M+E-Tarifrunde

Können die Mannheimer Betriebe wirklich sieben Prozent mehr Lohn zahlen, Herr Hahl?

In der Metall- und Elektroindustrie droht eine harter Tarifkonflikt: Die Arbeitgeber fordern eine Nullrunde. Der Mannheimer IG-Metall-Chef Thomas Hahl erklärt, warum die Beschäftigten einen Zuschlag verdient haben

Von 
Alexander Jungert und Tatjana Junker
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Ein Warnstreik der IG Metall in Ingolstadt während der Tarifrunde 2022. Ähnlich stimmungsgeladen könnte es auch dieses Jahr werden. © dpa / IGM Mannheim

Mannheim. Herr Hahl, die IG Metall Baden-Württemberg fordert sieben Prozent mehr Geld für die Beschäftigten. Glauben Sie wirklich, dass die Unternehmen das zahlen können?

Thomas Hahl: Ja. Die Frage ist vielmehr, ob sie das zahlen wollen. Ich kann mich an keine Tarifrunde erinnern, bei der die Arbeitgeber über eine Forderung gejubelt haben.

Es ist schon so, dass die baden-württembergische Metall- und Elektroindustrie im ersten Quartal deutliche Rückgänge bei Auftragseingang und Produktion verkraften musste.

Hahl: Schauen Sie sich die vergangenen drei Jahre von Mercedes-Benz an - insgesamt hat der Autohersteller 50 Milliarden Euro Gewinn gemacht. Auch viele andere Unternehmen zehren noch von guten Gewinnen aus der Vergangenheit. Zudem sagen die Wirtschaftsinstitute voraus, dass es 2025 konjunkturell wieder aufwärtsgeht.

Mercedes-Benz ist ein Konzern. Die vielen Mittelständler in der Region dürften schon schwerer an Ihrer Forderung tragen, oder?

Hahl: Wir hatten eine sehr breite Debatte innerhalb der IG Metall. Auf der tarifpolitischen Konferenz für Mannheim in Mannheim waren Teilnehmer aus 19 Betrieben dabei. Einige Kolleginnen und Kollegen hatten sogar zweistellige Forderungen ins Spiel gebracht. Die sieben Prozent, die wir nun fordern, sind ein Kompromiss aus den Debatten.

Wie geht es denn den Unternehmen in Mannheim?

Hahl: Die Bandbreite ist sehr unterschiedlich. Einige Beispiele: Bei Daimler Buses läuft es super, im Lkw-Motorenwerk von Daimler Truck hingegen ist das Geschäft etwas rückläufig, Leiharbeiter wurden abgemeldet. Beim Landmaschinenhersteller John Deere gibt es die üblichen Schwankungen, derzeit normalisiert sich das Geschäft. Caterpillar ist wieder raus aus der Kurzarbeit, während beim Autozulieferer ZF Wabco Kurzarbeit bis zum Jahresende angemeldet ist. Positiv hervorzuheben sind jedenfalls Hitachi Energy und Südkabel, die Auftragsbücher sind voll. Würden wir uns an den Stärksten orientieren, müssten wir mit einer zweistelligen Forderung in die Tarifrunde gehen. Aber wie ich eben schon sagte: Die Gemengelage ist unterschiedlich, und die sieben Prozent sind ein Kompromiss. Er ist gerechtfertigt, und die Mitglieder tragen ihn mit.

Thomas Hahl

  • Seit Mai 2020 ist Thomas Hahl (53) Erster Bevollmächtigter der IG Metall Mannheim.
  • Der gebürtige Mannheimer lernte Dreher bei BBC, ab 1998 arbeitete er hauptamtlich als Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall. 2016 rückte er zum Zweiten Bevollmächtigten auf.
  • Hahl ist verheiratet, hat eine Tochter und einen Enkel.

Harald Marquardt, Verhandlungsführer von Südwestmetall, hält eine Nullrunde für angemessen. Größer könnte der Kontrast zu Ihren sieben Prozent nicht sein.

Hahl: Schon die vergangenen Tarifrunden mit Herrn Marquardt sind nicht vergnügungssteuerpflichtig gewesen. Ehrlich gesagt finde ich seine Art den Beschäftigten gegenüber ganz schön despektierlich.

Wie meinen Sie das?

Hahl: Es ist respektlos, eine Nullrunde zu fordern. Damit wird den Beschäftigten wegen der Inflation ein Reallohnverlust abverlangt. Sie arbeiten hart für den Erfolg der Unternehmen!

Die Unternehmen klagen nicht nur über konjunkturelle Schwankungen - sondern monieren grundsätzlich Standortprobleme. Laut Südwestmetall-Umfrage will fast jedes zweite Unternehmen in den nächsten fünf Jahren Investitionen in Richtung Ausland verschieben. Betriebe, die jetzt schon im Ausland produzieren, beschreiben es als deutlich rentabler. Haben Sie keine Angst, dass bei uns noch mehr Beschäftigung verlorengeht?

Hahl: In keinem anderen Land wird der eigene Standort von Managern so schlecht geredet wie in Deutschland. Das regt mich auf, und das werden wir nie in Tarifrunden wettmachen. Sehen Sie: Japanische Unternehmen - wie etwa Sumitomo bei Südkabel - investieren in Mannheim. Warum? Weil sie die politische Stabilität und die hoch qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schätzen. Ich verlange von deutschen Managern, dass sie zum Standort stehen und hier auch investieren! Jede Wette: Selbst, wenn es fünf Nullrunden hintereinander gäbe, würden nicht mehr Investitionen fließen. Gleichzeitig steigen aber die Managergehälter, und die Gewinnmargen sind oft im zweistelligen Bereich - trotz der hohen Löhne in Deutschland, die die Arbeitgeber immer wieder kritisieren. Das passt nicht zusammen. Vielleicht muss in unserem Land eine Wertedebatte geführt werden.

Seit 2020 ist Thomas Hahl Erster Bevollmächtigter der IG Metall Mannheim. © Blüthner

Was schlagen Sie konkret vor?

Hahl: Die IG Metall hat elf Punkte „für ein modernes, innovatives und gerechtes Industrieland“ aufgesetzt. In der Politik muss dringend ein Umdenken stattfinden - denn wenn alles so weiter läuft wie bisher, wird Deutschland eine Deindustrialisierung erleben. Auch Mannheim hat schon einige Betriebe verloren. Der Staat muss mehr Geld in die Wirtschaft stecken, schon allein wegen der Transformation. Über die Schuldenbremse muss geredet werden. Wenn wir investieren wollen, muss sie fallen.

Ihnen ist wichtig, dass Azubis stärker von der Tarifrunde profitieren. Weshalb?

Hahl: Wer die Besten von morgen haben will, muss dafür Geld in die Hand nehmen. Auch in der Metall- und Elektroindustrie fehlen Fachkräfte, und natürlich konkurriert die Branche mit dem Handwerk oder der Chemie um Nachwuchs. Deswegen wollen wir erreichen, dass die Ausbildungsvergütungen um 170 Euro pro Monat je Ausbildungsjahr - und damit überproportional - steigen.

Welche Rolle sollte das Thema Arbeitszeit bei den Verhandlungen spielen?

Hahl: Noch eine größere als früher. Die Beschäftigten sprechen sich in Umfragen klar für mehr Zeitsouveränität aus. Die IG Metall hat 2018 das tarifliche Zusatzgeld („T-Zug“) auf den Weg gebracht. Laut Tarifvertrag können sich Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen statt für Geld für zusätzliche freie Tage entscheiden. Es lohnt sich bestimmt, darüber zu reden, wie künftig noch mehr Beschäftigte Zugang dazu haben. Was sich meiner Meinung nach ebenfalls lohnt, ist ein Blick zur Schwester-Gewerkschaft IG BCE . . .

. . . bei den Tarifverhandlungen für die deutsche Chemie-Industrie haben IG BCE und Arbeitgeber einen zusätzlichen freien Tag nur für Gewerkschaftsmitglieder vereinbart.

Hahl: Hut ab, was in der Chemiebranche erreicht worden ist. Persönlich bin ich ein absoluter Freund dieses Mitgliederbonus. In der Verhandlungskommission werde ich mich dafür einsetzen, dass dieser Vorschlag auch bei uns diskutiert wird - schon in der laufenden Tarifrunde. Warum zum Beispiel nicht ein T-Zug-Tag zusätzlich? Es ist gut, Mitglieder stärker zu belohnen. Schließlich sind sie es, die in kritischen Zeiten in Betrieben immer wieder die Kastanien aus dem Feuer holen.

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Wie groß sehen Sie die Gefahr, dass durch Mitgliederboni die Belegschaft gespalten wird?

Hahl: Im Prinzip existiert diese Spaltung heute schon. Mitglieder sind stinkig auf Nicht-Mitglieder, weil von ihrem Gehalt weniger übrig bleibt - immerhin zahlen sie Gewerkschaftsbeitrag. Und am Ende bekommen Nicht-Mitglieder zudem dieselben betrieblichen Leistungen, obwohl sie dafür nicht auf die Straße gegangen sind. Deshalb bin ich der Meinung, dass der Gewerkschaftsbeitrag in irgendeiner Form an die Mitglieder zurückfließen sollte.

Nochmal zur Arbeitszeit: Die Vier-Tage-Woche ist kein Thema mehr für Sie?

Hahl: Bei der Debatte um die Vier-Tage-Woche in der Metall- und Elektroindustrie geht es vor allem um Branchen, in denen es aufgrund ihrer Struktur künftig weniger Arbeit gibt. Das betrifft zum Beispiel die Stahlbranche. Die Beschäftigten dort einfach in die Arbeitslosigkeit zu schicken, kann nicht die richtige Antwort sein. Die Vier-Tage-Woche könnte hier eine Lösung sein, um Arbeitsplätze zu erhalten.

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Alexander Jungert
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Während bei uns die Vier-Tage-Woche diskutiert wird, führt Griechenland die Sechs-Tage-Woche ein. Ist das nicht die bessere Antwort - gerade mit Blick auf den Fachkräftemangel?

Hahl: Nein. In Deutschland wurden noch nie so viele Überstunden geleistet wie im Jahr 2023. Deshalb nervt es mich, wenn Politiker fordern, die Menschen sollten mehr arbeiten. Da fehlt der Bezug zur Realität. Deutschland ist eines der produktivsten Länder der Welt - einhergehend mit einer unheimlich hohen Arbeitsbelastung. Das sieht man auch daran, dass die Krankenquote steigt. Wenn wir die Arbeitszeit pro Kopf erhöhen, wächst die Produktivität nicht, im Gegenteil. Ich bin überzeugt, sie wird sinken. Statt einer Debatte über längere Arbeitszeiten brauchen wir in vielen Branchen eine Tarifoffensive für bessere Arbeitsbedingungen.

Auch in der Metall- und Elektroindustrie sind viele Betriebe nicht tarifgebunden. Wie lässt sich die Tarif-Flucht aufhalten?

Hahl: Durch ein europaweites Tariftreuegesetz. Darin sollte geregelt sein, dass öffentliche Aufträge nur an tarifgebundene Unternehmen vergeben werden. Es kann schließlich nicht sein, dass wir über Steuergelder schlechte Arbeitsbedingungen unterstützen. Außerdem müssen wir Betriebsräte stärken, zum Beispiel, indem wir sie besser vor Mobbing schützen. Das Behindern von Betriebsratsarbeit ist strafbar, das muss stärker verfolgt werden - etwa durch Sonderstaatsanwaltschaften.

Vielleicht sind die Tarifverträge aber auch für viele Unternehmen zu unattraktiv, weil sie zum Beispiel zu kompliziert sind?

Hahl: Da muss ich immer grinsen, wenn ich das höre. Die Tarifverträge werden ja von beiden Seiten ausgehandelt und unterschrieben - und teilweise sind es auch die Arbeitgeber, die am Ende gerne noch fünf Sätze mehr zu irgendeinem Extrapunkt drin haben wollen. Wenn es nach mir geht, kann der nächste Gehaltstarifvertrag gerne auf eine DIN-A4-Seite passen. Ein Tarifvertrag hat ja gerade den Vorteil, dass er kollektiv für alle etwas regelt. Ohne Tarifvertrag muss ich individuell mit jedem einzelnen Mitarbeiter etwas regeln, das ist viel aufwendiger und komplizierter.

Wie viele Mitglieder hat die IG Metall aktuell in Mannheim?

Hahl: 25 000. Vor 40 Jahren, als es um die 35 Stunden-Woche ging, waren es noch 20 000 mehr. Das liegt aber daran, dass wir über die vergangenen Jahrzehnte in der Branche sehr viele Arbeitsplätze verloren haben: Vor 40 Jahren hatten wir in Mannheim noch Alcatel SEL und die Draiswerke. Beim Benz waren damals noch mehr als 10 000 Menschen beschäftigt. Bei BBC bzw. später Alstom und GE waren es ebenfalls mehr als 10 000. Beim Organisationsgrad in den Betrieben sind wir aber nach wie vor sehr stark. In den großen Betrieben wie Daimler Truck oder John Deere sind wir bei rund 80 Prozent, bei einigen anderen Unternehmen sind fast 100 Prozent der Beschäftigten Mitglied der IG Metall.

Wie hoch ist die Kampfbereitschaft in den Belegschaften mit Blick auf die Tarifrunde?

Hahl: Die Stimmung auf unserer jüngsten tarifpolitischen Konferenz war super. Und natürlich hilft uns ein Harald Marquardt, der Verhandlungsführer von Südwestmetall, mit seiner provokanten Nullrunden-Forderung sehr stark bei der Mobilisierung. Wenn die Menschen ihre Heizungs- oder Stromrechnung sehen und gleichzeitig hören, dass sie in der Tarifrunde nichts bekommen - das macht wütend.

Redaktion berichtet aus der regionalen Wirtschaft

Redaktion Wirtschaftsreporterin

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