Einzelhandel

Mannheim: Wie Ladendiebe die Einzelhändler belasten

Kameras schrecken Ladendiebe schon lange nicht mehr ab. In einem Mannheimer Rewe-Markt greift Sahin Karaaslan jetzt zu anderen Mitteln. Wie hoch der Schaden ist und warum er sich von der Politik im Stich gelassen fühlt

Von 
Christian Schall
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Eine Hand steckt eine Flasche mit Nagellack in eine Hosentasche (gestellte Szene). Der Schaden durch Ladendiebstahl geht in die Milliarden. © Bernd Weißbrod

Mannheim. Es ist ein verzweifelter Hilferuf, den der Rewe-Kaufmann Sahin Karaaslan an die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges (CDU) aussendet: „Wir fühlen uns hilflos und vom Rechtsstaat alleingelassen.“ Anlass für Karaaslans Ärger ist die steigende Zahl der Ladendiebstähle, weshalb die Ministerin auf Einladung des Handelsverbands Nordbaden den Unternehmer in seinem Markt in Mannheim-Käfertal besucht und sich zum Thema informieren will.

„Die Diebe werden immer dreister“, klagt der Marktbetreiber. „Wir haben hier 29 Taten an einem Tag!“ Überwachungskameras oder Warensicherungen schreckten schon lange nicht mehr ab. „Das sind organisierte Banden, die sind hemmungslos.“ Bei der Auswahl des Diebesguts seien sie nicht wählerisch: „Olivenöl, Fisch, Kosmetik, Kühlware - eigentlich alles.“

Die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges (CDU) besucht den Rewe-Markt von Sahin Karaaslan in Mannheim-Käfertal, um sich zum Thema Ladendiebstahl zu informieren. © Christian Schall

Zusammen mit der Ministerin läuft er durch den Supermarkt, bleibt immer wieder vor Regalen stehen und erklärt, wie die Diebe vorgehen. Zunächst werde die Lage im Markt inspiziert. Beliebt seien Tagesrandzeiten, wenn weniger Personal im Markt ist, oder am Morgen, wenn die Mitarbeiter etwa mit dem Befüllen der Regale abgelenkt sind. Entweder werde noch am Regal eingepackt oder sich mithilfe von Komplizen durch die Kassenzone gemogelt. Längst gehe es nicht mehr nur um einzelne Artikel, die Kriminellen räumten ganze Regale leer. Die Ware werde dann im Internet verkauft. „Das sind 100 Prozent Marge, denn einen Einkaufspreis haben sie ja nicht“, ärgert sich der Unternehmer.

Den Markt in Mannheim-Käfertal sichern nun Detektive

„Die Täter sind super organisiert.“ Das besonders gesicherte Spirituosenregal habe er oft schon leer gelassen. „Das wird ja doch wieder geklaut“, habe er sich gedacht. Wegen der gehäuften Diebstähle wusste sich Karaaslan nur noch mit einem Sicherheitsdienst zu helfen. In zwei Schichten sichern nun je zwei Detektive den Markt. Selbst die können nicht alle Diebstähle verhindern und jagen einigen Tätern kaum Angst ein, berichtet er: „Das sind 1,90 Meter große Männer mit starken Muskeln. Da traut sich mancher Detektiv nicht, sie anzusprechen.“ Auf die Ausgaben für das Sicherheitspersonal in seinen vier Märkten würde Karaaslan gerne verzichten. „Das ist teuer, aber es lohnt sich.“

Die Ministerin erkundigt sich, seit wann die Delikte zugenommen haben. „Seit etwa zwei bis drei Jahren“, antwortet der Händler. Was ihn so wütend macht, ist die Dreistigkeit der Kriminellen. Wenn früher ein Ladendieb erwischt worden sei, habe der sich geschämt. Heutzutage fragten sie bei der Aufnahme der Personalien, wo sie zu unterschreiben haben, würden des Hauses verwiesen und kehrten oft am selben Tag - trotz Hausverbot - zurück, um die nächsten Produkte zu klauen. „Das Schlimme daran ist: Die Leute wissen, dass sie nicht bestraft werden.“ In den meisten Fällen, so seine Wahrnehmung, würden die Verfahren eingestellt.

„Ich bin seit 27 Jahren selbstständiger Unternehmer, aber in diesen Dimensionen habe ich das noch nicht erlebt“, klagt der Händler. Die Diebstähle kosten ihn viel Geld: 800 000 Euro gehen ihm jährlich durch die Lappen, im Schnitt 200 000 Euro pro Filiale.

Der Rewe-Kaufmann ist mit seinen Sorgen nicht allein. Zwar liegt der Lebensmitteleinzelhandel mit deutlichem Abstand vorn. Swen Rubel, Geschäftsführer des Handelsverbands Nordbaden, zählt die weiteren betroffenen Händler auf: Es folgen Bekleidungsgeschäfte, Baumärkte und Drogeriemärkte. Und: Etwa die Hälfte der Langfinger, die erwischt werden, haben keine deutsche Staatsbürgerschaft.

Der Schaden für die Händler im Land liegt bei 700 Millionen Euro

Der Verband legt weitere Zahlen vor: Im vergangenen Jahr wurden in Baden-Württemberg 47 052 Fälle von Ladendiebstahl gemeldet. Das ist der höchste Wert seit 2005, gegenüber dem Vorjahr beträgt der Anstieg fast ein Viertel (24,4 Prozent). Der diebstahlbedingte Schaden für die Händler liegt bei mehr als 700 Millionen Euro, hinzu kommen Schutzmaßnahmen, die die Kassen mit 200 Millionen Euro belasten.

Bundesweit liegt der durch Kunden verursachte Diebstahlschaden laut einer Studie des Handelsinstituts EHI bei rund 2,8 Milliarden Euro. Die Dunkelziffer der Delikte ist nach Angaben des Handelsverbands hoch. Viele Ladendiebstähle würden nicht sofort entdeckt oder wegen geringer Aussichten auf einen Erfolg der Anzeige der Polizei erst gar nicht gemeldet. „Angesichts der steigenden Fallzahlen müssen wir ein entschiedeneres Vorgehen der Justiz bei Ladendiebstählen fordern“, sagt Rubel. Händler „fühlen sich allein gelassen und fragen sich zurecht: Wo ist hier unser Rechtsstaat?“

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Durch die Diebstähle ergibt sich ein weiterer Effekt, der Karaaslan ärgert und den er der Justizministerin schildert: leere Regale. Denn die Software der Warenbestellung arbeite nach einem mathematischen Algorithmus, bei dem der Warenbestand eines Produkts mit den Käufen abgeglichen wird. Nach einem Diebstahl ist das Regalfach zwar leer, das System hält das Produkt aber noch für vorrätig und bestellt das Produkt nicht nach, weil es nicht verkauft wurde. „Die Kunden ärgern sich über leere Regale und schreiben im schlimmsten Fall noch eine negative Bewertung im Internet.“

SB-Kassen, die die Handelsunternehmen immer häufiger installieren, sind laut Sahin Karaaslan nicht maßgeblich für die Häufung der Diebstähle. In Käfertal hat er sieben solcher Selbstscanner-Terminals. Da werde auch mal etwas vorsätzlich zur Seite gelegt und „vergessen“ oder „sich verzählt“, wie die meisten Ausreden lauten, wenn die Diebstähle bemerkt werden.

Justizministerin Gentges sieht zwei Ansatzpunkte, um die Lage in den Griff zu bekommen. Sie will mehr beschleunigte Verfahren, so dass Täter schnell verurteilt werden. „Wenn es gelingt, da konsequenter zu werden, hilft das insgesamt und gibt Ihnen das Gefühl, dass der Rechtsstaat funktioniert“, so Gentges. Dafür brauche es jedoch - zweiter Punkt - mehr Personal bei den Staatsanwaltschaften. Dafür wolle sie sich bei den Haushaltsberatungen einsetzen. Die derzeitige Situation könne sie nicht zufriedenstellen, sagt die Ministerin und gelobt Besserung: „Ich will Sie davon überzeugen, dass wir es hinkriegen.“

Bei Markteröffnungen überwiegen inzwischen Bedenken

Vier Rewe-Märkte betreibt Karaaslan, der Vizepräsident des Handelsverbands Nordbaden ist, in der Region, den fünften eröffnet er im Herbst im Darmstädter Hof Centrum in Heidelberg, Nummer sechs folgt auf Spinelli in Mannheim. In den Quadraten, in der Breiten Straße, plant er ebenfalls eine neue Filiale. Doch der Gedanke an Innenstadtlagen wie in Heidelberg und Mannheim verdirbt Karaaslan allmählich die Laune: „Früher hat man sich auf eine Markteröffnung gefreut. Aber heute hat man eher Bedenken. Der Fachkräftemangel erschwert es, Personal zu finden und jetzt auch noch die Sache mit den Diebstählen - das wird eine Herausforderung in der Innenstadt.“

Redaktion Redakteur in der Wirtschaftsredaktion

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