Heidelberg/Brevik. Zement ist ein grobes, staubiges Geschäft. In Brevik, einem Standort von Heidelberg Materials an der Küste Norwegens, ist das nicht anders. Die Journalisten aus ganz Europa laufen im Nieselregen durch Matsch vorbei an Halden aus Kohle und Kalkstein.
Grau in allen Abstufungen - so ähnlich sehen Zementwerke überall auf der Welt aus. Nur dass in Brevik zwischen all dem Grau Stahlteile aufblitzen - riesige Tanks, eine Pipeline und eine schlanke Säule, die in den Himmel ragt. Es sieht aus, als wäre ein Stück BASF aus Ludwigshafen eingesetzt worden.
CCS-Anlage soll Kohlendioxid aus der Produktion auffangen
„Alles was glänzt, gehört zur CCS-Anlage“, sagt Anders Petersen. Er ist als Projektleiter für den Bau dieser neuen Anlage verantwortlich, die Kohlendioxid aus der Produktion auffangen soll. Und er ist gefragt - ständig führt er Besucher aus aller Welt durch das Werk in Brevik, die sich dieses ganz besondere Projekt anschauen wollen. „Mindestens einmal in der Woche“, sagt der Däne. Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck war schon hier - ein vielbeachteter Besuch im Schneetreiben.
Die Zementindustrie verantwortet sieben Prozent des CO2-Ausstoßes weltweit
CCS steht für den englischen Fachbegriff Carbon Capture Storage, also die Abscheidung und Speicherung von CO2. Ein Verfahren, das die Zementherstellung sauberer und am Ende sogar klimaneutral machen soll. Es soll ein echter Gamechanger für die Industrie sein, die technische Lösung für ein dramatisches Problem. Bei der Zementproduktion fallen riesige Mengen des Klimakillergases CO2 an. Soviel, dass die Branche für rund sieben Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich gemacht wird.
Bis jetzt allerdings gibt es noch kein Werk weltweit, in dem CCS in großem Stil eingesetzt wird. Pilotprojekte gibt es einige in der Branche, nicht nur beim Heidelberger Dax-Konzern. Der will unbedingt Vorreiter sein: In Brevik wird gerade - bei laufendem Betrieb - eine Anlage fertiggestellt, die als erste überhaupt die CO2-Abscheidung im industriellen Maßstab möglich macht.
Ab 2025 sollen 400.000 Tonnen CO2 in Brevik aufgefangen werden - gespeichert werden sie in der Nordsee
Ab dem kommenden Jahr sollen an der norwegischen Küste 400 000 Tonnen CO2 pro Jahr eingefangen, verflüssigt und in der Nordsee gespeichert werden. Das entspricht rund der Hälfte der jährlichen Emissionen des Standorts. Deshalb muss sich Petersen nicht nur darum kümmern, dass die neuartige Anlage fertig wird, sondern darf Besuchern den glänzenden Hoffnungsträger einer ganzen Industrie vorführen. Den 100 Meter hohen Absorber zum Beispiel. Oder die sechs mächtigen, 26 Meter hohen Tanks, die das verflüssigte Kohlendioxid für den Abtransport speichern.
Der Vergleich mit einer BASF-Anlage kommt nicht von ungefähr. In Brevik setzt Heidelberg Materials ein chemisches Verfahren, die Aminwäsche, ein. Das ist eine ganz andere Arbeitsweise als das Herstellen von Zement, erklärt Petersen. Die Lieferanten hätten eine ganz andere „Sprache“ gesprochen. „Wir haben viel gelernt“, sagt er. Und neue Jobs kreiert: 15 „Carbon Catchers“, also Kohlendioxid-Fänger, wurden eingestellt, die für den Betrieb der CCS-Anlage verantwortlich sind. 2025, wenn sie läuft, werden 29 der 195 Brevik-Beschäftigten im Carbon-Capture-Prozess eingesetzt.
Warum ist die klassische Zementherstellung so klimaschädlich?
Rund zwei Drittel der direkten Emissionen entstehen beim Herstellungsprozess: bei der Kalzinierung von Kalkstein zu Zementklinker während des Brennvorgangs im Zementofen. Beim Brennen wird das im Kalkstein gebundene Kohlendioxid freigesetzt. Diese durch den Rohstoff bedingten Emissionen sind bislang unvermeidbar.
Helfen kann aus Sicht der Branche deshalb nur, das bei dem Prozess anfallende Treibhausgas einzufangen - also zu verhindern, dass es an die Luft, in die Atmosphäre gelangt. „Wir brauchen CCS, um unsere Kohlendioxid-Emissionen entscheidend zu verringern“, sagt Jan Theulen, der bei Heidelberg Materials für neue Technologien und damit die CCS-Projekte verantwortlich ist.
Heidelberg Materials-Manager: Ohne das Abscheiden und Speichern von CO2 geht es nicht
Zehn Millionen Tonnen CO2-Emissionen will das deutsche Unternehmen bis 2030 mit Hilfe von CCS insgesamt vermeiden. Danach, wenn CCS-Projekte an mehreren Standorten installiert sind, soll der Anteil entsprechend steigen. Bislang liegt der jährliche CO2-Ausstoß bei 40 Millionen Tonnen. Theulen betont, dass Heidelberg Materials auch an anderen Wegen arbeite, um CO2 einzusparen. Beton-Recycling etwa sei ein wichtiger Teil der Dekarbonisierungs-Strategie.
„Aber gut ein Drittel der erforderlichen Reduktion auf dem Weg zu Net Zero wird das Abfangen des Kohlendioxids bringen.“ Das ganz große Ziel geht also nur mit dem Abscheide-Verfahren: Bis 2050 will Heidelberg Materials konzernweit klimaneutral produzieren.
Auch im deutschen Werk Geseke wird eine CCS-Anlage gebaut
Wie das gehen soll? Viele Pilotprojekte, die derzeit laufen, sollen möglichst bald skaliert werden, also in immer mehr Werken im industriellen Maßstab laufen. Die Heidelberger installieren oder testen derzeit mehrere Technologien an verschiedenen Standorten, zum Beispiel in Antoing/Belgien, in Padeswood/Großbritannien oder Devnya/Bulgarien - und im deutschen Werk Geseke. „Der Maßstab wird dabei immer größer“, sagt Theulen. Und damit auch die Wirkung: Im US-Vorzeigewerk Mitchell soll ab 2030 jährlich schon fünfmal mehr CO2 eingespart werden als in Brevik.
Der Anteil Breviks, am Einspar-Ziel mit 400 000 eingesparten Tonnen CO2 im Jahr ist doch eher gering, dafür soll die Signalwirkung umso größer sein. Das sagt sogar der norwegische Umweltaktivist Frederic Hauge so: „Brevik ist ein Herzensprojekt für mich, weil es den Weg bereiten wird.“
Warum sogar Klimaaktivist Hauge das CCS-Projekt in Brevik gut findet
Dabei zählen Klimaschützer sonst zu den massiven Kritikern der Zementbranche. In Heidelberg protestiert zum Beispiel das Bündnis End Cement immer wieder vor der Konzernzentrale. Fridays for Future-Vertreter etwa fordern die Vermeidung von Emissionen durch weniger Zement und mehr alternative Baustoffe. Und sie kritisieren, dass die CO2-Abscheidung viel Energie benötigt und als Ausrede benutzt werden könnte, statt Emissionen zu vermeiden.
Hauge, Gründer der Umweltstiftung Bellona, ist da pragmatischer: „Wir haben nur noch sechs, sieben Jahre Zeit, die CO2-Emissionen herunterzufahren. Ohne CCS geht das nicht, wir brauchen diese Technologie jetzt.“ Hauge weiß, dass er unter Klimaaktivisten mit dieser Position in der Minderheit ist, als zu industrienah gilt. Er sei schon 37 Mal verhaftet worden, führt er als Beleg für seine Glaubwürdigkeit an.
Die norwegische Regierung gibt 350 Millionen Euro für das Brevik-Projekt
Die CCS-Technologie vergleicht er mit dem wachsenden Markt für E-Autos. „So wird es auch mit CCS laufen. Es hat lange gedauert, aber jetzt kommt der Schub.“ Dafür braucht es viel, viel Geld: Die Investitionskosten sind enorm, der Einbau der CCS-Anlagen ist teuer. In Brevik übernimmt die norwegische Regierung 80 Prozent der Investitionen: 350 Millionen Euro. „Diese Projekte sind für das Unternehmen auch mit Risiken verbunden. Ohne staatliche Förderung funktioniert es für die ersten Projekte nicht“, sagt Jan Theulen.
Das Endprodukt wird deutlich mehr als herkömmlicher Zement kosten. Die Kunden müssen bereit sein, einen höheren Preis für mehr Klimafreundlichkeit zu zahlen. Ab nächstem Jahr soll der Baustoff aus Brevik unter der Marke evoZero vermarktet werden. Als „erster Netto-Null-Beton“ überhaupt. Das Interesse sei groß, sagt der norwegische Vertriebschef Vetle Houg. „Der Markt dreht sich in Richtung Nachhaltigkeit.“ Einen Abnehmer gibt es bereits: Das neue Nobel Center in Stockholm wird ab 2027 mit Evozero gebaut.
Auch Nichtstun kommt die Branche teuer - wegen der CO2-Zertifikate
Andererseits: Auch das Nichtstun kommt die Branche teuer. Nicht nur wegen der katastrophalen Folgen des Klimawandels, sondern ganz konkret wegen der CO2-Zertifikate, die die Industrie für jede Tonne emittiertes Kohlendioxid erwerben muss. Die EU reduziert die zulässige Ausstoßmenge nach und nach. Die Unternehmen müssen dann immer mehr für das ausgestoßene Kohlendioxid zahlen. 2014 kostete ein CO2-Zertifikat nur zehn Euro pro Tonne, aktuell sind es laut Houg 70 bis 100 Euro. Und je teurer die Zertifikate werden, desto mehr lohnen sich Investitionen, die helfen, den CO2-Ausstoß zu verringern.
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Bergsträßer Anzeiger Plus-Artikel Kommentar Die Zementindustrie braucht die CO2-Speicherung