Fußball

Nach der Schmach von Wien: Jetzt sollen die Arbeiter in der Nationalmannschaft ran

Der Auftritt des deutschen Nationalteams beim 0:2 in Österreich war erschreckend. Entsprechend bedient war auch Bundestrainer Julian Nagelsmann, der wohl künftig auf andere Spielertypen setzt

Von 
Claudio Palmieri
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Bediente Mienen wie hier bei Ilkay Gündogan (li.) und Leroy Sané gab es im DFB-Team zuhauf zu sehen. © Christian Charisius/dpa

Julian Nagelsmann wusste genau, was auf ihn zukommen würde. Nach dem schwachen 0:2 der deutschen Nationalmannschaft im Testspiel gegen Österreich machte der Bundestrainer deshalb das vielleicht einzig Richtige in seiner Situation: Er benannte die Probleme, so gut es nur irgendwie ging.

Aussagen wie „es bringt uns nichts, wenn wir in eine Opferrolle verfallen“ wiederholte Nagelsmann mehrfach sinngemäß. Gleiches galt für seine Erkenntnis, dass die im Umgang „angenehme“ Mannschaft „den Transfer aufs Feld“ nicht hinbekomme. Eine „Paradelösung“ habe er „noch nicht im Kopf“, räumte Nagelsmann ein.

Zurück zu "deutschen Tugenden"

Gegen Ende seiner Ausführungen gab der 36-Jährige aber zumindest einen Lösungsansatz im Hinblick auf das bevorstehende Heim-EM-Jahr preis. „Es brennt natürlich unter den Nägeln, wenn du die ganzen Talente siehst, die wir haben“, sagte Nagelsmann: „Aber am Ende musst du dir vielleicht in die Faust beißen und sagen: ein Toptalent weniger und einen Worker mehr.“

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Alexander Müller
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Fußball arbeiten also - „von mehr Mentalität und Emotion hin zu Qualität“: Auch diese Schlagworte brachte der Bundestrainer, der im ZDF sogar die altbekannten „deutschen Tugenden“ heraufbeschwor: „Wir müssen akzeptieren, dass wir mit ein bisschen Kicken da nicht rauskommen.“

Bezeichnende Rote Karte

Mehr Emotionalität hatte Nagelsmann schon nach dem 2:3 gegen die Türkei in Berlin von seiner Elf gefordert. Im „Bruderduell“ gegen Österreich machte das deutsche Team in dieser Hinsicht aber keine Fortschritte. „Statt uns mit Emotion anzustecken, machen wir immer das Gegenteil. So bist du nicht erfolgreich“, hielt DFB-Kapitän Ilkay Gündogan im ZDF fest.

Dass sich Leroy Sané, der bei Bayern München zurzeit ein kongeniales Duo mit Harry Kane bildet, kurz nach Wiederanpfiff (49.) zu einem üblen Schubser gegen Philipp Mwene hinreißen ließ und daher vom Platz flog, sprach für Gündogan Bände. „Die Rote Karte fasst alles gut zusammen. Den Frust, die ganze Enttäuschung - auch über sich selbst“, meinte der Mittelfeldroutinier des FC Barcelona.

Österreich in allen Belangen überlegen

Sané, der in seinem 402. Profispiel erstmals vom Platz flog, nahm die Niederlage dann auf seine Kappe und gab zu, „viel Frust“ über die eigene Leistung verspürt zu haben: „Das darf mir nicht passieren.“

Doch nur am Feldverweis des 27-Jährigen lag es nicht, dass Deutschland dem nicht mehr so kleinen Nachbarn in allen Belangen unterlegen war. Schon vor dem 1:0 durch Borussia Dortmunds Mittelfeldass Marcel Sabitzer (29.) war Michael Gregoritsch vom SC Freiburg freistehend an DFB-Torwart Kevin Trapp gescheitert (17.).

Nagelsmanns Plan geht nicht auf

Anders als gegen die Türkei offenbarte Deutschland diesmal nicht nur in der Defensive eklatante Schwächen. Torchancen blieben über die gesamte Spieldauer eine Rarität, was Nagelsmann treffend mit einer „absurd“ hohen Ballverlustrate begründete. Eine halbwegs klare Linie stellte sich im deutschen Spiel erst in Unterzahl ein. „Ab da haben wir angefangen, Emotionalität zu spiegeln und besser gespielt“, befand Abwehrmann Mats Hummels. Mit dem 2:0-Endstand, den RB Leipzigs Christoph Baumgartner nach schöner Kombination besiegelte (73.), war Deutschland trotzdem mehr als gut bedient.

Dass Nagelsmann die Mannschaft mit seinen taktischen Vorgaben überfordere, verneinten die Spieler. Der Plan des Bundestrainers, der wie schon gegen die Türkei Offensivmann Kai Havertz als Linksverteidiger aufstellte, ging gegen die unter Ralf Rangnick bereits bestens eingespielten Österreicher dennoch nicht auf.

Sechs Niederlagen in elf Spielen

Und so mutet auch die von Nagelsmann im ZDF vorgetragene Abwehr-Offenbarung („Wir sind keine Verteidigungsmonster. Wir sind eine Mannschaft, die erfolgreich sein kann, wenn wir die Zeit, in der wir verteidigen müssen, minimieren“) weniger als sieben Monate vor Beginn der Heim-EM entlarvend an. 7:8 Tore in den ersten vier Länderspielen unter Nagelsmann sprechen eine klare Sprache.

Der positive Effekt, den sich der DFB vom neuen Bundestrainer versprochen hatte, ist aber hinüber. Als einziger Lichtblick aus dem Testspieljahr 2023, in dem es sechs Niederlagen in elf Partien setzte, bleibt der 2:1-Sieg gegen Vizeweltmeister Frankreich, bei dem DFB-Sportchef Rudi Völler das Team betreute. „Schlechter kann es gerade nicht sein. Vielleicht ist das der einzig positive Aspekt“, sagte Gündogan: „Wir werden jetzt vier Monate mit diesen Ergebnissen leben müssen.“

Offen blieb, ob Nagelsmann den von ihm angesprochenen „Worker“-Typen schon beim nächsten Lehrgang im März mehr Einsatzzeit einräumen wird. Neben dem zuletzt viel gescholtenen Joshua Kimmich, der in Wien nur von der Bank kam, zählte der Bundestrainer den Mannheimer Premier-League-Profi Pascal Groß („Ein Parademensch. Ich habe selten einen Profi gesehen, der sich selbst so unwichtig auf dem Platz nimmt und sich seiner Rolle gar nicht so bewusst ist“) und auch den Mittelfeldspieler der TSG Hoffenheim, Grischa Prömel („Der ist nur deswegen Profi geworden“), als Kandidaten auf. Viel Lob für ein Duo, das zum dringend ersehnten Mentalitätswechsel beim EM-Gastgeber beitragen könnte - das aber gegen die Türkei und Österreich auf null Einsatzminuten kam.

Freier Autor Geboren in Viernheim, aufgewachsen in Bürstadt. Freier Mitarbeiter seit 2009

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