Mannheim. Anfang Dezember wähnten sich die Rhein-Neckar Löwen auf einem guten Weg. Damals hatten sie gerade in der Handball-Bundesliga beim HSV Hamburg gewonnen und eine kleine Erfolgsserie gestartet. Doch seitdem läuft fast alles schief, die Mannschaft hängt mit enttäuschenden 18:22 Punkten im Tabellenmittelfeld fest und muss fürchten, noch in Abstiegsgefahr zu geraten.
Und jetzt kommt am Sonntag (15 Uhr) mit der SG Flensburg-Handewitt auch noch ausgerechnet ein echter Spitzenclub in die ausverkaufte SAP Arena.
„Es ist mir egal, gegen wen wir spielen. Ich möchte, dass wir unseren Job 60 Minuten lang machen“, sagt Trainer Sebastian Hinze. Der 44-Jährige gibt sich kämpferisch. Und nachdem er lange Zeit die Mannschaft in Schutz genommen hat, klingen seine Worte nun wesentlich deutlicher, teils sogar kompromisslos: „Das ist keine Ergebniskrise, weil wir in Phasen sehr, sehr schlecht agieren. Eine Ergebniskrise ist es, wenn die Ergebnisse nicht stimmen und sonst ganz, ganz viel. Das können wir nicht von uns behaupten.“ Weil in der Tat eine Menge schiefläuft. Doch was genau stimmt alles nicht? Eine Analyse.
Die Mannschaft
Das große Problem: Torgefahr von der halblinken Position gibt es nicht. Halil Jaganjac fehlt seit Monaten verletzt. Und was das angeht, haben die Löwen wirklich Pech. Trotzdem gilt: Für Eisenach, Lemgo, Stuttgart und Zabrze sollte es reichen. Tat es aber nicht. Auch weil es an Qualität fehlt.
Von den vier Neuzugängen ist bislang nur Jon Lindenchrone eine Hilfe. Er macht seine Sache vor allem auf dem rechten Flügel gut, wurde aber als Rückraumspieler geholt. Steven Plucnar und der mittlerweile zum VfL Gummersbach verliehene Árnor Óskarsson kamen kaum zum Einsatz. Und bei Gustav Davidsson weiß man manchmal nicht mehr, was man sagen soll: Vereinzelten Weltklasse-Aktionen stehen unglaubliche Aussetzer gegenüber.
Geschäftsführerin Jennifer Kettemann betont zwar, dass gerade von Plucnar, Óskarsson und Davidsson in dieser Saison noch keine Wunderdinge zu erwarten gewesen seien und vor allem Davidsson wegen des Ausfalls von Jaganjac mehr spielen müsse, als geplant war. Trotzdem gilt erst einmal: Die Neuen sind fast keine Hilfe. Oder wenn man es umdreht und wie Kapitän Patrick Groetzki ausdrückt: „Wir haben unsere Abgänge nicht gleichwertig ersetzt.“ Weder Albin Lagergren noch Lukas Nilsson noch Kristjan Horzen.
Auf der Problemposition linker Rückraum haben außerdem Philipp Ahouansou und der kurzfristig nachverpflichtete Andreas Holst Jensen bislang selten überzeugt.
Die Leistungsträger
Gibt es gerade nicht viele. Rechtsaußen Groetzki wäre einer, ist jedoch seit November verletzt. Verlass ist auf die Torhüter. Ganz ehrlich: Wenn David Späth, Joel Birlehm und Mikael Appelgren nicht so viele Punkte gerettet hätten, wären die Mannheimer schon in Abstiegsnot. Andersherum gilt: Wer so oft eine starke Torwartleistung hat und trotzdem so selten gewinnt, der hat ein Problem. Und zwar mit der Qualität beim Rest der Mannschaft.
Als einziger Rückraumspieler erzielt Niclas Kirkeløkke zuverlässig seine Tore. Auf Spielmacher Juri Knorr lastet wie auch in der Nationalmannschaft zu viel Verantwortung. Hinze lobt ebenso wie Bundestrainer Alfred Gislason Knorrs Fortschritte bei der Spielsteuerung. Zu Recht. Aber Gislason merkte zuletzt bei der EM ebenso an, dass Knorr in schlechten Phasen manchmal überdrehe und das man dies auch bei den Löwen sehe. Für einen 23-Jährigen wie Knorr ist das normal. Das viel größere Problem ergibt sich daraus: Zu dem Mittelmann gibt es keine Alternative. In der vergangenen Saison war das Lagergren.
Noch mehr gefragt als sonst ist nun Kreisläufer Jannik Kohlbacher, der in Zabrze zwar gleich sechs klare Möglichkeiten ausließ. Mit einer Trefferquote von 76 Prozent gehört er aber auch in dieser Bundesliga-Saison zu den besten Kreisläufern. Und seine Erfahrung wird nun ohnehin gefordert sein.
Die Führungsspieler
Das sind zunächst einmal die Routiniers Appelgren, Kirkeløkke, Kohlbacher, Groetzki und Uwe Gensheimer. Aufgrund seiner Position aber auch Knorr. Das Problem: Appelgren spielt im Tor. Von dort aus ist sein Einfluss aufs Spiel begrenzt.
Gensheimer ist seit Saisonbeginn verletzt, Groetzki seit November. Beide sind ohnehin Außenspieler. Ihr Einfluss aufs Geschehen also ebenfalls begrenzt. Wie sehr den Löwen die Führung auf dem Feld fehlt, zeigen die vergangenen Monate sehr deutlich.
Denn im Prinzip wurden Spiele gegen Eisenach, Lemgo, Stuttgart und Zabrze allesamt nach identischem Muster verloren. Einer hoher Führung folgte irgendwann ein Rückstand. Und plötzlich brachen alle Dämme. Die „Wirkung“ von Rückständen sei sehr groß auf seine Mannschaft, räumt Hinze ein: „Wir haben dann zu viel Stress im Spiel.“ Was auch für die Führungsspieler gilt, die mit untergehen.
Der Trainer
Hinze hat bislang kein Mittel gefunden, die kollektiven Einbrüche seiner Mannschaft zu stoppen. Er weiß selbst, dass die Löwen acht bis zehn Punkte zu wenig auf dem Konto haben. Der Trainer hat aber vor der Saison auch darauf hingewiesen, dass es mit diesem Kader schwieriger als in seiner Premierensaison in Mannheim (Platz fünf, Pokalsieg) werden könnte. Man muss dem 44-Jährigen zugutehalten, dass er aufgrund von Verletzungen in dieser Saison sein bevorzugtes Tempospiel nicht wie geplant umsetzen kann.
Hinzes Meinung nach geht es in der Krise momentan nicht um die Schuldfrage, sondern um einen Weg aus der Misere: „Man kann es auf mich schieben, auf die Kaderplanung, auf die Verletztensituation. Aber das kann nicht alles schuld an unserer Situation sein. Jetzt geht es darum, die Situation zu lösen.“ Soll heißen: Es gibt zwar die eine oder andere Erklärung für den Absturz, aber Hinze lässt sie nicht als Ausrede für individuelle Aussetzer gelten.
Würde ein anderer Trainer mehr aus diesem Kader herausholen? Nein! Weil - genau - die Qualität in der Breite fehlt. Außerdem haben all die Trainerwechsel zuvor den Absturz eher beschleunigt.
Hinze ist 2022 angetreten, um die Löwen bis spätestens 2027 zurück an die nationale Spitze zu führen. Das ist das Ziel, daran wird er gemessen. Dass vor seinem Amtsantritt knapp drei Jahre lang fast alles für den Absturz getan wurde, hat er nicht zu verantworten. Der Trainer startete 2022 also unter erschwerten Bedingungen. Wenn man so will, war der Pokalsieg 2023 vielleicht sogar ein Ausrutscher nach oben. Und doch gilt: Trotz aller Probleme darf man in dieser Saison nicht zweimal gegen Eisenach verlieren, in Stuttgart unterliegen, Partien gegen Lemgo und Zabrze aus der Hand geben.
Die Geschäftsführerin
Jennifer Kettemann wiederholt regelmäßig den Fünfjahresplan - und behält die Ruhe. „Wir haben immer gesagt, dass der Weg nicht leicht wird, sich langfristig wieder als Topclub zu etablieren. Es wird immer wieder Rückschläge geben“, sagt die Geschäftsführerin.
Sie ist mit den jüngsten Ergebnissen zwar nicht zufrieden, weist aber auf das Verletzungspech und die Perspektive der Neuzugänge hin. Diese wolle man entwickeln.
Klar ist allerdings auch: Als Geschäftsführerin trägt sie die Gesamtverantwortung. Und was für Hinze gilt, gilt auch für sie: 2027 ist das Jahr, in dem endgültig Bilanz gezogen wird. Dann lässt sich sehen: Gehören die Löwen wieder zur nationalen Spitze und sind ein Kandidat für die Champions League? Dann hat Kettemann Wort gehalten und geliefert. Oder verpassen die Mannheimer dieses Ziel? Dann ist ihr Plan nicht aufgegangen und die ausbleibende Löwen-Auferstehung fiele ebenso in ihre Amtszeit wie die Krisenjahre nach den Meisterschaften.
Der Sportchef
Den gibt es noch nicht. Er heißt aber bald Gensheimer. Der waschechte Mannheimer wird der neue und unumstrittene Löwen-Boss. Sein Netzwerk, seine Strahlkraft und sein Ruf werden helfen. Gerade auch bei Transfers. Gensheimer - das ist ein ganz großer Name im Welthandball. Vor allem auch im Ausland. Er wird Türen öffnen.
Doch klar ist auch: Es gab schon bessere Startvoraussetzungen, um Topspieler nach Mannheim zu lotsen. Und ausschließlich Profis solchen Formats wollen die Löwen ja künftig verpflichten, wie Kettemann unlängst ankündigte.
Der Ausblick
Zur neuen Saison wird die Mannschaft - auch das gehört bei aller berechtigten Kritik zur Wahrheit - vernünftig verstärkt. Ivan Martinovic, Tim Nothdurft und Sebastian Heymann erhöhen die Qualität. Es sind aber auch erst einmal keine Transfers der Marke Mathis Gidsel, Simon Pytlick oder Felix Claar. Weltklassespieler wie diese verpflichteten zuletzt Vereine wie die Füchse Berlin, die SG Flensburg-Handewitt und der SC Magdeburg. Also die Clubs, mit denen sich die Löwen bis 2027 wieder auf Augenhöhe messen wollen. Dennoch gilt für 2024/25 das, was Groetzki sagt: „Alles in allem werden wir die Qualität in unserem Kader deutlich erhöhen.“
Jetzt müssen die Löwen „nur“ noch diese Saison irgendwie retten. Den Abstiegskampf sollte besser niemand beiseiteschieben.
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