am europäischen Strombinnenmarkt teil. Und das ist gut. Wir sichern uns damit in Europa gegenseitig ab und verschaffen uns Effizienz- und Kostenvorteile. Wir haben im letzten Jahr zwei Prozent unseres Bruttostromverbrauchs mit Importen gedeckt. Über die Hälfte der Importe war erneuerbarer Strom aus Dänemark und Norwegen, der besonders günstig war. Nur rund ein Viertel war Atomstrom aus Frankreich.
Welche Zukunft haben Technologien wie die Kernfusion aus Ihrer Sicht?
Habeck: Ich schaue da mit großem Interesse drauf. Noch ist die Fusionsenergie auf dem Stand der Grundlagenforschung. Sie hat aber Potenzial - deshalb wird sie auch gefördert. Realistischerweise wird sie aber erst in Jahrzehnten im Energiebereich richtig eingesetzt werden können. Erkenntnisse aus der Kernfusionsforschung können wir aber auch im Gesundheitswesen, der Robotik oder der Raumfahrt nutzen. Also wirklich eine spannende Technologie.
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