Interview

Gesamtmetall-Chef Wolf: „Nicht alle werden überleben“

Der Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf spricht im Interview über die Vier-Tage-Woche, die Aufholjagd der deutschen Industrie gegenüber China - und die Arbeitsmoral der jungen Generation

Von 
Tobias Kisling
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Stefan Wolf ist Präsident des mächtigen Arbeitgeberverbands Gesamtmetall. © Funke Mediengruppe

Wie der Wandel die Arbeitswelt und die deutsche Wirtschaft erfasst, kann Stefan Wolf jeden Tag in der Provinz erleben. Seit 17 Jahren ist Wolf Chef des Automobilzulieferers ElringKlinger, eines Konzerns, der mit Dichtungen für Verbrennungsmotoren groß geworden ist. Wolf hat den Konzern mit Sitz in Dettingen an der Erms am Fuße der schwäbischen Alb umgekrempelt, ElringKlinger setzt nun auf Batterietechnik und die Brennstoffzelle. Ende Juni ist für Wolf überraschend Schluss – Präsident des mächtigen Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, der die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie vertritt, wird er aber bleiben.

Herr Wolf, in Deutschland ist eine Debatte über eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich entbrannt. Braucht es eine Reduktion der Wochenarbeitstage?

Stefan Wolf: Ich halte eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich für einen Riesenfehler, den wir uns nicht leisten können. Wir kämpfen jetzt schon mit unserer Wettbewerbsfähigkeit, viele Unternehmen wollen nicht mehr in Deutschland investieren. Hinzu kommt unser Fachkräftemangel, der sich mit dem Ruhestand der Babyboomer massiv verschärfen wird. Eine sogenannte Vier-Tage-Woche kann man einführen, wenn an den vier Tagen dann mehr gearbeitet wird und dort, wo es betrieblich möglich ist. Dafür muss das antiquierte Arbeitszeitgesetz geändert werden. Für Ruhezeiten und die Grenzen für die tägliche Arbeitszeit sollten endlich die Spielräume auf europäischer Ebene genutzt werden. Zumindest muss die tägliche Höchstarbeitszeit zugunsten einer Wochenhöchstarbeitszeit abgeschafft werden.

Was ist Ihr Gegenvorschlag zur Vier-Tage-Woche?

Wolf: Wir können nicht weniger, sondern werden länger arbeiten müssen. Anders ist auch die gesetzliche Rente gar nicht mehr zu finanzieren. Die Rentenkassen sind leer, das Umlagesystem funktioniert nicht mehr richtig, wenn man an die Zukunft denkt. Gleichzeitig erhöht sich die durchschnittliche Lebenszeit und belastet die Rentenkasse zusätzlich. Hinzu kam die Rente mit 63, die ich für einen Riesenfehler halte. Wir können nicht auf Kosten der zukünftigen Generation leben.

Gesamtmetall-Chef

  • Stefan Wolf (61) ist seit November 2020 Präsident des Gesamtverbands der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie.
  • Seit 2006 ist der studierte Jurist Vorstandsvorsitzender des schwäbischen Automobilzulieferers ElringKlinger aus Dettingen.
  • Ende 2023 gibt er seine Position als Vorstandschef auf und verlässt das Unternehmen nach 26 Jahren aus „Altersgründen“. Er bleibt aber Gesamtmetall-Chef. sko

Wie sieht dazu Ihre Lösung aus?

Wolf: Wir müssen unterscheiden: Wer körperlich hart arbeitet, kann sicher nicht mit 70 Jahren in Rente gehen. Entsprechend sollte ein späterer Renteneintritt langfristig Standard werden – mit klar definierten Ausnahmen. Klar ist: Wir können nicht auf ewig mit 67 Jahren in Rente gehen – und erst recht nicht mit 63 Jahren.

Die sogenannte Rente mit 63 – also der vorzeitige Ruhestand nach 45 Beitragsjahren – sollte doch genau Rücksicht auf langjährige körperlich harte Arbeit nehmen.

Wolf: Es gehen uns dadurch sehr viele gut verdienende Facharbeiter verloren, sodass der Fachkräftemangel dramatisch verschärft wird. Wir müssen den Aufwuchs bei den Sozialabgaben stoppen. Ansonsten hat der Industriestandort Deutschland im internationalen Wettbewerb schlechte Karten.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände fordert von Beschäftigten „mehr Bock auf Arbeit“. Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer findet, die Unternehmen bräuchten „mehr Lust auf junge Leute“. Was stimmt?

Wolf: Es gibt doch sehr viele junge Leute, die richtig Lust auf Arbeit haben. Leider machen wir manchmal die Erfahrung, dass die Generation der 20- bis Mitte 30-Jährigen keine realistische Vorstellung vom Arbeiten hat. Es fehlt hier viel Wissen von der betrieblichen Praxis. Manche wollen Vollzeit arbeiten, verstehen darunter aber von 8 bis maximal 14 Uhr. Wir haben Bock auf junge Leute – aber auf solche, die leistungsfähig und leistungswillig sind.

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Die Ampel will das Fachkräfteeinwanderungsgesetz reformieren.

Wolf: Die Pläne gehen nicht weit genug. Wir müssen es deutlich einfacher machen, dass Leute aus dem Ausland zu uns kommen, wenn sie eine Ausbildung haben und qualifiziert sind. Dazu gehört, dass man Bürokratie abbaut, sich von starren sprachlichen Voraussetzungen trennt und steuerliche Anreize für die jungen Menschen setzt. Aktuell sind die USA und Kanada in diesem Bereich deutlich interessanter.

Wie wollen Sie ausländischen Fachkräften Deutschland schmackhaft machen, wenn in aktuellen Umfragen fast ein Fünftel angibt, die AfD wählen zu wollen?

Wolf: Ich halte die hohen Zustimmungswerte für die AfD für eine echte Katastrophe. Allerdings handelt es sich um Umfragen, viele wollen der Ampelkoalition einen Denkzettel verpassen. Ob sie tatsächlich dann auch AfD wählen, würde ich infrage stellen. Diese Menschen fühlen sich in ihren Zukunftsängsten nicht ernst genommen. Die Ampel muss die Kurve kriegen und die Menschen wieder abholen. Dann dreht sich der Trend.

Viele erfolgreiche Mittelständler sitzen im ländlichen Bereich. Wie können diese Firmen an ausländische Fachkräfte kommen?

Wolf: Junge Menschen sind daran interessiert, an einem spannenden und innovativen Produkt zu arbeiten. Im Automobilsektor ist das etwa bei der Brennstoffzelle oder der Batterietechnik der Fall.

In China wird die deutsche Automobilindustrie gerade von chinesischen Autobauern in der E-Mobilität abgehängt . . .

Wolf: Wir müssen schnell aufholen. Es werden auch in Deutschland Batteriefabriken gebaut – einige aber auch von Chinesen. Bei der Batteriezellfertigung ist China uns schon zu weit voraus, da kommen wir nicht mehr dran. Also brauchen wir andere Produkte, die uns absichern, wie es der Verbrennungsmotor bisher getan hat.

Hat die Industrie zu lange am Verbrennungsmotor festgehalten?

Wolf: Wenn wir in Indien in jedes zweite Auto eine Brennstoffzelle oder eine Batterie einbauen würden, wäre dem Klima viel mehr geholfen, als wenn man bei uns den Verbrennungsmotor verbietet. Die USA, China und Indien sind die größten CO2-Emittenten, da müssen wir ansetzen – am besten mit unserer Technologie, die uns Wohlstand und Arbeitsplätze sichert.

Was heißt es für unsere Wirtschaft, wenn die Aufholjagd misslingt?

Wolf: Dann droht der gesamten deutschen Wirtschaft eine Krise, die eine Deindustrialisierung zur Folge haben wird. Wir sind im Strukturwandel: Es werden nicht alle Unternehmen überleben, einige sind zu spät dran. Arbeitsplätze werden verloren gehen. Es liegt an uns, wie stark die Folgen werden.

Welche Rolle wird Künstliche Intelligenz bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels spielen?

Wolf: KI wird sicher manche Routinearbeit erledigen können. Aber so eindrucksvoll die ein oder andere Anwendung auch sein mag: ChatGPT stanzt mir keine Dichtungen. Nein, wir werden unsere Arbeit auf absehbare Zeit auch selbst machen müssen.

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