Gesundheit

Reformpläne der EU: Verschwindet der Beipackzettel?

Smartphone statt Papier – Brüssel will die elektronische Patienten-Information forcieren. Es ist nicht das einzige Vorhaben bei der Reform des Arzneimittelrechts.

Von 
Thorsten Knuf
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Befürworter der digitalen Beipackinformation argumentieren, dass sie überall in der eigenen Sprache verfügbar ist. © Christin Klose picture alliance

Berlin/Brüssel. Es ist eine aktuelle Meldung in diesen Tagen: In Deutschland sind etliche Medikamente knapp – wieder einmal. Rund 550 Präparate seien derzeit nicht lieferbar, berichten die Apotheken. Derzeit geht vor allem um Cholesterinsenker, ADHS-Medikamente, Antibiotika und Arzneien gegen psychische Beschwerden. Es gab auch schon Phasen, in denen selbst schlichte Fiebersäfte für Kinder fehlten.

Gründe für die Knappheit sind Kostendruck und der Umstand, dass viele Wirkstoffe gar nicht mehr in Europa produziert werden. Sind die Lieferketten gestört, beginnt bei Pharmazeuten und Ärzten das große Improvisieren. Der Politik ist das Problem seit langem bekannt. In Deutschland wurde vor zwei Jahren ein Gesetz zur Beseitigung von Lieferengpässen verabschiedet – mit überschaubarem Erfolg.

Arzneimittel: Verteilung in Europa soll einfacher werden

Nun tut sich etwas auf europäischer Ebene: EU-Parlament und Mitgliedstaaten wollen gemeinsam mit der EU-Kommission das Arzneimittelrecht reformieren. Der Pharmasektor soll wettbewerbsfähiger und die Versorgung des Kontinents besser werden. „Die Reform wird Arzneimittel verfügbarer, zugänglicher und bezahlbarer machen“, verspricht die Kommission. Eine Idee, die dabei diskutiert wird: Die gedruckte Packungsbeilage könnte schrittweise verschwinden und durch eine digitale Variante ersetzt werden.

Statt eines Zettels gäbe es künftig auf der Packung einen QR-Code. Wer ihn mit dem Smartphone scannt, erhält in seiner Sprache die relevanten Informationen. Das würde viel Papier sparen und bei Engpässen die Verteilung von Medikamenten in der Europäischen Union erleichtern. Wer mit der Technik nicht klarkommt, könnte in der Apotheke einen Ausdruck bekommen.

EU-Abgeordneter und Arzt Liese: Bedeutung des Beipackzettels wird überschätzt

Einer der Befürworter ist der EU-Abgeordnete und Arzt Peter Liese (CDU). Er sagt im Gespräch mit dieser Redaktion: „Ich halte es für sinnvoll, den Beipackzettel aus Papier abzuschaffen und zur digitalen Version überzugehen.“ Der Anteil derjenigen Patienten, die überhaupt keine Computer oder Smartphones benutzen, werde immer kleiner.

Liese geht es nicht nur um eine bessere Verteilung von Medikamenten in Europa und um mehr Umweltschutz durch weniger Papier. Er sagt, als Mediziner wisse er auch, dass die Bedeutung des Beipackzettels überschätzt werde. „Die einen lesen kurz rein und werfen ihn dann weg. Die anderen werfen das Medikament weg – weil sie lesen, welche Nebenwirkungen es haben kann.“ Für alle, die sich informieren wollen, seien die technischen Möglichkeiten von heute ein Segen – erst recht für solche, die die Landessprache nur unzureichend beherrschen.

„Ein Flüchtling aus der Ukraine oder Syrien in Deutschland kann im Zweifel wenig mit einem deutschen Beipackzettel anfangen. Und der deutsche Urlauber, der auf Mallorca krank wird und Medikamente braucht, kommt wahrscheinlich mit dem spanischen nicht klar.“ Ein QR-Code, der zu Informationen in mehreren Sprachen führt, wäre dann eine große Hilfe.

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Die EU-Kommission von Präsidentin Ursula von der Leyen veröffentlichte ihren Gesetzesvorschlag für die Reform des Arzneimittelrechts im Jahr 2023. Inzwischen haben sich auch das EU-Parlament und der Rat der Mitgliedstaaten positioniert. Im Herbst sollen die Verhandlungen starten.

Das Vorhaben ist komplex, das Thema Beipackzettel nur eines von vielen. Hier schlägt die Kommission vor, dass die Mitgliedstaaten selbst entscheiden können, ob die Packungsbeilage auf Papier, elektronisch oder auf beiden Wegen zur Verfügung gestellt wird. Die Brüsseler Behörde will aber das Recht eingeräumt bekommen, später allein festlegen zu können, ob die elektronische Fassung verbindlich wird. Das geht Parlament und Mitgliedstaaten zu weit. Wie die Verhandlungen ausgehen, wird man sehen müssen. Klar ist aber, dass alle Akteure die elektronische Patienten-Information forcieren wollen.

VdK-Chefin Bentele: Niemand darf ausgeschlossen werden

In einigen EU-Ländern hat das bereits Verbraucher- und Patientenschützer auf den Plan gerufen. In Frankreich etwa veröffentlichten mehrere Verbände im Frühjahr einen Brandbrief, in dem sie die Regierung aufforderten, bei den Debatten in Brüssel auf eine Beibehaltung des obligatorischen Papier-Beipackzettels zu dringen – und zwar „ohne Einschränkung“. Die elektronische Variante könne eine sinnvolle Ergänzung sein, argumentieren sie. Aber der Zettel bleibe eine besonders leicht zugängliche Informationsquelle. Und zwar auch für ältere Menschen, solche ohne Computer-Kenntnisse oder für Personen, die in ländlichen Gegenden ohne leistungsfähigen Internetzugang leben.

Mein Plädoyer lautet: gedruckt und digital, damit niemand abgehängt wird.
Verena Bentele Präsidentin des Sozialverbandes VdK

In Deutschland sagt die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele: „Mein Plädoyer lautet: gedruckt und digital, damit niemand abgehängt wird.“ Alle Patienten müssten weiterhin einen rechtlichen Anspruch auf einen gedruckten Beipackzettel haben, damit niemand ausgeschlossen wird. Bentele ergänzt: „Gleichzeitig bieten digitale Packungsbeilagen große Vorteile, etwa für Sehbehinderte und blinde Menschen, die barrierefreie digitale Formate benötigen.“

Apotheker favorisieren zweigleisige Lösung

Ähnlich sehen das auch die Apotheker in Deutschland. Der Präsident des Spitzenverbandes ABDA, Thomas Preis, sagt: „Elektronische Packungsbeilagen können die gedruckten Packungsbeilagen ergänzen, dürfen sie aber nicht komplett ersetzen. Jeder muss sich barrierefrei über sein Arzneimittel informieren können.“ Das sei gerade auch bei Notfällen wichtig.

Und noch eine Sorge haben die Apotheker: Sie wollen nicht zusätzliche Aufwand treiben müssen und womöglich gar auf den Kosten sitzen bleiben, wenn Patienten einen Ausdruck der Packungsbeilage verlangen.

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