Düsseldorf. Die Augen von Juri Knorr leuchten. „Das ist krass, das ist gigantisch, das wird heftig“, sagt der Spielmacher der deutschen Handball-Nationalmannschaft am Dienstag. Gerade hat der 23-Jährige mit seinen Kollegen das Abschlusstraining im Düsseldorfer Fußballstadion absolviert, wo die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) am Mittwoch (20.45 Uhr/live im ZDF) im EM-Eröffnungsspiel auf die Schweiz trifft. So kurz nach der einstündigen Einheit wirken die gesammelten Eindrücke noch nach. Aber nicht nur bei Knorr. Sondern auch bei seinen Kollegen. Christoph Steinert nennt die riesige Arena „gewaltig“, Sebastian Heymann erwartet, dass es „extrem, brutal“ wird.
Außer Frage steht allerdings: Die Deutschen freuen sich auf dieses Spiel. Sehr sogar, wie Bundestrainer Alfred Gislason verdeutlicht: „Jeder sehnt sich nach dem Anpfiff.“
Ein paar Zahlen und Fakten helfen, um die Dimensionen dieses XXL-Spektakels zu verstehen: Die Aufbauarbeiten begannen Ende des vergangenen Jahres, 400 Mitarbeiter waren daran beteiligt. Insgesamt sind 450 Quadratmeter LED-Fläche im Stadion verbaut, 300 Motoren hängen an der Decke, dazu kommen 30 Laseranlagen für die Eröffnungsshow und 250 Lautsprecher sorgen für eine gute Akustik. 25 Kilometer Kabel wurden verlegt, 9000 Zusatzplätze im Innenraum aufgebaut. Insgesamt lieferten 50 Sattelschlepper die Technik an. Das klingt nicht nur groß. Sondern das ist es auch.
Nur Schmid kennt Stadion-Spiel
Mehr als 53 000 Fans werden kommen. Und einen Zuschauer-Weltrekord bei einem Handballspiel aufstellen. Die bisherige Bestmarke stammt aus dem Jahr 2014, damals richteten die Rhein-Neckar Löwen ihre Bundesligapartie gegen den HSV Hamburg im Frankfurter Fußballstadion vor 44 189 Zuschauern aus. Es habe sich vor fast zehn Jahren „wie ein Event angefühlt“, sagt einer, der es genau wissen muss: Patrick Groetzki. Denn er stand damals auf dem Feld. Und wäre diesmal wieder dabei gewesen, wenn er sich nicht vor wenigen Tagen erneut am Fuß verletzt hätte.
Das Auftaktspiel verfolgt er am Mittwoch im Stadion, wo dann ein einziger Spieler mitwirken wird, der solch ein Stadionspiel bereits erlebt hat: Es ist Andy Schmid, Kapitän der Schweizer und von 2010 bis 2022 in der Bundesliga für die Rhein-Neckar Löwen aktiv. Auch er war damals in Frankfurt dabei.
Klar ist: Die Gegebenheiten sind andere als sonst. Vor allem räumlich. Alles ist breiter und größer. Das müsse man ausblenden, meint Groetzki: „Am Ende kommt es auf die 40 mal 20 Meter an.“ Also auf das Feld. Oder besser gesagt auf das, was auf eben diesem passiert. Den Rest, vor allem die Kulisse, solle man „einfach genießen“, rät der verletzte Rechtsaußen. Was möglicherweise aber einfacher gesagt als getan ist. Oder etwa doch nicht?
Beim DHB sind sie bemüht, die in vielerlei Hinsicht großen Dimensionen dieses historischen Abends wenig zu thematisieren. „Die Jungs haben bislang ja auch nicht in der Bundesliga in kleinen Schulturnhallen gespielt“, sieht Sportvorstand Axel Kromer keine Gefahr, dass die junge Mannschaft sich vom Drumherum ablenken lässt. Oder noch schlimmer, dass die gigantische Kulisse die Spieler belastet, sie überfordert und hemmt. Die Erwartungen sind ja unabhängig von Zuschauer-Weltrekord und anderen Superlativen ohnehin schon groß. Hier und da sogar gigantisch. Möglicherweise aber auch einfach nur unfair. Weil unrealistisch.
Denn im Prinzip hat es auch einen Grund, dass die DHB-Auswahl seit 2016 keine Medaille mehr gewann und seitdem auch nur ein einziges Mal im Halbfinale stand. Und zwar bei der WM 2019, dem Turnier im eigenen Land. Als die Mannschaft beflügelt von den Fans durch die Weltmeisterschaft getragen wurde. Genau das soll sich jetzt wiederholen. Mit einem Traumstart gegen die Schweiz samt Zuschauer-Weltrekord.
Restkarten für Mannheim
„Keiner hat Bauchknurren wegen der Mega-Kulisse. Wir haben die Chance, das alles als Begeisterung aufzunehmen und nicht als Druck“, sagt Kromer. Mehr als 53 000 Menschen wollen aber auch erst einmal in Stimmung gebracht und von den Sitzen gerissen werden. Und zwar nicht vom Stadionsprecher, sondern von der Mannschaft. Das sieht auch Bundestrainer Gislason so: „Es liegt an uns, eine Atmosphäre zu entfachen.“ Und für einen EM-Start mit einem Knalleffekt zu sorgen. Ganz so wie es sich der DHB vorstellt. Schließlich sollen Maßstäbe versetzt werden.
„Wir wollen dieses Turnier auf ein neues Level heben“, sagt Präsident Andreas Michelmann im Gespräch mit dieser Redaktion. Es ist davon auszugehen, dass der Verband dieses Ziel unabhängig vom sportlichen Erfolg der eigenen Mannschaft auf jeden Fall erreicht. Denn kurz vor Turnierbeginn sind fast 80 Prozent der Karten vergriffen, an 14 von 18 Vorrundenspieltagen sind die Arenen ausverkauft. In Berlin und Mannheim gibt es laut DHB an zwei Spieltagen unter der Woche noch Restkarten. Kurzum: Die Republik ist im Handball-Fieber. Und das Turnier wird ziemlich sicher die beste EM aller Zeiten.
Daran glaubt auch der Schweizer Schmid: „Deutschland ist das Handball-Mekka, dieses Turnier wird Grenzen versetzen und den größten Wert für die Sportart Handball seit der Weltmeisterschaft 2007 in Deutschland haben. Ich bin davon überzeugt, dass diese Europameisterschaft alles in den Schatten stellen wird, was es jemals zuvor im Handball gegeben hat.“
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Bergsträßer Anzeiger Plus-Artikel Kommentar Jetzt gilt's für Gislason und die deutschen Handballer