Hamburg/Bürstadt. Eines der ungewöhnlichsten Auswärtsspiele liegt hinter den Fußballern des VfR Bürstadt – trotz einer deutlichen 1:7-Niederlage bei Oberligist Victoria Hamburg. Denn ansonsten war der Auftritt der Schwarz-Weißen in der Hansestadt ein voller Erfolg.
Dass das Spiel überhaupt zustande kam, ist in erster Linie dem Weiterstädter Fußball-Historiker Sebastian Wunderlich von der „Initiative 1903“ zu verdanken. Ihn und seine Mitstreiter erfüllt es mit Freude, geschichtsträchtige Begegnungen neu anzusetzen. Da durfte nun das Endspiel um die deutsche Amateurmeisterschaft von 1975 zwischen dem VfR Bürstadt und der Victoria, das die Bürstädter damals in Ludwigsburg mit 3:0 gewannen, nicht fehlen.
Damals traten die Bürstädter in roten Trikots an. Und ebenfalls in Rot waren nun die T-Shirts, die jedem Fahrtteilnehmer ausgehändigt wurden. „Moin Hamburg. Wir sind auch schon wieder da“, lautete der Schriftzug auf der Vorderseite, der das frühere Logo des Vereins umrundet. Der hieß seinerzeit VfR OLI Bürstadt.
So hatten die Bürstädter ihr feines Gewand, um sich nun in Hamburg einheitlich präsentieren zu können. Und auch in Erinnerung zu rufen, dass einst in Südhessen sehr erfolgreich Fußball gespielt wurde und der Verein insgesamt sechs Spielzeiten in der 2. Bundesliga für sich verbuchte, die letzte davon 1984/85.
Reisegruppe besucht Endspielort von 1903
Aber Hamburg stellte bekanntlich nicht nur den Endspielteilnehmer der Amateurmeisterschaft von 1975. Die Weltstadt ist aus der deutschen Fußballhistorie einfach nicht wegzudenken. Stichworte: HSV oder FC St. Pauli. Und sie hat noch deutlich mehr zu bieten, wie Sebastian Wunderlich der Bürstädter Reisegruppe wenige Stunden vor dem Spiel vor Augen führte. Er brachte sie an den Ort, an dem 1903 das erste Endspiel um die deutsche Meisterschaft stattfand. Dieses entschied der VfB Leipzig gegen den DFC Prag, der damals auch dem DFB angehörte, mit 7:2.
Der Platz befand sich auf einer Exerzierweide im Hamburger Stadtteil Altona, auf dem inzwischen eine Druckerei steht. Das hielt Sebastian Wunderlich vor einigen Jahren nicht davon ab, dort einen Gedenkstein zu errichten, das an dieses besondere Ereignis erinnert, von dem nun auch die Bürstädter sehr gespannt Notiz nahmen.
Sebastian Wunderlich vermittelte seinen reichhaltigen Wissensschatz aber auch noch einmal unmittelbar vor der Begegnung. Diese fand im schönen Stadion der Victoria im Stadtteil Eimsbüttel statt. Ein wahres Schmuckkästchen, das auch den hohen Stellenwert der Victoria im Hamburger Amateurfußball unterstreicht. Diese wird mit ihren Farben Blau und Gelb liebevoll „Vicky“ genannt und baut nicht zuletzt wegen der äußerst hohen Zahl von jungen Sportlern auf eine in dieser Form selten gekannten Breitenarbeit.
Um 19.30 Uhr wurde die Begegnung angepfiffen. Und spätestens an den fachkundigen Ansagen der sonorigen Stimme von Stadionsprecher Peter Kraft waren zu erkennen, dass es sich um eine Neuauflage eines Meisterschaftsendspiels handelte. Kraft versäumte es auch nicht, den inzwischen verstorbenen Fußballern beider Vereine zu gedenken. Allen voran Karl-Heinz „Hexer“ Vogt, dem am 15. Mai verstorbenen, früheren Bürstädter Torjäger, der vor 50 Jahren alle drei Endspiel-Treffer des VfR erzielt hatte.
Torben Schieß markiert den Ehrentreffer
Doch dieses Mal hatten die Bürstädter nur einen Torschützen. Und zwar Torben Schieß, dem in der Schlussminute nach schöner Hereingabe von Uwe Lauinger aus fünf Metern der Ehrentreffer zum 1:7 gelang. Zu diesem Zeitpunkt waren die Bürstädter ihrem spielfreudigen Gegner deutlich unterlegen. Nicht jedoch in der ersten Halbzeit, in der der VfR trotz des 0:4-Pausenstands lange Zeit gut mithielt und gleich in der Anfangsphase ein Tor durch Volkan Celikkan erzielte, das Schiedsrichter Noah Alabdallah allerdings wegen einer Abseitsstellung nicht anerkannte.
Das Ergebnis war derweil schon fast vergessen, als die „Initiative 1903“ die beiden teilnehmenden Mannschaften bei der Siegerehrung noch einmal hochleben ließ. Für die siegreiche Victoria hatte Sebastian Wunderlich sogar noch eine faustdicke Überraschung parat: die Carl-Riegel-Trophäe, mit der die Deutschen Amateurmeister bis 1998 ausgezeichnet wurden.
Der Weiterstädter hatte die Originaltrophäe kurzerhand vom Deutschen Fußballmuseum in Dortmund nach Hamburg überführt und überreichte sie nun den Hansestädtern. Ein Moment für die Geschichtsbücher, denn schon bald wird der Pokal wieder an seinem angestammten Platz stehen. atth/ü
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