Kommentar Jetzt gilt's für Gislason und die deutschen Handballer

Mit dem Weltrekordspiel gegen die Schweiz startet am Mittwoch für die deutschen Handballer die Heim-EM. Um in die Gruppe der Favoriten einzudringen, ist vor allem der Bundestrainer gefordert, meint Marc Stevermüer

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Marc Stevermüer
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Mannheim. Ganz am Anfang stand eine Vision: Als der Deutsche Handballbund (DHB) 2018 den Zuschlag für die Europameisterschaft 2024 bekam, entstand die Idee vom Jahrzehnt des Handballs. Der EM folgt bei den Männern 2027 die WM, dazwischen liegt die gemeinsame Ausrichtung der Frauen-WM 2025 mit den Niederlanden. Macht drei Turniere innerhalb von 37 Monaten. Verbunden mit der Chance, Deutschlands Mannschaftssportart Nummer zwei noch stärker in den Fokus zu rücken.

Eine erhöhte mediale Aufmerksamkeit, Zulauf in den Vereinen, steigende Mitgliederzahlen. Diesen Effekt gab es bislang immer nach Heim-Turnieren. Vor allem, wenn das deutsche Team erfolgreich war. 2007 wurde die DHB-Auswahl Weltmeister, 2019 stand sie im Halbfinale. Und weniger als der Einzug unter die letzten vier Teams darf es diesmal auch nicht sein, das hat der Verband deutlich gemacht.

Vier Nationen stehen über allen anderen

Der Arbeitsauftrag an Bundestrainer Alfred Gislason ist somit klar formuliert. Der 2020 mit vielen Vorschusslorbeeren geholte Isländer steht nun erstmals richtig unter Druck. WM-Rang zwölf (2021) und EM-Platz sieben (2022) standen unter großem Einfluss der Corona-Pandemie, das Olympia-Aus im Viertelfinale gegen Ägypten 2021 kam aber schon einer kleinen Enttäuschung gleich. Und dass sein Team die WM 2023 als Fünfter abschloss, bewegte sich angesichts der günstigen Auslosung im Bereich des Erwartbaren. Oder positiv ausgedrückt: Gislason holte das Maximum heraus.

Über allen anderen Nationen stehen derzeit Serien-Weltmeister Dänemark, Europameister Schweden, Olympiasieger Frankreich und auch die Spanier. Mit einer einzigen Ausnahme stand dieses Quartett bei den zurückliegenden vier Turnieren immer im Halbfinale. Schweden verpasste die Runde der letzten vier Teams bei den Olympischen Spielen 2021. Das war’s.

Hilfe des Trainers ist gefordert

In die Phalanx der großen Vier wollen - und müssen - die Deutschen nun eindringen. Der Heimvorteil kann ihnen dabei gewaltig helfen. Auch das zeigten die zurückliegenden Turniere. Es ist eben etwas anderes, vor knapp 20 000 Anhängern in Köln zu spielen. Und doch wird die Unterstützung der Fans allein nicht reichen, um den Traum vom Wintermärchen wahr werden zu lassen. Es kommt auch - oder sogar vor allem - auf Gislason an.

Der Bundestrainer muss jetzt zeigen, dass er mit taktischen Mitteln, kreativen Lösungen und einer Spielidee die individuellen Defizite auf manch einer Position gegenüber den Topnationen gelöst bekommt. Denn nur dann hat sein Team eine realistische Möglichkeit aufs Halbfinale - und Gislason selbst eine Berechtigung zur Weiterbeschäftigung.

Der Vertrag des Bundestrainers endet im Sommer nach den Olympischen Spielen in Paris, für die sich die deutsche Mannschaft noch qualifizieren muss. Mit einer Enttäuschung bei der Heim-EM im Rücken könnte es schwierig werden, dieses Ziel mit diesem Bundestrainer anzugehen. Denn ein Fehlstart ins Jahrzehnt des Handballs wäre in diesem Fall unweigerlich mit seinem Namen verbunden.

Redaktion Handball-Reporter, Rhein-Neckar Löwen und Nationalmannschaft

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