Das flegelhafte Benehmen hat sich Marko Arnautovic abgewöhnt, aber gewisse Gepflogenheiten ändern sich eben nicht mehr. Noch immer krempelt der extrovertierte Kicker gerne die kurze Hose bis zum Anschlag hoch, um eigentlich was zu zeigen? Seine muskulösen Oberschenkel? Wenn er dann noch lässig im ärmellosen Shirt über den Rasen schreitet, wirkt das immer noch ein bisschen provokant.
Wer ihn beim Training des österreichischen Nationalteams im Stadion am Wurfplatz in Berlin in dieser Pose sieht, fühlt sich an jenen jungen Profi erinnert, der einst im Sommer 2010 in einem Trainingslager von Werder Bremen im österreichischen Bad Waltersdorf mit demselben Hang zur Selbstdarstellung aufschlug. Und doch ist 14 Jahre später vieles anders.
Eine durchaus wundersame Personalie beim Überraschungsteam Österreich ist vor dem EM-Achtelfinale gegen die Türkei an diesem Dienstag (21 Uhr/live bei Magenta-TV) eben ihr Kapitän. Der 35-Jährige trug zuletzt in den Gruppenspielen gegen Polen (3:1) und die Niederlande (3:2) die leuchtende Binde am Arm. Es wirkte im Berliner Olympiastadion zugleich wie ein Zeichen, dass unter Lehrmeister Ralf Rangnick längst nicht alles stromlinienförmig zugeht.
Arnautovic zunächst skeptisch bei Rangnick-Verpflichtung
Der schon in den Niederlanden, in Deutschland, England, Italien und zwischenzeitlich auch für gutes Geld in China kickende Rekordtorjäger (37 Tore in 115 Länderspielen) wird kein Musterschüler mehr, dennoch sind Teamchef und Torjäger eine Allianz eingegangen, die auf gegenseitigem Vertrauen beruht.
Gleich nach seinem Amtsantritt suchte Rangnick das Gespräch mit der auch im Nationalteam oft genug polarisierenden Reizfigur. Dem 65-Jährigen war dabei durchaus klar, dass er aus diesem Spieler kein Pressingmonster formen kann.
Arnautovic klang zunächst skeptisch, als er von der Verpflichtung des Schwaben erfuhr: „Ich habe damals gedacht, jetzt kommt die Red-Bull-Schule und jetzt wird es ein bisschen schwierig für mich, weil ich in meiner Karriere nie dieses Pressing-Spiel gemacht habe.“
Doch sein Coach nimmt auch einen Angreifer mit begrenztem Aktionsradius. „Er ist immer noch schnell genug. Vielleicht nicht mehr für den Flügel, aber für das Zentrum allemal. Und er hat alle Qualitäten, die ein Stürmer dort braucht“, findet Rangnick.
Seine Nummer sieben sei auch 2024 noch ein Spieler, der „den Unterschied machen kann“. Gegen die Niederlande hat er immerhin einen Elfmeter sicher versenkt. Danach hob Arnautovic in der Mixed-Zone gleich den warnenden Zeigefinger für die K.o.-Runde: „Nur weil wir Gruppensieger geworden sind, treten wir hier nicht als Topfavorit an. Jetzt beginnt das Turnier eigentlich erst richtig.“
In Hochhaussiedlung in Wien-Floridsdorf aufgewachsen
Der Kapitän ist längst eine Kultfigur in der Alpenrepublik. Seine Läuterung stellt niemand mehr infrage. Rangnick weiß natürlich, welch hohes Standing einer im Land genießt, der in einer Hochhaussiedlung in Wien-Floridsdorf mit Freunden aufwuchs, von denen später einige ins Gefängnis kamen. Arnautovic jubelten sie zu früh als Jahrhunderttalent hoch. Angeblich besser als Andreas Herzog sei er, was damals auch die Bremer begeisterte.
Doch sogar dem besonnenen Trainer Thomas Schaaf riss irgendwann der Geduldsfaden, als Arnautovic bei einer Polizeikontrolle nachts einem Polizisten zuraunte, er könne sein „Leben kaufen“. Es folgte der fast fluchtartige Wechsel 2013 zu Stoke City.
In der Premier League reifte der Spieler als Persönlichkeit - auch wegen der Geburt seiner beiden Töchter. West Ham United bezahlte 2017 umgerechnet mehr als 22 Millionen Euro für das Kraftpaket, das zum damaligen Zeitpunkt der teuerste Fußballer Österreichs war.
Zuletzt spielte Arnautovic auf Leihbasis wieder dort, wo alles angefangen hatte: bei Inter Mailand. Dass er sich vergangene Saison mit sieben Toren an der Meisterschaft beteiligte, hätten nicht viele erwartet. Arnautovic hatte auf jener Station noch etwas gutzumachen, weil der einstige Inter-Trainer José Mourinho mal sagte, er bringe „die Einstellung eines Kindes“ mit.
Er sei 2009 im Trainingslager tatsächlich an einem Tag dreimal zu spät gekommen, bestätigte Arnautovic Jahre später. Heute könne so etwas nicht mehr passieren. „Meine Kinder wecken mich auf. Ich kann nicht mehr zu spät kommen.“
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