Mannheim. Ohne Corona hätte sich das Homeoffice in Deutschland nie so stark in der Arbeitswelt verbreitet - da sind sich alle einig. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat die Pandemie zwar für beendet erklärt, das heißt aber noch lange nicht, dass deshalb alle Beschäftigten wieder brav jeden Tag ins Büro zurückkehren.
Mannheimer Experte übt Kritik
Nach einer Umfrage des Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo) liegt der Homeoffice-Anteil bei rund 25 Prozent. Vor Corona waren es weniger als 15 Prozent. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass dieser Trend anhalten wird. Auch weil die Unternehmen ihre Einstellung geändert haben. Einer Untersuchung des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zufolge schätzt mehr als jeder dritte Betrieb die Produktivität von Beschäftigten im Homeoffice inzwischen positiver ein als noch vor drei Jahren.
Das Homeoffice ist also gekommen, um zu bleiben. Dem trägt auch der Gesetzgeber zumindest in Maßen Rechnung. Vor allem Berufstätige, die öfter oder ständig zu Hause arbeiten, aber daheim kein separates Büro haben, können daraus 2023 einen größeren steuerlichen Nutzen ziehen. Heizung, Strom, Internet - Heimarbeit geht ja ins Geld. Die Ampel-Koalition hat deshalb die Homeoffice-Pauschale zum Jahreswechsel von maximal 600 auf bis zu 1260 Euro verdoppelt. Statt zuvor fünf sind es jetzt sechs Euro pro Homeoffice-Tag - anrechenbar für 210 statt bisher 120 Tage.
„Die Möglichkeiten haben sich für die Steuerzahler zwar deutlich verbessert. Aber leider müssen die Beschäftigte noch mindestens ein Jahr warten, bis sie ihre höheren Werbungskosten in ihrer Steuererklärung für 2023 geltend machen können“, kritisiert Heinrich Braun Der Mannheimer Steuerberater ist im Zusammenhang mit der Renten-Doppelbesteuerung bundesweit bekannt geworden. Er verweist auch darauf, dass ein Arbeitnehmer, der die Pauschale von 1260 Euro voll ausschöpft, bei einem Grenzsteuersatz von 30 Prozent nur 378 Euro vom Staat zurückbekommt. Pro Homeoffice-Tag wären es 1,80 Euro.
„Positiv ist allerdings, dass die Finanzbehörden von ihrer bisher strengen Regelung abrücken und jetzt auch ,Arbeitsecken’ anerkennen. Früher haben sie zwingend einen separaten Raum in der Wohnung vorgeschrieben“, sagt Braun - schränkt seine Aussage aber gleich wieder ein: „Das gilt leider nur für die Homeoffice-Pauschale.“
Fiskus bleibt hart
Seltsamerweise passt der Gesetzgeber die Homeoffice-Praxis nicht konsequent auf die Steuergesetze an. Die Digitalisierung hat ja nicht nur unseren Alltag am Schreibtisch in der Firma verändert. Wer sich Arbeit nach Hause mitnimmt, kann diese auch im Wohnzimmer oder am Küchentisch erledigen. Wer aber auf die Idee kommt, dass er im Homeoffice alle Kosten absetzen könnte - also zum Beispiel auch die anteilige Miete oder den Baukredit, stößt genau auf diese Hürde. Der Fiskus besteht auf einer klaren räumlichen Trennung von Arbeit und Freizeit in der Wohnung. Das ist natürlich lebensfremd.
Das sieht der Mannheimer Experte genauso. Der Kardinalfehler liegt für ihn im 1996 geänderten Einkommensteuergesetz. Seitdem gilt der Grundsatz, dass das häusliche Arbeitszimmer steuerlich gar nicht mehr absetzbar ist. Vorher waren die Kosten unbegrenzt abzugsfähig. Doch Vorsicht. Wenn Juristen den Begriff „grundsätzlich“ verwenden, heißt das - anders als im normalen Sprachgebrauch - immer, dass es auch große Ausnahmen geben kann.
Ein „Anachronismus“
Diese Ausnahmeregelungen sind aber oft schwammig. Einen Anspruch darauf, das Arbeitszimmer voll absetzen zu können, haben Steuerpflichtige nur, wenn es der „Mittelpunkt der Betätigung“ ist. „Was heißt das aber im Einzelfall genau? In der Praxis ist das gar nicht greifbar. Die Vielfalt des Berufslebens kann durch solche Rechtsnormen nicht abgebildet werden“, sagt Braun. Diese Regelungen sind nach seiner Einschätzung deshalb „höchst streitanfällig“ und zum Beschäftigungsprogramm für Finanzrichter und seiner eigenen Zunft geworden. „Die Karikaturisten haben ja schon früher amüsiert dargestellt, wie frisch geduschte Ehepartner quer durchs Arbeitszimmer huschten, um ins eheliche Schlafzimmer zu gelangen, was als ,schädliche Mitbenutzung’ qualifiziert wurde.“
Begründet hat der Gesetzgeber die Änderung der Abzugsfähigkeit mit „Steuervereinfachung“ und angeblichem „Missbrauch“. Braun, der natürlich auch Politik für seine eigene Klientel macht, meint dagegen, dass der Staat mehr Steuern einnehmen wollte. „Alle Regelungen zum Arbeitszimmer gehören abgeschafft, die volle Abzugsfähigkeit muss wieder zugelassen werden.“ Begründung? „Nur das entspricht der digitalen Welt, schafft Arbeitsplätze und schont den Verkehr und die Umwelt“,so Braun und spricht von einem „Anachronismus“.
Für Lehrer wird’s kompliziert
Dennoch dürfte sich die Zahl der Steuerpflichtigen, die ihr Arbeitszimmer voll absetzen können, ab 2023 deutlich erhöhen. Bei der Frage, ob das Arbeitszimmer der „Mittelpunkt der Betätigung“ ist, fielen Beschäftigte, die sich Arbeit mit nach Hause nahmen, früher in der Regel durch den Rost. Begründung: Der Schreibtisch steht ja in der Firma. Außerdem leisten dort die meisten Arbeitnehmer die überwiegende Zahl der Stunden ab. Wer jetzt drei Tage in der Woche im Arbeitszimmer verbringt, hat beim Finanzamt gute Karten. „Diese Fälle werden sich häufen“, sagt Braun.
Wer sein Arbeitszimmer absetzen will, kann die Kosten unbegrenzt abrechnen oder pauschal 1260 Euro ohne Nachweise ansetzen. Kompliziert wird es für Lehrer, die nicht jeden Nachmittag daheim Klassenarbeiten korrigieren oder den Unterricht vorbereiten. Sie können nicht mehr ihre Raumkosten bis zu 1250 Euro absetzen, sondern müssen die Tagespauschale abrechnen. Begründung: Das Arbeitszimmer sei nicht Mittelpunkt der Betätigung“. Dafür können sie aber die Entfernungspauschale für die Fahrten zur Schule absetzen. Diese Kombination war im Vorjahr nicht möglich und gilt jetzt auch für Arbeitnehmer, die vormittags im Homeoffice sitzen und nachmittags Kunden besuchen.
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