Mannheim. Es ist vollbracht: Die deutsch-österreichische Aktivistin Marlene Engelhorn ist ihr Erbe in Höhe von 25 Millionen Euro losgeworden. Auf einer Pressekonferenz am Dienstag in Wien wurde die Öffentlichkeit darüber informiert, wie das Geld verteilt wird. Bereits in der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass 77 Organisationen vom Engelhorn-Erbe profitieren sollten. Vor der Pressekonferenz sollten sie erst noch direkt informiert werden und nicht aus Medienberichten von der finanziellen Unterstützung erfahren.
Das Besondere an der gesamten Geschichte: Marlene Engelhorn selbst hatte keinen Einfluss darauf, wer das Geld bekommt. Die Entscheidung hatte sie in die Hände von 50 repräsentativ ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern aus Österreich gelegt – dem sogenannten Guten Rat für Rückverteilung. Der Rat hatte sich sechs Wochenenden mit der Vermögensverteilung beschäftigt und dann entschieden, was mit dem Erbe passieren soll.
Organisationen bekommen das Geld nicht auf einen Schlag
Die Diversität dieser 50 Menschen lässt sich auch an der Liste ablesen, die während der Pressekonferenz verteilt wurde. Die 25 Millionen Euro gehen an Initiativen, die sich mit den Themen Umverteilung, Globalisierung, Klima und Umwelt, leistbares Wohnen, Gesundheit und Soziales sowie Integration und Bildung beschäftigen. Das meiste Geld bekommt der Naturschutzbund mit 1,6 Millionen Euro. Auch die globalisierungskritische Bewegung Attac Österreich darf sich freuen, sie erhält rund eine Million Euro. An die Diakonie Österreich gehen rund 800000 Euro. Der Verein Arche Noah kann mit knapp 740000 Euro rechnen. Rund eine halbe Million Euro erhalten die Beratungsstellen von Courage.
Das Wiener Forum für Demokratie und Menschenrechte bekommt 250000 Euro, die Initiative Gemeinsam Bauen und Wohnen 150000 Euro, das Wiener Forum für Demokratie und Menschenrechte erhält 250000 Euro Das Integrationshaus Wien ist wiederum ein Projekt der Flüchtlingshilfe. Es werden aber auch ganz kleine Beträge verteilt: Das Frauenhaus Klagenfurt bekommt zum Beispiel 60000 Euro. Der Gute Rat für Rückverteilung hat inzwischen die Liste der Organisationen, die Geld bekommen, im Internet veröffentlicht.
"Es wurde gejubelt, es sind auch Tränen geflossen"
„Die allermeisten bekommen das Geld über mehrere Jahre verteilt, wir streben da eine gewisse Nachhaltigkeit an“, sagt Projektleiterin Alexandra Wang. „Die Reaktion der Organisationen war wahnsinnig schön. Es wurde gejubelt, es sind auch Tränen geflossen“, sagt sie.
Und warum war Marlene Engelhorn bei der Pressekonferenz nicht dabei? „Sie wollte dem Rat nicht die Show stellen“, sagt sie.
Engelhorn behält nur einen kleinen Teil des Erbes
Marlene Engelhorn will von dem Erbe „nur einen kleinen Teil behalten“, den sie für „die Übergangsphase ins Erwerbsleben“ braucht, wie sie in einem der drei Interviews sagte, die Engelhorn dieser Redaktion seit 2021 gegeben hat. „Als Studentin und Aktivistin verdiene ich ja kein Geld und brauche deshalb einen gewissen Puffer und möchte nicht künstlich ein Prekariat erschaffen“, so Engelhorn.
Echo in der internationalen Presse riesengroß
Dass eine Millionärin den Großteil ihres Erbes verschenken will, weil es in Österreich nicht besteuert wird, hat nicht nur in der Alpenrepublik für großes Aufsehen gesorgt. „Die Story ist nach Übersee und um die ganze Welt gegangen“, stellt sie zu ihrer großer Überraschung fest. Das Interesse der internationalen Presse war eben riesengroß.
Dass eine Multi-Millionärin ihr Erbe einfach verschenkt und die Entscheidung darüber, wer es bekommt, einem unabhängigen Gremium überlässt, ist mehr als bemerkenswert. Denn Engelhorn ist keine klassische Wohltäterin, die mit Ihrem Geld etwas Gutes tun will. Sie ist Wahrheit eine Aktivistin, die eine politische Agenda hat. „In Österreich müssen die Reichen weder Vermögen- noch Erbschaftsteuer zahlen. Es gibt keine Steuergerechtigkeit“, kritisiert sie.
"Wer erbt hat nichts dafür gemacht"
Sie selbst war „gar nicht glücklich“ über ihr Erbe. „Jeder Mensch muss doch Steuern zahlen, damit der Staat in Straßen, den öffentlichen Nahverkehr, in Schulen oder in Krankenhäusern investieren kann.“ Bei der Einkommensteuer sind die „Reichen und Superreichen“ auch im Boot. „Wer aber wie ich Millionen erbt, zahlt keinen Cent. Da wird mit zweierlei Maß gemessen. Das macht doch überhaupt keinen Sinn“, sagt sie und räumt mit dem Vorurteil auf, dass der Erbe sich das Geld verdient hat. „Wer erbt hat ja nichts dafür gemacht, außer, dass er in eine reiche Familie hineingeboren wurde. Und diese Arbeit hat ja die Mutter vollbracht, die die Kinder auf die Welt bringt“, sagt sie.
Marlene Engelhorn
- Die deutsch-österreichische Aktivistin und Publizistin Marlene Engelhorn wurde 1992 in Wien geboren.
- Sie ist Mitgründerin der Initiative Taxmenow (Besteuert mich), die ursprünglich ein Zusammenschluss von Vermögenden war. Sitz ist Berlin. Engelhorn ist dort für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. 2022 hat sie ein Buch („Geld“) veröffentlicht.
- Marlene Engelhorn ist die Enkelin der 2022 verstorbenen Traudl Engelhorn-Vechiatto. Deren Mann Peter Engelhorn war ein Urenkel des BASF-Gründers Friedrich Engelhorn. Peter Engelhorn war Mitgesellschafter von Boehringer Mannheim (heute Roche).
- Das Unternehmen wurde 1997 an den Pharmakonzern Hoffmann-La Roche verkauft. Engelhorn-Vechiatto soll einen Milliardenbetrag bekommen haben.
„Deshalb hat Engelhorn auch mit anderen Gleichgesinnten die Initiative Taxmenow (Besteuert mich) mit Sitz in Berlin mitgegründet. Ursprünglich war das ein Zusammenschluss von Reichen wie sie. Und natürlich schaut sie auch nach Deutschland, in dem es anders in Österreich zwar eine Erbschaftsteuer gibt, deren Aufkommen aber mit rund zehn Milliarden Euro recht gering ist. Engelhorn zitiert „seriöse Quellen“, wonach sich die Erbschaften in Deutschland auf 400 Milliarden Euro belaufen. Es landet also nur ein Bruchteil beim Fiskus. Die Vermögensteuer (die es in Österreich nicht gibt) wird in Deutschland seit 1997 nicht mehr erhoben, SPD und Grüne würden dies gerne wieder ändern, es fehlt im Bundestag aber eine Mehrheit dafür. Engelhorn: „Ich finde, dass man nicht nur Arbeit, sondern auch Kapital selbstverständlich fair besteuern muss.“
Kritik an Spenden und Stiftungen
Engelhorn hat sich in den Interviews auch dazu geäußert, dass die „Reichen und Superreichen“ ja auch für wohltätige Zwecke viel Geld spenden beziehungsweise Stiftungen gründen würden. Dieses Narrativ gefällt ihr überhaupt nicht.
„Nehmen wir zum Beispiel Curt Engelhorn. Der Cousin meines Großvaters und Hauptanteilseigner von Boehringer Mannheim hat in seinem Leben rund 50 Millionen Euro gespendet. Er hat aber am Verkauf der Firma knapp zehn Milliarden Euro verdient.
Den Deal hat er 1997 unversteuert über die Cayman Inseln abgewickelt“, fasst Marlene Engelhorn zusammen und macht folgende Rechnung auf: „Der Anteil seiner Spende an dieser Summe beträgt gerade mal 0,5 Prozent“, kritisiert Marlene Engelhorn. Und sie legt nach: „Hätte er den Verkauf aber versteuern müssen, wären viel höhere Summen in den Haushalt geflossen. Und dann hätte der Staat anders als bei Curt Engelhorns Spende selbst entscheiden können, wofür er das Steuergeld verwendet.“
Curt Engelhorn musste nichts versteuern
Normalerweise wäre bei dem Deal eine hohe Einkommensteuer fällig gewesen. Der Spitzensteuersatz lag damals bei 53 Prozent. „Wir haben die Steuerfalle erfolgreich umgangen“, freute sich damals der Multimilliardär Curt Engelhorn in aller Öffentlichkeit und mutmaßte mit Blick auf den damaligen Bundesfinanzminister: „Herr Waigel wird sich ärgern.“
Raus aus der Reichensuppe
Marlene Engelhorn hat aber auch kein Verständnis für reiche Leute, die Teile ihres Milliarden-Vermögens in eine Stiftung eingebracht haben, wie zum Beispiel SAP-Mitgründer Dietmar Hopp. Hopp & Co. würden damit nichts Gutes für die Gesellschaft tun. „Mit Stiftungen kann man das Vermögen verschleiern und parken und vor der Steuer verstecken. Wer Stiftungen gründet, will in Wahrheit sein Geld nicht teilen“, sagt sie.
Marlene Engelhorn hat zwar die Diskussion über Steuergerechtigkeit entfacht, wünscht sich aber, dass sie nach der Verteilung ihres Erbes aus dem Rampenlicht verschwindet. „Ich habe einen Riesenwirbel veranstaltet, aber im Prinzip bin ich austauschbar. Es gibt so viele andere Menschen, die schon seit Jahrzehnten für mehr Gerechtigkeit kämpfen. Wenn die jetzt mehr Aufmerksamkeit bekommen, wäre das eine wunderbare Verschiebung des Spotlights“, so die Wienerin.
Marlene Engelhorn weiß natürlich, dass sie auch ohne die vielen Millionen keine Angst haben muss, beim Sozialamt zu landen, falls es bei ihr nicht so gut laufen sollte. „Ich bin zwar jetzt raus aus der Reichensuppe, bleibe aber durch und durch privilegiert. Denn ich bin ja durch meine Familie mit einem sozialen Sicherheitsnetz ausgestattet, das viel enger ist als das öffentliche. Das finde ich sehr schade.“
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Bergsträßer Anzeiger Plus-Artikel Kommentar Marlene Engelhorn - ein Vorbild für die Gesellschaft