Mannheim. Boris Hedde kennt sich aus mit Deutschlands Einkaufsstraßen. Er ist aber nicht zum Bummeln dort. Sondern um herauszufinden, was gut läuft und was nicht. Hedde, 49 Jahre alt, ist Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung (IFH) Köln und einer der renommiertesten Experten für Innenstädte.
Es ist ein sonniger Nachmittag im September. Gerade kommt Hedde von einem Kongress im Mannheimer Rosengarten. Er trägt ein helles Hemd und Sneaker, das Jackett hängt locker über dem Arm. „Ich bin ein großer Freund der Mannheimer Innenstadt“, sagt er. „Bei unserer Passantenbefragung ,Vitale Innenstädte’ haben mehr als 1000 Menschen der Mannheimer City die Schulnote 2,2 gegeben. Diese Note verbesserte sich in Richtung gut.“
Die Mannheimer Innenstadt und die Buga
Natürlich sind auch ihm die schlechten Nachrichten nicht entgangen: Fontanella gibt sein traditionsreiches Eiscafé auf den Planken auf. Der Feinkostladen Schlemmermeyer, der Kaffeeröster Tchibo, einige Mode- und Schuhläden. . . sie alle sind schon geschlossen. Wie steht es also um die Mannheimer City? Hedde macht sich auf den Weg vom Wasserturm in Richtung Planken. Er wird Dinge ansprechen, die ihm gefallen. Und die ihn stören. Als „Freund der Mannheimer Innenstadt“ erst recht.

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Der Handelsexperte kennt Städte, die voller Beton sind. „Dabei sind Bäume und Pflanzen wichtig für die Wertigkeit, die Optik, das Wohlgefühl und das Stadtklima. Der Eingang der Planken hat Alleencharakter. Das ist ein Wert, den viele andere Einkaufsstraßen so nicht haben.“
Hedde entdeckt einen Blumenkübel mit dem Logo der Bundesgartenschau. Für ihn nicht auffällig genug. „Dass derzeit die Bundesgartenschau in Mannheim stattfindet, merkt man nach meinem Empfinden in der City kaum. Die Geschäfte hätten das Thema aufgreifen können. Warum wird die Buga nicht intensiver gespielt?“
Kurzer Abstecher zum Stadtquartier Q6 Q7. Man muss wissen, dass nicht alle Städte gute Erfahrungen mit Einkaufszentren gemacht haben. Das berühmteste Negativbeispiel ist für Hedde das Westfield Centro in Oberhausen (Nordrhein-Westfalen). In der weit entfernten Innenstadt gibt es mittlerweile nur noch das minderwertigste Angebot. Doch: Es genügt auch schon ein Blick nach Ludwigshafen. „Rhein Galerie und Fußgängerzone liegen zu weit auseinander. Es passt nicht zusammen“, meint Hedde.
Anders Q6 Q7. Der Handelsexperte spricht von einer natürlichen Verbindung zur Fußgängerzone aufgrund der Quadrate. Q6 Q7 sei in Mannheim und darüber hinaus ein feststehender Begriff, das Einkaufszentrum habe Sogkraft.
Auf dem Weg zum Paradeplatz kommt Hedde bei Fontanella vorbei. „Wenn alte Traditionsläden über die Wupper gehen, tut das natürlich weh. Aber es gibt keine Stadt, in der es das nicht gibt“, sagt er. Auch, dass immer mehr Einzelhändler die Fußgängerzone verlassen, ist für ihn wenig überraschend. „Es gibt einen Überhang an Fläche, die Kaufzurückhaltung der Kundinnen und Kunden ist zu dominant. Wir müssen deshalb davon ausgehen, dass die Leerstände noch zunehmen.“ Das wiederum trete eine breite Diskussion um Ladenmieten los.
Auch Thalia wird den Paradeplatz verlassen
Wie recht Hedde damit hat, weiß er zum Zeitpunkt des Rundgangs noch nicht. Denn wenig später wird bekannt, dass die Buchhandlung Thalia das drei Etagen umfassende Geschäft am Paradeplatz im März 2024 schließen und sich komplett auf den Standort auf den Planken konzentrieren will. Was mit den frei werdenden Flächen passiert, steht noch in den Sternen.
Nächste Station: Galeria Kaufhof. Zwar ist das Haus von der jüngsten Schließungswelle des Konzerns verschont geblieben. Doch genügt das? Hedde erinnert an die 1960er und 1970er Jahre, als klassische Kaufhäuser noch einen Marktanteil am Gesamteinzelhandel von 15 Prozent hatten. Heute sind es nur noch 1,4 Prozent. „Die Sogkraft ist einfach nicht mehr da. Ein Kaufhaus muss heute eine besondere Zielgruppe und ein besonderes Preissegment ansprechen. Mittelmaß können sich die Leute online kaufen.“
Eine Idee des Handelsexperten ist, Immobilien themenbezogen zu bespielen. Als Haus des Sports - oder der Elektromobilität zum Beispiel. Kundinnen und Kunden könnten dort alles rund um das Thema finden: Elektroroller, Elektroautos, Ladestationen, Beratungen zu Fördermöglichkeiten. „Gerade für Mannheim als Erfinderstadt würde das super passen. Wir müssen uns trauen, neue Dinge zusammenzubringen und nicht immer nach Schema F zu verfahren.“
Hedde bleibt auf dem Weg zum Marktplatz plötzlich stehen und schaut etwas fassungslos auf einen verschmierten Stromkasten. Auf dem Boden sind hässliche Flecken, daneben liegen Essenstüten. „Sauberkeit ist natürlich ein schwieriges und kraftintensives Thema, um das sich die Stadt kümmern muss. Ich glaube immer noch daran, dass man die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen kann.“ So böten einige Städte sogenannte Müllmelder an oder starteten Kampagnen, um gemeinschaftlich die Stadt sauber zu halten.
Mannheimer Marktplatz ist leer gefegt
Hedde beobachtet die Autos, die durch die Fressgasse fahren. In Mannheim ist der Verkehrsversuch ein heißes Thema. Die Stadt hatte ein Jahr lang zwei Straßen für Autos unterbrochen. Ziel war es, die Aufenthaltsqualität für Fahrradfahrer und Fußgänger zu erhöhen. Der Handel kritisierte den Versuch.
Grundsätzlich vertritt Hedde eine klare Meinung. „Die Verkehrsberuhigung wird in allen großen Innenstädten kommen, da bin ich mir sicher, schon allein aus gesellschaftlichen und ökologischen Gründen. Aber so etwas braucht Zeit. Natürlich ist es Quatsch, über Nacht Parkplätze zu entfernen oder Straßen zu sperren, wenn die Infrastruktur nicht entsprechend nachgezogen worden ist.“ Was er damit meint: alternative Zugänge zur Stadt, ein zuverlässiger ÖPNV, ausgebaute Fahrradwege, gut erreichbare P+R-Parkplätze.
Normalerweise sollte ein Platz mit Brunnen und Statue ein Treffpunkt sein, findet Hedde. Doch der Marktplatz ist an diesem Nachmittag wie leer gefegt, der Wochenmarkt schon längst vorbei. Der Handelsexperte blickt die Kurpfalzstraße in Richtung Neckar hoch, ihm fallen die zahlreichen Handyläden auf, aus seiner Sicht das Gegenteil von Wertigkeit. „Es geht darum, wirkliche Geschäftsmodelle zu verankern - und nicht um pro-forma-Flächennutzung.“
Dass es in der Mannheimer City ein „Little Istanbul“ gibt, also das bekannte Viertel mit überwiegend türkisch geprägtem kleinen Einzelhandel, sieht Hedde als Chance. „Multikulti kann auch ein gewinnbringender Aspekt sein.“ Immer wieder hagelt es Kritik, die Läden und auch das gastronomische Angebot seien zu monoton. Die Monostrukturen sind für Hedde nicht das Problem; viel wichtiger ist für ihn, dass es eine Wertigkeit gibt.

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Zurück auf dem Paradeplatz freut sich Hedde über das gepflegte Grün. „Etwas Mobiles fände ich hier cool, vielleicht einen Food Truck. Das hat etwas von Metropolität und würde zudem das neue Motel One befeuern, zumal diese relativ junge Hotelkette ein urbanes und modernes Image pflegt.“
Das Modehaus Engelhorn beschreibt der 49-Jährige als Aushängeschild Mannheims. Das Unternehmen sei sich treu, habe ein klares Verständnis von Positionierung und Kundenausrichtung und hinterfrage sich immer im Moment der Stärke. „Das haben viele andere Händler vermissen lassen.“
Das Fazit zur Mannheimer Innenstadt
Auf dem Platz zwischen den beiden Engelhorn-Häusern in O5 hebt Hedde hervor, wie wichtig Veranstaltungen seien. Von Wein und Genuss hat er schon gehört. „Früher war der Handel Frequenzbringer - heute sucht der Handel nach Frequenz! Frequenz schaffe ich durch Belebung, Belebung schaffe ich durch Ereignisse - und das sind eben Veranstaltungen. Ein Weinfest, ein Trödelmarkt, ein Gauklerfest… Mannheim hat ausreichend viele Menschen, so dass immer neue Themen bespielt werden können. Und wenn diese Möglichkeit da ist, sollte man sie auch nutzen.“
Nach fast zwei Stunden endet der Rundgang dort, wo er begonnen hat: am Wasserturm. Welches Fazit zieht Hedde für die Mannheimer City? Zunächst sind ihm drei Punkte wichtig: mehr Sauberkeit, mehr Angebote für Familien, mehr digitale Services zur Kundenbindung. „Mannheim hat mit Engelhorn und anderen Unternehmen schon große Namen in der City, zudem einige inhabergeführte Läden. Noch ein bisschen Würze, dann braucht sich Mannheim für die Zukunft meiner Meinung nach keine Sorgen zu machen.“
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Bergsträßer Anzeiger Plus-Artikel Kommentar Der Wandel im Einzelhandel ist auch eine Chance