Berlin. Die Bilder werden sich wiederholen. Beschwingte Österreicher, die in knallroten Schuhen, knallroten Sakkos und rot-weiß-roten Hüten an Berliner Knotenpunkten in die S-Bahnen drängen, noch ein landestypisches Bier in den Händen halten und bis zum Olympiastadion auch diejenigen mit ihrem Liedgut beschallen, die gerade mit Fußball vielleicht nicht so viel am Hut haben.
Der Spielplan will es so, dass die von Ralf Rangnick angeleitete österreichische Nationalelf nach dem zweiten Gruppenspiel gegen Polen (3:1) auch das dritte gegen die Niederlande am Dienstag (18 Uhr/live bei RTL und Magenta-TV) im Finalstadion dieser EM bestreitet. Erneut werden mindestens 25 000 Österreicher gegen die vermutlich in der Überzahl befindlichen „Oranje“-Fans ansingen.
Gegen eine polnische Übermacht setzte sich am Ende bereits die österreichische Beschallung durch: Zu den Klängen „I Am von Austria“ bildeten Fans und Fußballer eine fröhliche Einheit. Österreichs Frauen mussten für solche Prozeduren bei ihren EM-Turnieren immer ihre eigenen Boxen aufstellen, bei den Männern belohnt die Stadionregie den Sieger automatisch mit seinem Lieblingslied. Was Peter Schilling mit „Major Tom“ für die Deutschen liefert, stiftet Rainhard Fendrich für die Österreicher.
„Von Ruhm und Glanz ist weniger über“ heißt es gleich in der dritten Zeile, was am vergangenen Freitag nicht wirklich passte. Selbst der eher nüchterne Rangnick genoss den „sicherlich wichtigsten Sieg meiner Amtszeit“. Ohne den Erfolg gegen die Polen – den ersten gegen diesen Gegner seit 30 Jahren – hätte auf seiner 2022 begonnenen Mission mehr als ein Makel gelegen. Überschwang ließ der Schwabe aber nicht erkennen. „Rechnerisch sind wir noch nicht durch. Es sieht gut aus, aber einen Punkt wirst du schon noch brauchen“, so der 65-Jährige.
Harte Kritik von Rangnick wegen schwächerer Phase gegen Polen
Der Mastermind würde am liebsten die Niederländer noch von Platz zwei verdrängen, was im Tableau spannende Optionen eröffnen könnte. Nach „nahezu perfekten 20 Minuten“ war sein Team gegen limitierte Polen allerdings leicht aus dem Tritt geraten.
Vom gefürchteten österreichischen Pressing war plötzlich nichts mehr zu sehen. „So herausragend sind wir individuell nicht, dass wir uns vier oder fünf Spieler erlauben können, die unter ihrer Normalform geblieben sind“, monierte Rangnick. Um das Gegentor durch den einstigen Hertha-Stürmer Krzysztof Piatek habe man „gebettelt“, so der Trainer, der aber seine erste Turnierprüfung bestand, weil seine Halbzeitansprache fruchtete und seine Umstellungen griffen.
Eindringlich redete der Lehrmeister in der Pause auf seinen Musterschüler Christoph Baumgartner ein („Wir brauchen dich mindestens mal in Normalform“), der sich dann noch zum Matchwinner aufschwang. „Jetzt geht es erst richtig los“, flötete der 24-Jährige, der viel vom „brutalen Druck“ berichtete. Man habe sich selbst aber nie als Geheimfavorit der EM bezeichnet, klärte Philipp Lienhart auf. „Das ist nicht von uns gekommen.“
Der Verteidiger vom SC Freiburg überzeugte als neues Abwehrgespann mit Gernot Trauner. Weil sein Nebenmann das 1:0-Führungstor köpfte, Einwechselspieler Alexander Prass das 2:1 vorbereitete und der wohl von jedem anderen Trainer längst ausgewechselte Marko Arnautovic noch das 3:1 per Elfmeter erzielte, war am Ende alles nach Rangnicks Plan gelaufen.
Der zum Kapitän ernannte Arnautovic spazierte mit Gesten durch die Mixed Zone, die den Verdacht nähren, dass die Ösi-Truppe noch ein bisschen länger Spaß haben will in Berlin. Man wohnt bekanntlich in jenem Schlosshotel Grunewald, in dem einst die deutsche Nationalmannschaft beim WM-Sommermärchen 2006 abstieg.
Viel Zuversicht, dass es gegen die Niederlande reicht
Von so etwas in Kleinformat träumt auch Österreich, dessen Akteure sich der Hochstimmung ebenso wenig verschließen wie einst die deutschen Profis „Wir fühlen uns geehrt durch die Unterstützung“, sagte Marcel Sabitzer. „Wir sehen vor einem Spiel viele Videos, was in Österreich und in den Spielorten abgeht. Dieses Vertrauen wollen wir ausbauen.“
Das Kraftpaket verbreitete nach „einem krassen Arbeitssieg“ viel Zuversicht, dass nach dem Match gegen die Niederländer wieder gesungen werden wird. Erst in den Bahnen, dann auch auf der Laufbahn des Olympiastadions.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/sport_artikel,-sport-oesterreicher-auf-den-spuren-des-2006-sommermaerchens-_arid,2218576.html