Mannheim. Zuletzt verpflichteten die Rhein-Neckar Löwen mit Haukur Thrastarson einen neuen Spielmacher. Es war der bislang wichtigste Transfer, den Gensheimer tätigte.
Uwe, es war zuletzt viel los. Sind die Personalplanungen der Löwen abgeschlossen?
Uwe Gensheimer: Schauen wir mal.
Dann werde ich mal konkreter. Dani Baijens wird mit ihrem Club in Verbindung gebracht. Er folgt den Löwen seit wenigen Tagen übrigens auch auf Instagram.
Gensheimer: Seit wenigen Tagen erst? Das gibt es ja wohl nicht (lacht).
Hinter Ihnen liegt ein sehr anstrengender Transfer-Frühling, Sie wirken aber ganz entspannt. Übrigens auch, wenn Sie in Ihrer neuen Rolle die Löwen-Partien am Spielfeldrand beobachten. Das sieht nicht nach dem früheren Uwe Gensheimer, dem emotionalen Spieler aus.
Gensheimer: Ganz ehrlich: Wenn wir spielen, sieht es tief in mir drinnen aber ganz anders aus, als es mein Äußeres vermuten lässt. Ich gehe schon noch extrem mit.
Ihr Rollentausch liegt jetzt bald neun Monate zurück. Was macht Ihnen am meisten Spaß?
Gensheimer : Es bereitet mir große Freude, mich weiterhin mit Handball beschäftigen zu können, eng an der Mannschaft zu sein und meine Expertise einzubringen. Ich schaue mir unglaublich gerne Handballspiele und eben auch Spieler an. Das war zuletzt eine große Aufgabe, in die ich sehr viel Zeit investiert habe. Denn es ging darum, herauszufinden, wie die Löwen vorankommen können. Was brauchen wir? Was haben wir? Welche Spieler helfen uns weiter? Wen kann man bekommen? Alles drehte sich um diese Fragen.
Wenn Sie schon davon sprechen. Fußball-Bundesligisten haben Scoutingabteilungen, um Spieler zu finden. Im Handball gibt es sowas nicht. Wie macht das Uwe Gensheimer? Wie finden Sie Mathias Larson in Elverum?
Gensheimer: Ich kann jetzt schlecht all meine Geheimnisse verraten (lacht). Aber klar, ich schaue mir erst einmal an, wer in den verschiedenen europäischen Ligen heraussticht. Im nächsten Schritt geht es darum, sich ein genaueres Bild von dem Spieler zu verschaffen. Und das ist nicht immer so einfach.
Warum?
Gensheimer: Die schwierigste Aufgabe ist es meiner Meinung nach, einen Vergleich zwischen den Ligen herzustellen. Es geht darum, ob ein Spieler, der in Norwegen funktioniert, auch in Deutschland und damit in der stärksten Liga der Welt funktionieren kann. Und so ehrlich muss ich sein: Zu 100 Prozent voraussagen kann ich das nicht. Aber ich habe versucht, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, indem ich mir so viele Informationen wie möglich besorgt habe. Wenn wir also bei Mathias Larson bleiben: Ich kann mir ansehen, wie er sich in der European League gegen Melsungen präsentiert hat. Und nicht zuletzt gibt es ein paar Bekannte in Norwegen, die ich fragen konnte. Børge Lund (Ex-Löwen-Spieler: Anm. d. Red.) ist Mathias Larsons Trainer in Elverum, Bjarte Myrhol (Ex-Löwen-Spieler: Anm. d. Red.) arbeitet beim Erstligisten Sandefjord als Trainer.
Das klingt nach viel Verantwortung für einen Einzelnen - und ist wirklich anders als im Fußball.
Gensheimer: Ich bekomme das ja selbst mit, weil ich gerade eine Fortbildung bei Bernhard Peters (ehemaliger Hockey-Bundestrainer, Ex-Sportdirektor der Fußball-Bundesligisten 1899 Hoffenheim und Hamburger SV: Anm. d. Redaktion) am High Performance Sports Institut in Hamburg absolviere. Dort treffe ich viele Jungs aus dem Profi-Fußball. Und da geht es schon anders zu. Es gibt mehrere Scouts in einem Verein, die berichten dann an den Chefscout und der berichtet wiederum an den Sportdirektor.
Hätten Sie auch gerne solch einen Apparat um sich?
Gensheimer: Die Frage stellt sich nicht. Und wir wissen doch auch: Viele verschiedene Meinungen zu haben, kann ganz schön – aber auch schwer sein.
Als Sie Ihren neuen Job antraten, gaben Sie zu, Respekt vor der Aufgabe zu haben. Sie wussten, dass Sie möglicherweise eines Tages Spielern sagen müssen, dass ihr Weg bei den Löwen zu Ende ist und der Vertrag nicht verlängert wird. Mit Gustav Davidsson kam es jetzt genau zu solch einer Situation.
Gensheimer: Das war natürlich kein schönes Gespräch, auch weil ich Gustav als Menschen sehr schätze. Aber mir war früher als Spieler wichtig, dass ehrlich mit mir umgegangen wird. Und genauso habe ich das jetzt gemacht. Auch wenn sich Wege trennen, ist es meiner Meinung nach von Bedeutung, dass man sich danach in die Augen schauen kann und die gemeinsame Zeit wertschätzt.
Im Tagesgeschäft tauschen Sie sich mit Trainer Sebastian Hinze aus, den Sie nahezu täglich im Trainingszentrum treffen. Gleichzeitig müssen Sie die Zukunft mit dem neuen Trainer Maik Machulla planen, der ihnen aber logischerweise nicht immer über den Weg läuft. Klingt kompliziert.
Gensheimer: Das ist ein schwieriger Spagat. Wir haben den normalen Bundesligabetrieb mit den Spielen und den Herausforderungen, die besprochen werden müssen. Gleichzeitig musste insbesondere in den zurückliegenden zweieinhalb Monaten die neue Saison geplant werden. Da kam sehr viel zusammen, weil wir erst im Dezember wussten, dass Maik Machulla unser neuer Trainer wird. Und wenn man Spielern ein Gesamtpaket vorstellen möchte, gehört eben dazu, dass man weiß, wer die Mannschaft trainiert.
Uwe Gensheimer
Geboren: Uwe Gensheimer kam am 26. Oktober 1986 in Mannheim zur Welt.
Jugend: Zunächst spielte er Handball für den TV Friedrichsfeld und wechselte 2003 zur SG Kronau/Östringen, den heutigen Rhein-Neckar Löwen.
Laufbahn: 2005 stieg Gensheimer mit den Löwen in die Bundesliga auf. Danach wurde er zum Gesicht des Vereins und zu einem der besten Linksaußen aller Zeiten. Bis 2016 spielte Gensheimer für die Mannheimer, dann schloss sich der Rechtshänder für drei Jahre Paris-Saint Germain an. 2019 kehrte Gensheimer zu den Löwen zurück. Seit Sommer 2024 ist er Sportchef des Bundesligisten.
Erfolge: EHF-Pokalsieger (2013), Meister (2016) und Pokalsieger (2023) mit den Löwen; Meister (2017, 2018, 2019) und Pokalsieger (2018) mit Paris; Olympia-Bronze (2016) mit der deutschen Nationalmannschaft.
Auszeichnungen: Torschützenkönig der Champions League (2011, 2017, 2018); Torschützenkönig der Bundesliga (2012); Deutschlands Handballer des Jahres (2011, 2012, 2013, 2014).
Nationalmannschaft: Gensheimer bestritt 204 Länderspiele und erzielte 921 Tore. Von 2014 bis zu seinem Rücktritt aus der Nationalmannschaft 2021 war er Kapitän des Teams.
Gemeinhin heißt es, dass der Markt ein halbes Jahr vor Beginn der neuen Saison keine Topspieler mehr hergibt. Warum haben die Löwen trotzdem gute Spieler bekommen?
Gensheimer: Erst einmal stimme ich Ihnen zu. Mir wäre es lieber gewesen, wenn wir die Planung schon frühzeitiger hätten abschließen können. Warum das nicht gelang, habe ich gerade erklärt. Andererseits haben wir auch nicht erst im Januar angefangen, mit unseren neuen Spielern zu sprechen. Ich bin davon überzeugt, dass diese Mannschaft ein riesengroßes Potenzial hat, auch weil sie mit Blick auf die Altersstruktur über einen längeren Zeitraum zusammenspielen kann.
Sind die Löwen ohne die Abgänge Juri Knorr und Olle Forsell Schefvert in der nächsten Saison besser?
Gensheimer: Wir wollen auf jeden Fall besser werden. Versprechen kann ich das nicht - ich bin aber zuversichtlich.
Wir sprachen eben von einem schwierigen Spagat. Beschäftigen Sie sich momentan eigentlich mehr mit der Gegenwart oder mit der Zukunft?
Gensheimer: Mit beidem gleichermaßen. Natürlich war ich zuletzt viel mit der Kaderplanung beschäftigt. Trotzdem gibt es viele Themen im Hier und Jetzt. Unabhängig davon sehe ich es ohnehin als meine Aufgabe, täglich vorzuleben, dass wir unseren Weg fortsetzen und uns nicht von kurzfristigen Ergebnissen ablenken lassen.
Ex-Löwen-Manager Thorsten Storm hat einmal gesagt, dass sich ein neuer Trainer zu Dienstbeginn einen neuen Spieler wünschen darf. Sehen Sie das auch so? Und wenn ja: Konnten Sie Maik Machullas Wunsch erfüllen?
Gensheimer: Ich vertrete diese Meinung nicht, aber klar ist, dass Maik und ich Personalentscheidungen gemeinsam treffen.
Welche Geschichte wollen die Löwen ab Sommer erzählen? Umbruch und Neustart - das gab es ein bisschen oft zuletzt. Auch wenn Sie dafür nichts können.
Gensheimer: Ich will nicht zu sehr ins Detail gehen, denn dafür habe ich viel zu großen Respekt vor der Arbeit von Sebastian Hinze. Die aktuelle Saison läuft noch. Aber außer Frage steht - und das ist kein Geheimnis: Wir wollen die europäischen Plätze wieder angreifen. Das habe ich immer wieder betont und dazu stehe ich. Natürlich wissen wir, dass die Konkurrenz groß ist. Aber es ist trotzdem der Anspruch der Rhein-Neckar Löwen, am Europapokal teilzunehmen.
Wenn Sie schon die aktuelle Saison ansprechen. Wie bewerten Sie die momentane Situation?
Gensheimer: Nach den Turbulenzen im vergangenen Sommer (laut Löwen-Angaben sorgte ein Finanzskandal kurzfristig für wirtschaftliche Probleme: Anm. d. Redaktion) sind wir bewusst mit einem kleineren Kader in die Runde gegangen, um solide zu wirtschaften und kein Risiko einzugehen. Uns war klar, dass wir uns mit diesem schmalen Kader nicht viele Verletzungen leisten können. Dann fiel erst Juri Knorr aus, danach traf es Jannik Kohlbacher und Sebastian Heymann und jetzt ist Ivan Martinovic raus. Es dürfte klar sein, was das bedeutet.
Man hätte Spieler nachverpflichten können.
Gensheimer: Das haben wir diskutiert. Aber: Solche Transfers müssen einen Mehrwert haben, sonst kosten sie nur Geld. Für uns hat sich nichts Passendes ergeben. Und wir haben uns auch gedacht, lieber ein wenig zu sparen, um für die Transfers im Sommer besser aufgestellt zu sein. Deswegen haben wir den Kader so gelassen und ihn in den Trainingseinheiten mit Spielern der Junglöwen aufgefüllt, um auch im Sechs gegen Sechs agieren zu können. Dennoch führt solch eine Entscheidung dann aber eben auch dazu, dass unser Co-Trainer Michael Jacobsen in der vergangenen Woche im Abschlusstraining auf dem Feld stand. Es war kein anderer mehr da. Und das ist nun wirklich keine optimale Konstellation.
Die sechs Mannschaften vor Ihrem Club in der Tabelle sind enteilt und machen die Meisterschaft unter sich aus. Sind die Löwen also die Besten vom Rest?
Gensheimer: Wenn man auf die Tabelle schaut, ist das der aktuelle Stand. Wir sind Siebter. Und das ist der Platz, wo wir meiner Meinung nach momentan wirtschaftlich und sportlich in dieser Liga hingehören. Nichtsdestotrotz wollen wir den Abstand natürlich verkürzen.
Die Löwen haben noch einen großen Namen. Aber sind Sie auch ein noch ein großer Club?
Gensheimer: Was ist ein großer Club?
Einer der Titel gewinnt und immer oben mitspielt.
Gensheimer: Dann sind wir das gerade mit Sicherheit nicht. Aber wir sind für die Zukunft sehr gut gerüstet. Wie gesagt: Ich glaube an diese Mannschaft.
Wenn das Team denn so zusammenbleiben kann. Die Frage aber lautet doch: Wollen die Leistungsträger ihre Verträge verlängern? 2026 enden die Arbeitspapiere von einigen Stützen wie etwa Jannik Kohlbacher, Patrick Groetzki, Mikael Appelgren und natürlich auch Ivan Martinovic.
Gensheimer: Diese Themen gehen wir jetzt gemeinsam an, zum Teil hat es schon Gespräche gegeben. Ich möchte nicht noch einmal in die Situation geraten, dass die Entscheidungen erst so spät getroffen werden. Aber wir haben jetzt die Voraussetzungen geschaffen, um künftig früher Klarheit haben zu können.
Ist es überhaupt möglich, Martinovic zu halten?
Gensheimer: Ich weiß, dass sich Ivan und seine Frau hier in der Region extrem wohlfühlen. Aber – und das müssen wir uns einmal vorstellen: Er ist ein Weltklassespieler und 27 Jahre alt – aber hat noch nie in seinem Leben im Europapokal gespielt. Es ist verständlich, dass Ivan mal in der Champions League dabei sein möchte. Und jetzt geht es um die Frage: Sieht er diese Perspektive in den nächsten Jahren bei uns? Oder möchte er eine Champions-League-Garantie haben? Letzteres können wir ihm nicht bieten. Ich weiß, dass wir als Löwen alles getan haben, damit er bei uns bleibt. Und nun muss er sich entscheiden.
Das hört sich so an, als ob schon sehr viel besprochen ist.
Gensheimer: Ja, das ist so.
Sprechen wir noch über Patrick Groetzki: Sie sind mit ihm befreundet, waren jahrelang Zimmerkollegen bei den Löwen und in der Nationalmannschaft. Jetzt sind Sie sein Vorgesetzter: Wie muss ich mir ein Vertragsgespräch zwischen Ihnen beiden vorstellen?
Gensheimer: Wir reden extrem offen drüber, was seine Wünsche und seine Gedanken sind. Da sind wir sehr gläsern.
Es könnte auch um eine Funktion im Verein gehen. Und zwar nicht als Spieler.
Gensheimer: Diese Option kann ich ihm als Sportlicher Leiter nicht anbieten (lacht). Aber meiner Meinung nach wäre es fatal, einem verdienten Spieler wie Patrick und einem Mann mit einer solch großen Identifikation mit den Löwen hier keine Perspektive zu bieten. Das wäre wirklich fahrlässig. Aber ich denke, das sieht auch der Verein so.
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