Mannheim. Ob Russlands Kremlherrscher Wladimir Putin, Chinas Alleinherrscher Xi Jingping oder auch der Möchtegern-König Donald Trump. Es sind die Testosteron gesteuerten Machthaber, die in diesen verrückten Zeiten auf die regelbasierte Ordnung in der internationalen Politik pfeifen und die Schlagzeilen bestimmen. Machtmissbrauch gibt es aber nicht nur an der Staatsspitze. Und dass Macht die Menschen verändert, weil diese dann zu egoistischem Verhalten und Regelverstößen neigen, ist natürlich auch keine bahnbrechende neue Erkenntnis, sondern ein in der Wissenschaft breit erforschtes Gebiet.
Opfer gewöhnen sich an die Regelverstöße
Natürlich können Politiker ihren Einfluss besonders nutzen, um Vorteile für sich zu schaffen. Aber auch Polizisten schützen uns nicht immer vor den Kriminellen, sondern können selbst illegal Gewalt anwenden. Auch unter den Ärzten gibt es welche, die ihre Verbindungen für Sonderbehandlungen nutzen. Und auch Manager können ihre Kollegen zwingen, in gemeinsame Projekte zu investieren, an denen sie selbst sparen.
Die logische Konsequenz daraus wäre, dass Opfer von Machtmissbrauch diese Normverletzungen als unmoralisch und schädlich für die Gemeinschaft beurteilen. Offensichtlich ist aber das Gegenteil der Fall. Diese Schlussfolgerung haben jedenfalls Forscher der Universität Mannheim, der Humboldt-Universität zu Berlin und der Maastricht University aus ihrer aktuellen Studie gezogen. Demnach gewöhnen sich selbst die Opfer von Machtmissbrauch im Laufe der Zeit an die unfairen Regeln. Der Machtmissbrauch wird dann zur sozialen Norm. Macht korrumpiert also nicht nur diejenigen, die sie ausüben, sondern auch die Opfer.
Korrupte Systeme halten sich oft sehr lange
„Machtmissbrauch verändert nicht nur das Verhalten der Mächtigen, sondern auch das moralische Urteil der Ohnmächtigen“, sagt der Mannheimer Wirtschaftswissenschaftler Wladislaw Mill. Die Forscher haben dies zumindest in einem Laborexperiment mit mehr als 280 Teilnehmenden nachgewiesen. Sie schufen dazu künstliche Kleingruppen mit klarer Machtverteilung. Je eine Person durfte die anderen Gruppenmitglieder bestrafen, musste sich selbst aber nicht an die Regeln halten. Das Ergebnis ist deutlich: Teilnehmer, die einem „missbräuchlichen“ Gruppenmitglied ausgesetzt waren, bewerteten dessen Verhalten später als sozial weniger unangemessen als andere, die keine solchen Erfahrungen gemacht hatten. Das heißt, mit ihrer Strategie kam die Person durch, die selbst auf den eigenen Vorteil bedacht war, gleichzeitig aber von anderen viel Einsatz für das Gemeinwohl forderte.
Die Studienergebnisse geben Hinweise darauf, warum sich korrupte Institutionen oft lange halten: Wenn selbst Opfer Machtmissbrauch als „normal“ akzeptieren, sinkt der gesellschaftliche Widerstand. „Gerade, weil Betroffene den Machtmissbrauch selbst erleben, beginnen sie, ihn zu rechtfertigen – nicht aus Überzeugung, sondern weil sie sich an die Umstände anpassen“, erklärt der Verhaltensökonom Mill.
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